RB Leipzig hat im Sommer seine halbe Startelf verkauft – und nach geltender Klubphilosophie keine grossen Stars verpflichtet. Trotzdem geht der DFB-Pokalsieger optimistisch in die neue Saison. Der Supercup am Samstag (20.45 Uhr) beim FC Bayern ist eine erste Standortbestimmung.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Fritz sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

XXL-Umbruch bei RB Leipzig: Der zweifache DFB-Pokalsieger musste im Sommer den grössten Aderlass seiner Vereinsgeschichte verkraften: Mit Christopher Nkunku wechselte der erfolgreichste Stürmer zum FC Chelsea, WM-Star Josko Gvardiol, der beste Innenverteidiger des Teams, ging für 91,5 Millionen Euro zu Manchester City.

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Mit Dominik Szoboszlai verlor RB den besten Freistossschützen und Vorlagengeber Richtung Liverpool. "Pressingmonster" Konrad Laimer läuft nun im Mittelfeld des FC Bayern auf. Nimmt man Linksverteidiger Marcel Halstenberg (Hannover 96) dazu, ist fast die halbe Startelf des Brauseklubs Geschichte.

RB-Profi Kampl: "Haben die Abgänge immer kompensiert"

Mit den Rekord-Transfereinnahmen verpflichtete RB bislang insgesamt neun Akteure. Ein Star, den nicht nur Fussball-Insider kennen, ist nicht darunter. Es kamen unter anderen Königstransfer Lois Openda (RC Lens), Kopfballmonster Benjamin Sesko (Red Bull Salzburg) und der offensive Mittelfeldspieler Christoph Baumgartner (TSG Hoffenheim) für den Angriff. Der Ex-Salzburger Nicolas Seiwald wurde gekauft, um anstelle von Laimer vor der Abwehr abzuräumen.

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Das Quartett will in Leipzig, das schon einige Sternchen zu Stars formte, den nächsten Schritt gehen. Die Leihspieler Xavi Simons (PSG) und Fabio Carvalho (FC Liverpool) sind hoch veranlagt, aber wohl nur auf der Durchreise. Kann RB den Verlust der hochkarätigen Abgänge abfedern, obwohl es selbst nicht ins allerhöchste Fach gegriffen hat? Ist Leipzig noch ein Bayern-Jäger? Oder stehen die Sachsen erstmals seit dem Bundesliga-Aufstieg 2016 vor einem Übergangsjahr?

Hört man sich dieser Tage am Cottaweg in Leipzig um, ist von letzteren Gedankengängen nichts zu hören. Routinier Kevin Kampl steht seit 2017 im Team. Er hat viele Teamkollegen gehen und neue Mitspieler kommen sehen. "Seitdem ich hier bin, haben wir immer Top-Spieler gehabt, die uns verlassen haben. Und wir haben die Abgänge immer kompensiert", sagt der 32-Jährige zuversichtlich.

"Ich glaube, dass wir wieder eine Top-Saison spielen und unsere Ziele wieder erreichen werden." Die sind seit Jahren praktisch unverändert. In der Liga unter die ersten vier, im DFB-Pokal so weit wie möglich kommen, in der Champions League die Gruppenphase überstehen.

RB Leipzig hat stabiles Gerüst

Was macht Kampl so zuversichtlich? Ihm gefällt die Einstellung der Neuzugänge im Training. "Das sind alles top Jungs. Die haben Hunger, die brennen, die geben sich mit nichts zufrieden." Ausserdem sei es bei RB extrem einfach für neue Spieler, Fuss zu fassen. Auf dem Rasen und neben dem Platz. "Die Energie, die in der Truppe steckt, ist ansteckend."

Mit langjährigen Leistungsträgern wie den Verteidigern Willi Orban, Benjamin Henrichs und Lukas Klostermann sowie den Offensivspielern Dani Olmo, Emil Forsberg und Timo Werner hat das Team ein stabiles Gerüst, das mit allen Wassern gewaschen ist. Weiterer Pluspunkt: Trainer Marco Rose geht in seine erste volle Saison auf der Bank inklusive einer kompletten Vorbereitung. Vor allem von seinem neu formierten Angriff schwärmt der gebürtige Leipziger. In den Testspielen trafen Openda und Sesko wie am Fliessband.

Die Jagd nach teuren Stars auf dem Transfermarkt, um zum Angriff auf den FC Bayern zu blasen, war und ist für Rose & Co. hingegen kein Thema. Einen wie Tottenham-Stürmer Harry Kane zu holen, der wohl beim FC Bayern unterschreibt? Bei RB unvorstellbar. Kane ist 30, kostet um die 100 Millionen, und hat seinen Zenit bald erreicht.

Leipzig legte für seinen teuersten Transfer aller Zeiten, Openda, 43 Millionen plus Boni auf den Tisch. Nur zwei weitere Deals bewegten sich jemals jenseits der 30-Millionen-Marke. Man kann von Leipzig halten, was man will, aber sie schmeissen ihr Geld nicht zum Fenster raus. Der Klub will organisch wachsen.

Reicht es bei RB für die Bayern-Attacke?

Daher steht auch Sportchef Max Eberl zur von Ex-Sportdirektor Ralf Rangnick implementierten Denke: Die besagt, junge Talente mit viel Perspektive günstig einzukaufen und dann gewinnbringend zu verkaufen. Siehe Naby Keita, Dayot Upamecano, Ibrahima Konaté oder Nkunku.

Aber Eberl sagt auch: "Natürlich wird es so ein, dass wir auch mal einen Spieler holen, der älter ist als 25". RB blieb auch diesen Transfersommer seiner eigenen Kaderpolitik ein Stück weit treu, keiner der Top-Zugänge ist älter als 23. Der Klub verschiebt aber die alten finanziellen Leitplanken – siehe Openda – in kleinen Schritten nach oben.

Ob es mit dem generalüberholten Kader für den Angriff auf den Rekordmeister reicht? Eher nicht. Weil die hoch motivierten Münchener in diesem Jahr wohl mehr Punkte als in der nach Bayern-Massstäben schwachen Vorsaison sammeln werden, müsste aus RB-Sicht für Platz eins alles perfekt laufen.

Wahrscheinlicher ist, dass die Neuen im Rose-Team eine gewisse Übergangszeit brauchen und Schwächephasen nicht ausbleiben. Eine grosses Fragezeichen ist die Defensive, wo noch mindestens zwei Spieler kommen sollen. Die erneute Champions-League-Qualifikation sollte im Normalfall für Rasenballsport trotzdem drin sein.

Kevin Kampl hatte nach dem zweiten DFB-Pokalsieg im Juni in der Euphorie der Stunde eine Meisteransage nach München gemacht. Vor wenigen Tagen klang das schon anders. "Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass RB irgendwann Meister wird. Ob ich dann noch da bin, das weiss ich nicht." Sicher ist: Der Klub will das auf seine Weise schaffen, ohne Transfersummen à la Kane, bei denen einem schwindelig wird.

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