Deutschlands U21 hat das grosse Ziel Titelverteidigung verpasst, trotz der Finalniederlage gegen Spanien aber ein starkes Turnier gespielt. Einige Akteure konnten sich in den Vordergrund drängen - und sind perspektivisch auch eine Option für die A-Nationalmannschaft.

Eine Analyse

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Das letzte Spiel war auch ein letztes Casting. Die Chefs persönlich waren angereist, Bundestrainer Joachim Löw sass beim Endspiel der deutschen U21-Nationalmannschaft gegen Spanien ebenso auf der Tribüne wie Teammanager Oliver Bierhoff und Interimspräsident Rainer Koch. Der Deutsche Fussball-Bund trat endlich mal wieder geschlossen auf, was man in den letzten Monaten ja nicht immer behaupten konnte.

Für Löw war das Spiel in Udine auch die Gelegenheit, sich das eine oder andere Nachwuchstalent mal live und aus der Nähe anzuschauen. Immerhin spielte da der sehr hoffnungsvolle Jahrgang 1996. Und es war für das Gros dieser Mannschaft auch das letzte Spiel in diesem Zyklus: Für 16 der 23 Spieler aus dem Kader ist das Kapitel U21 jetzt abgeschlossen.

Löw sah also jede Menge potenzieller A-Nationalspieler, die sich beim 1:2 gegen Spanien gut, aber eben nicht gut genug präsentierten, um erstmals in der Geschichte des DFB einen Titel zu verteidigen. Spanien krönte sich zum fünften Mal zum Titelträger und schloss in diesem Alterssegment damit zu Rekordgewinner Italien auf, für Deutschland bleiben zwei EM-Titel bei den U21-Junioren.

Beim ersten Titelgewinn vor fast auf den Tag genau zehn Jahren entsandte Deutschland damals eine wirklich "Goldene Generation", von der sich danach mehr als ein Dutzend Spieler bei den Grossen wiederfanden und sich einige sogar mit dem WM-Triumph 2014 in Brasilien unsterblich machten: Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Jerome Boateng, Mats Hummels, Sami Khedira und Mesut Özil prägten eine Ära.

Nun, angesichts des Umbruchs in Löws Mannschaft mit einer Neuausrichung aus strategischer und spielerischer Sicht, könnte Löw ein paar frische Gesichter in seiner Mannschaft gut gebrauchen - zumal es in den Jahrgängen danach nicht mehr so rosig aussieht.

Einige sind ja längst beim Bundestrainer gelandet: Leroy Sane, Timo Werner, Kai Havertz, Julian Brandt - sie alle wären spielberechtigt gewesen für die U21-EM. Andere sollen auf Sicht aufrücken. Allerdings: So viele wie erhofft, um den Konkurrenzkampf in der A-Nationalmannschaft weiter zu befeuern, dürften es am Ende nicht werden.

Jonathan Tah ist gesetzt

Jonathan Tah ist nicht nur Kapitän der U21, sondern bei Löw auch schon länger eine Option. Der Leverkusener hat bei den Titelkämpfen jetzt auf und ausserhalb des Platzes seine Reife gezeigt. Tah pendelte schon in den letzten beiden Jahren zwischen der A-Nationalmannschaft und der U21 hin und her.

Die Reise bei den "Kleinen" ist jetzt für Tah vorbei, bei Löw wird er sich in Zukunft mit Niklas Süle, Matthias Ginter, Thilo Kehrer und Niklas Stark um einen Platz in der Innenverteidigung streiten - und er dürfte dabei nicht die schlechtesten Karten haben.

Ebenso wie Lukas Klostermann. Die Positionen auf den Aussen in der Viererkette oder als Aussenbahnspieler vor einer Dreierkette waren über ein Jahrzehnt lang die grosse Problemstelle der Nationalmannschaft. Neben Philipp Lahm drängte sich unter Löws Regie keine adäquate Alternative oder ein Pendant auf, sodass Lahm ständig von einer Seite auf die andere geschoben wurde.

Alternativen für die Aussenbahnen

Nun sieht es etwas besser aus, links hat sich Nico Schulz etabliert, während auf der rechten Seite Klostermann in Konkurrenz mit gleich zwei Spielern tritt: Kehrer kann auch als Rechtsverteidiger spielen, und Benjamin Henrichs hat bei der U21-EM mit starken Leistungen auf sich aufmerksam gemacht.

Mit dem Wechsel nach Monaco ist Henrichs ein wenig aus dem (deutschen) Fokus verschwunden, jetzt in Italien hat er sich eindrucksvoll zurückgemeldet und wird, wie Klostermann auch, eine Alternative für die A-Nationalmannschaft sein - links oder rechts.

Maximilian Eggestein spielte zwar kein besonders auffälliges Turnier, dem Bremer waren die Strapazen der langen Saison deutlich anzumerken. Trotzdem ist er für den sehr direkten Fussball der A-Mannschaft in Zukunft eine Option.

Eggestein kann auf der Sechs oder in den Halbräumen spielen und bringt von Strafraum zu Strafraum sehr viel Intensität ins Spiel. Dazu kommt, dass er ein absoluter Musterschüler ist. Keiner, der sich vor Talent kaum retten kann, sondern der sich in den letzten drei Jahren alles hart erarbeitet hat, der lern- und wissbegierig ist und eine tolle Mentalität mitbringt - ähnlich wie Florian Neuhaus.

Der Senkrechtstarter aus Gladbach hat ein überragendes Spielverständnis. Aber Neuhaus hat auch erst eine Saison in der Bundesliga gespielt und wird seine guten Leistungen der Vergangenheit erst bestätigen müssen. Erst dann wird er für Löw interessant, obwohl der Spieler jetzt schon fast alles mitbringt.

Nübel als Herausforderer

Und dann gibt es noch zwei Sonderfälle: Alexander Nübel und Luca Waldschmidt. Im Torhüterland Deutschland ist es schwer genug, überhaupt eine Einladung zur A-Nationalmannschaft zu bekommen, geschweige denn die Nummer eins zu werden. Die ist bei Löw seit über neun Jahren Manuel Neuer, und so schnell wird sich daran wohl auch nichts ändern. Selbst Marc-Andre ter Stegen, der in Barcelona mit Weltklasseleistungen aufwartet, kommt derzeit nicht an Neuer vorbei.

Nübel ist wegen seines recht offensiven Torwartspiels mit Neuer und ter Stegen zwar zu vergleichen, aber auf allen Ebenen noch weit vom Duo entfernt. Für den Schalker spricht der Faktor Zeit.

Neuer ist 33, ter Stegen 27 Jahre alt. Nübel wird im Herbst 23 und ist trotzdem selbstbewusst genug, sich der grossen Aufgabe zu stellen. Dafür muss er aber noch an seiner Konstanz feilen. Fehler wie im Finale oder im Spiel gegen Österreich überschatten seine ansonsten sehr starken Leistungen bei der EM und wiegen auf seiner Position eben doppelt schwer.

Waldschmidt als Kruse

Einen Spieler wie Waldschmidt hätte Löw längst (wieder) in seinem Kader haben können. Die Grundlage für eine Zusammenarbeit mit Max Kruse ist für Löw aber längst nicht mehr vorhanden - auch wenn der Bundestrainer in dieser Sache nicht klar Stellung bezieht.

Mit Waldschmidt präsentierte sich nun ein ähnlich veranlagter Spieler auf den klassischen Kruse-Positionen: Mal als Stürmer, mal als Zehner, mal im Halbraum oder sogar als Ballschlepper in ganz tiefen Regionen. Waldschmidts Spielintelligenz und sein linker Fuss sind gefährliche Waffen. Zwar ist in Löws Offensive angesichts der hochkarätigen Besetzung nicht mehr besonders viel Platz. Eine zusätzliche Option könnte Deutschlands Angriff aber wohl schon noch vertragen.

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