In England sorgt der Fall Lucas Paqueta für Schlagzeilen – und zahlreiche offene Fragen. Der Brasilianer von West Ham United soll sich absichtlich Gelbe Karten abgeholt haben, auf die in seiner Heimat gewettet wurde. Sportwissenschaftler Daniel Memmert ordnet den Fall im Gespräch mit unserer Redaktion ein.
Eigentlich ist das Ding durch. Die 94. Minute läuft in der Partie der Premier League zwischen dem FC Bournemouth und West Ham United, zwei Minuten sind noch zu spielen. 1:1 steht es in der Begegnung des ersten Spieltags, als es zu einem Kopfballduell im Mittelfeld kommt. Lucas Paquetas etwas zu harter Einsatz gegen Illja Zabarnyi wird abgepfiffen. Als Paqueta sich beim Schiedsrichter beschwert, sieht er Gelb. Eine Allerweltsaktion, so scheint es. Doch die Verwarnung setzte eine Kettenreaktion in Gang, durch die Paquetas Karriere möglicherweise auf der Kippe und der englische Fussball vor einem Wettskandal steht.
Denn die Gelbe Karte für den Brasilianer löste einen Korruptions-Alarm aus und beschleunigte eine Untersuchung des englischen Verbandes, die hinter den Kulissen bereits seit Monaten lief, wie die Daily Mail berichtet. Eine Gelbe Karte gegen Paqueta beim 1:1 im Premier-League-Spiel gegen Aston Villa hatte die Ermittler bereits im März auf den Plan gerufen. Offensichtlich ohne Not senste der Brasilianer in der 70. Minute kurz vor der Mittellinie einen Gegenspieler um. Eine sichere Gelbe. Auch eine sichere Wette?
Ungewöhnliche Anzahl an Wetten
Buchmachern in Brasilien fiel damals auf, dass ungewöhnlich viele Wetten auf eine Verwarnung Paquetas in diesem Spiel gesetzt wurden. Dass die meisten der verdächtigen Wetten auf die Insel Paqueta in der Bucht von Rio de Janeiro zurückverfolgt wurden, verschärfte den Verdacht, denn sie ist auch Paquetas Heimatort. Weiteres Indiz: Für die Wetten wurden angeblich extra dafür eröffnete Konten von Paquetas Bekannten verwendet. Diese Konten spielten auch bei den jüngsten Bournemouth-Wetten eine entscheidende Rolle.
Es bahnt sich ein Skandal an, der den Sportwissenschaftler Daniel Memmert ein Stück weit sprachlos macht. "Ich kann mir das eigentlich gar nicht vorstellen, denn das wäre Wahnsinn. Diese Relationen passen überhaupt nicht. Es ergibt keinen Sinn", sagt der Experte von der Sporthochschule Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Einsätze, die getätigt wurden, sind nicht bekannt, sie sollen aber hoch gewesen sein. Sie haben aber sicher nicht annähernd das Volumen wie der Deal, der durch die öffentlich gewordenen Ermittlungen nun wohl geplatzt ist.
Paqueta sollte für 100 Millionen Euro von West Ham zu Manchester City wechseln, um dort
Kategorie Unwissenheit und Dummheit
Normalerweise passiere so etwas relativ selten, denn es gehe in den grossen Ligen einfach um zu viel Geld, sagt Memmert und verweist auf die eigenen Studien zum Thema "Bekämpfung der Spielwettbewerbsmanipulation" aus dem Jahr 2021 sowie "Korruption und Selbstsabotage in Sportwettbewerben" aus dem Jahr 2022. "Wir konnten in Experimenten zeigen, dass es eine sehr starke Rolle spielt, ob man glaubt, dass man erwischt wird oder nicht. Und in den kleineren Ligen ist es viel schwieriger, so etwas aufzudecken. Und da ist der Benefit für alle Beteiligten dann auch viel grösser als in den grossen Ligen." Heisst im Fall Paqueta: "Wenn das so passiert ist, dann war das die Kategorie Unwissenheit, Dummheit neben der kriminellen Energie, die auch noch dahintersteckt", sagt Memmert.
Aber es gibt nun mal auch die Fakten. Dass die Frühwarnsysteme der Wettanbieter und des Verbandes angeschlagen haben. Dazu die Wetten, die platziert wurden, sowie die seltsamen Gelben Karten, denn Bournemouth war kein Einzelfall. Neben den Verwarnungen im März und August war auch eine im Mai auffällig und ist ebenfalls Bestandteil der Untersuchung. All das wirkt erdrückend.
Ein paar Auffälligkeiten zu viel
Auch für Memmert sind das ein paar Auffälligkeiten zu viel, aber auch der Beweis: "Die Frühwarnsysteme sind gut, sie greifen, denn man sieht, dass es sofort aufgedeckt wird." Das grosse Problem: Aktuell gilt natürlich immer noch die Unschuldsvermutung, doch eine Vorverurteilung ist schnell passiert. Und es ist daher kaum vorzustellen, was passiert, wenn Paqueta am Ende unschuldig sein sollte. "Dass es so lange Zeit braucht, bis es final entschieden wird, ist katastrophal. Die weiteren Prozesse müssen dringend optimiert werden, denn das ist ja auch für den Spieler belastend", so Memmert.
Wie gross ist denn das Problem von Wettbetrug im europäischen Profi-Fussball? "Es ist eher ein Problem, dass es sehr selten auftritt, weil es einfach keinen Sinn ergibt für den Spieler. Und die verschiedenen Systeme, die anschlagen, die sind sehr, sehr gut und funktionieren", betont Memmert. In Asien sei das anders, "da wird gewettet ohne Ende, und da ist das Thema Wettbetrug ein grosses Problem und quasi an der Tagesordnung. Aber in den grossen europäischen Ligen, wo auch richtig viel Geld umgesetzt wird, da gibt es strikte Regeln, die im Normalfall auch eingehalten werden."
Aufflammende Skandale wie jüngst in den Niederlanden seien Einzelfälle, "die kommen vor", sagt Memmert, "aber das ist auf gar keinen Fall ein Trend". Dann schon eher der aktuelle Skandal in Brasilien, wo Spieler systematisch Partien manipuliert haben sollen. Auch hier sind es die unteren Ligen, wo aufgrund der mangelnden Überwachung Manipulationen einfacher durchzuführen sind.
So gut ist die Bundesliga vorbereitet
Und in Deutschland? Die Studie von Daniel Memmert ergab, dass rund um Bundesliga und 2. Liga bereits eine Vielzahl an präventiven Massnahmen in Bezug auf Spielmanipulation vorhanden ist. Von Workshops, einem e-Learning- Tool und Webinaren über den Ombudsmann Carsten Thiel von Herff und die DFL Integrity App bis hin zum Projekt "Gemeinsam gegen Spielmanipulation" und den für die Mannschaften und Nachwuchsleistungszentren verpflichtenden Schulungen als Voraussetzung für die Erteilung der Lizenz zur Teilnahme am Spielbetrieb besteht ein breites Angebot. Hinzu kommt die Zusammenarbeit mit Sportradar, sowohl zur Überwachung des Wettmarktes als auch zur Durchführung der Pflichtschulungen, sowie mit Transparency International Deutschland e.V., unter anderem zur Erarbeitung von Präventionsmassnahmen.
Was zusätzlich gegen mögliche Verstösse helfen kann, ist eine zusätzliche Sensibilisierung der Spieler, das könne man deutlich optimieren, so Memmert. Zum Beispiel durch einen Test, ob die Spieler die Regeln, Vorgaben und Hintergründe auch komplett verstanden haben. "Ein Testsystem als Voraussetzung, um überhaupt am Ligenbetrieb teilnehmen zu dürfen, das wäre die letzte Stufe der Optimierung. Wir haben dazu entsprechende Programme bereits erstellt. Die DFL könnte sie leicht übernehmen." Der zweite Weg sind harte Strafen, "sie sind das richtige Mittel. Die Fussballer müssen sehen, dass es den direkten Berufsausschluss gibt, wenn so etwas passiert". Was im Falle der Schuld Paquetas bedeuten würde, dass der 25-Jährige nicht nur für Monate, sondern Jahre vom Fussball ausgeschlossen wird.
Verwendete Quelle:
- dailymail.co.uk: Three Lucas Paqueta bookings are under scrutiny in FA gambling probe including the first match of THIS season
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