Eigentlich wollte Winfried Schäfer noch einmal eine Nationalmannschaft zu einer WM führen. Doch anstatt an der Seitenlinie zu stehen, ist der frühere KSC-Erfolgscoach aktuell in Ghana als Direktor Fussball tätig. Steht dem 75-Jährigen auf der Suche nach einem neuen Trainerjob das Alter im Weg? Schäfer gibt darauf eine klare Antwort.

Ein Interview

Als Kamerun-Trainer nahm Winfried Schäfer, der zuvor zwölf Jahre den KSC betreut hatte, an der WM 2002 teil. Bis heute ist er nicht mehr in den deutschen Fussball zurückgekehrt. Schäfer ist das, was man gemeinhin einen "Weltenbummler" nennt. Von seiner abenteuerlichen Fussball-Reise berichtet er nun in seiner Autobiografie "Wildpark, Scheichs und Voodoozauber".

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Im Interview mit unserer Redaktion spricht "Winnie" Schäfer über legendäre Europapokal-Momente und ein Angebot von Uli Hoeness. Zudem verrät die Trainer-Legende, was ihn an gewissen TV-Experten stört und wie er über Bundestrainer Julian Nagelsmann denkt.

Herr Schäfer, mehr als 20 Jahre nach Ihrem Engagement als Nationaltrainer Kameruns sind Sie in den afrikanischen Fussball zurückgekehrt. Was machen Sie in Ghana genau?

Winfried Schäfer: Seit Anfang des Jahres bin ich beim ghanaischen Verband als Direktor Fussball tätig. Nachdem Ghana die Quali für den Afrika-Cup nicht geschafft hatte, wurde ich angerufen und um Hilfe gebeten. Ich habe diese Aufgabe sehr gerne übernommen. Gleichzeitig berate ich Otto Addo (ehemaliger BVB-Profi; Anm. d. Red.), der weiterhin der Trainer ist und natürlich die Entscheidungen zu treffen hat.

Ursprünglich wollten Sie nochmal eine Nationalmannschaft als Trainer zur WM 2026 führen. Warum haben Sie sich nun anders entschieden?

Ich war mit zwei afrikanischen Nationalmannschaften in Kontakt, mit Nigeria und Simbabwe. Leider hielt man mich in Nigeria mit 75 für zu alt. Die Leute wissen gar nicht, wie viel meine Erfahrung, die ich mitbringe, wert ist. Entscheidend ist nicht das Alter. Entscheidend ist das, was sich im Kopf abspielt und was die jeweilige Person beitragen kann. Nehmen wir Carlo Ancelotti: Trotz seiner "schon" 65 Jahre ist er für mich aktuell der beste Trainer der Welt.

Sie kennen beide Extreme. Als Sie 1986 das Traineramt beim Karlsruher SC übernahmen, waren Sie 36. Einige im Verein und im Umfeld hielten Sie für zu jung …

Das stimmt. Es gab aber eine Vorgeschichte. Ich war unter "Calli" Rühl (2019 verstorben; Anm. d. Red.) zwei Jahre lang Spieler beim KSC. Rühl hatte als Trainer in Karlsruhe damals das Problem, dass dem Klub das nötige Geld für Verstärkungen fehlte. Einige Jahre nach meiner Rückkehr nach Gladbach, wo mich Jupp Heynckes zum Schluss auch als Spielerbeobachter eingesetzt hatte, traf ich bei einem Juniorenspiel zufällig auf "Calli". Wir unterhielten uns – und wenige Tage später unterbreiteten er und Präsident Roland Schmider mir ein Angebot für den Trainerjob beim KSC.

Das legendäre 7:0 gegen Valencia: So schlich sich der gesperrte KSC-Trainer Schäfer in die Kabine

Wie konnte man Sie mit Blick auf die angespannte finanzielle Lage im Klub überzeugen?

Da wurde von vornherein mit offenen Karten gespielt. Und ich wollte diesen Job unbedingt übernehmen. Meine Frau machte dann einen Vorschlag: Ich sollte für jeden einzelnen Zuschauer, der über dem benötigten Schnitt von 5.600 lag, eine D-Mark erhalten. Dieser Passus wurde dann auch in den Vertrag aufgenommen. Nach einem holprigen Start in der 2. Liga starteten wir durch und stiegen auf. Unser Schnitt lag am Ende bei 25.000 Zuschauern – ein guter Deal für beide Seiten.

Der Höhepunkt war der legendäre 7:0-Sieg gegen den FC Valencia (nach einem 1:3 im Hinspiel) im Uefa-Cup 1993/94. Sie waren für beide Spiele gesperrt, liessen sich aber in die Kabine "schmuggeln". Heute undenkbar, oder?

(lacht) Sicherlich. Ich muss dazu sagen: Ich wurde in meiner Trainerkarriere einige Male auf die Tribüne geschickt – doch damals, in Eindhoven, hatte ich wirklich nichts gemacht. Ich sass auf der Lehne und stellte meine Füsse auf dem Sitz ab. Auf einmal kam der Schiedsrichter zu mir und stellte mich vom Platz. Ich wurde für beide Valencia-Spiele gesperrt. Vor dem Rückspiel schlich ich mich dann in die Kabine und gab unserem Zeugwart den Hinweis, mich vor dem Uefa-Mann zu warnen, sollte dieser auftauchen. Irgendwann rief er: "Trainer, Uefa, Uefa, Uefa!" Unter einer Decke versteckt, verschwand ich dann schnell in meinem separaten Trainerzimmer. Von dort aus ging ich durch den Haupteingang ins Stadion.

Später wurden Sie zum "Weltenbummler". Weil Sie keine interessanten Angebote aus der Bundesliga mehr bekamen?

Zunächst einmal endete mein Kamerun-Engagement 2004, weil auch der neue Sportminister keine Gehälter an die Spieler ausgezahlt hatte. Den Jungs stand das Geld aber zu. Nach dieser Zeit war es für mich schwierig, einen neuen Trainerjob in Deutschland zu bekommen. Man muss auch einen guten Agenten mit sehr guten Beziehungen haben. Ich bekam dann ein Angebot von al-Ahli Dubai und liess mich darauf ein.

Winnie Schäfer: Bayern-Absage rückblickend "ein grosser Fehler"

Hätten Sie sich in Deutschland mehr Anerkennung gewünscht – auch in Form von lukrativen Angeboten?

Die Angebote aus Deutschland blieben ja erst später, nach meiner Zeit in Kamerun, aus. Hinter vorgehaltener Hand wurde gesagt, dass ich zu lange raus gewesen wäre und den deutschen Fussball nicht mehr gut genug kennen würde. Das war natürlich völliger Quatsch. Aber in der Zeit, als wir mit dem KSC im Uefa-Cup spielten, hatte ich drei Angebote aus der Bundesliga: von Borussia Dortmund, vom 1. FC Köln und vom FC Bayern München.

Schäfers Autobiografie "Wildpark, Scheichs und Voodoozauber" erschien Anfang April. © Edel Sports

Warum sagten Sie den Bayern ab?

Uli Hoeness hatte mich kontaktiert – allerdings in einer Phase, in der ich mich als Trainer nicht entscheiden konnte. Der Anruf erreichte mich, als ich gerade meine Tasche für eine Reise nach Wien packte, wo wir im Halbfinale auf Casino Salzburg treffen sollten. Es war ein gutes Gespräch, aber ich konnte ihm in diesem Moment nicht zusagen. Rückblickend und vor dem Hintergrund, wie es in Karlsruhe auseinandergehen sollte, war es ein grosser Fehler. Ich hätte Uli am nächsten Tag in Ruhe zurückrufen sollen. Aber der KSC war mein Verein, ich hatte diesen Klub gross gemacht.

"Jeder, der da heute rumquatscht, hat früher als aktiver Fussballer mindestens genauso viele Fehler gemacht – wenn nicht sogar mehr."

Winfried Schäfer über TV-Experten

Beim KSC sprachen Sie dem damals jungen Oliver Kahn das Vertrauen aus und erlaubten ihm, auch Fehler zu machen. Dürfen sich Fussballer heutzutage keine Fehler mehr erlauben, weil von den TV-Experten alles bis ins kleinste Detail analysiert wird?

Es stimmt. Jeder, der da heute rumquatscht, hat früher als aktiver Fussballer mindestens genauso viele Fehler gemacht – wenn nicht sogar mehr. Ich erinnere nur an das entscheidende Gegentor, das Oliver Kahn 2002 im WM-Finale gegen Brasilien kassierte. Dieser Ball wurde im Mittelfeld vertändelt. Und der Spieler, der den Ball damals verloren hatte, war Dietmar Hamann. Olli war dann der "Dumme", der es ausbaden und den Ball halten sollte. Auch wenn ihm das in dieser Situation nicht gelungen war, wurde er zum besten Torwart des Turniers gewählt. Gewisse TV-Experten sollten ein bisschen aufpassen…

Am Anfang Ihrer Trainerlaufbahn haben Sie die KSC-Spieler bei einer Ansprache, wie in Ihrem Buch zu lesen ist, mit folgendem Satz zu motivieren versucht: "Von den Bayern-Spielern möchte ich keinen im Kader haben." Gilt das noch heute?

(lacht) Wir gewannen damals relativ häufig gegen die Bayern. Einmal nahmen wir ihnen sogar die Meisterschaft weg, Bremen holte dann den Titel. Heute haben wir es natürlich mit einem ganz anderen FC Bayern zu tun. Wäre ich aktuell als Trainer tätig, würde ich zum Beispiel zu Joshua Kimmich nicht Nein sagen. Ich habe nie verstanden, warum er eine Zeit lang so viel Kritik um die Ohren bekam. Für mich war er schon vor Jahren ein fantastischer Mittelfeldspieler. So wie er gespielt hat, mit langen Pässen hinter die Abwehr und mit Diagonalpässen, wird heute leider nicht mehr gespielt. Heute orientieren sich zu viele an Pep Guardiola, der das Ballhalten quasi eingeführt hat.

Was halten Sie von Bundestrainer Julian Nagelsmann? Seine Laufbahn als Profitrainer begann sogar noch früher als Ihre damals.

Zunächst einmal freue ich mich, dass er mit der Nationalmannschaft auf einem ganz guten Weg zu sein scheint. Julian ist ja bei den Bayern nicht gescheitert, weil er kein guter Trainer ist, sondern weil er in einer schwierigen Situation in den Ski-Urlaub gefahren ist und damit ein falsches Zeichen gesetzt hat. Man hätte mit dem Jungen reden und ihn ins Thema holen sollen. Jetzt ist es ihm gelungen, den deutschen Fussball zu beleben. Dennoch haben wir nach wie vor das Problem, dass die Schlüsselpositionen in den Bundesliga-Vereinen vorwiegend von ausländischen Spielern besetzt sind. Wir haben keinen Neuner mehr – nur weil Pep damals gesagt hat, dass man im heutigen Fussball keinen Mittelstürmer mehr braucht. Die besten Neuner kommen im Moment aus Afrika.

Ein Pep-Fan werden Sie nicht mehr, oder?

Nein, weil der deutsche Fussball seinen Ballbesitz-Fussball nicht brauchte. Mir ist das zu viel Klein-Klein. Wir sind mit unserem Spiel über die Flügel, mit Flanken und Eins-zu-Eins-Situationen in der Vergangenheit immer gut gefahren. Schauen sie mal, wie viele Vereine Schwierigkeiten haben, ihre Heimspiele zu gewinnen. Am 25. Spieltag gab es in der Bundesliga keinen einzigen Heimsieg. Warum ist das so? Weil der Ballbesitz zu Hause gegen defensiv eingestellte Gäste nichts bringt. Als Heimmannschaft muss man versuchen, hinter die Abwehr und in den Strafraum zu kommen. Mit 80 Prozent Ballbesitz, aber keinem Torschuss, kannst du nicht gewinnen.

Warum die Trainer-Legende keine Hilfsmittel wie Laptops und Tablets am Spielfeldrand braucht

Werden Sie nochmal in den deutschen Fussball zurückkehren?

Natürlich würde ich das machen. 75 ist nur eine Zahl. Und ich erkenne Dinge, ohne dafür in den Laptop schauen zu müssen. Bei meiner Tätigkeit in Ghana sitze ich auf der Tribüne und teile Otto Addo in der Halbzeit meine Erkenntnisse mit – ohne dabei den Ober-Trainer zu geben. Ich möchte ihm und seinem Team nur helfen. Eine ähnliche Aufgabe könnte ich mir auch in Deutschland vorstellen. Ich könnte es jedenfalls.

Braucht es Ihrer Meinung nach keine Tablets am Spielfeldrand?

Sicherlich kann es hilfreich sein, sich gewisse Szenen nochmal anschauen zu können. Aber wenn man so lange wie ich – oder auch wie andere Trainer – an der Linie gestanden hat, weiss man, dass es viel wichtiger ist, direkt zu reagieren und auf die Spieler einzuwirken. Alles hat sich verändert – und das ist auch völlig in Ordnung. Doch ich brauche diese Hilfsmittel nicht.

Über den Gesprächspartner

  • Winfried Schäfer ist ein ehemaliger deutscher Fussballspieler und Fussballtrainer. Den Grossteil seiner aktiven Karriere verbrachte "Winnie" bei Borussia Mönchengladbach, ehe er 1986 das Traineramt beim Karlsruher SC übernahm. Unter ihm stieg der KSC in die Bundesliga auf und erreichte das Uefa-Cup-Halbfinale. Schäfer blieb zwölf Jahre in Karlsruhe. Über die Stationen VfB Stuttgart und TB Berlin führte ihn sein Weg ins Ausland – er arbeitete u.a. in Kamerun, Aserbaidschan, Thailand, Jamaika, den Vereinigten Arabischen Emiraten und im Iran.