Während sich der Konflikt in der Ostukraine weiter zuspitzt, werden immer mehr Stimmen laut, die die Neuvergabe der WM 2018 fordern. Dieses Turnier dürfe nicht in Russland stattfinden. Was sind die Gründe für diese Forderung und hätte die Fifa überhaupt die Möglichkeit die Weltmeisterschaft in ein anderes Land zu verlegen?
Wladimir Putin musste Platz nehmen zwischen
Russlands Präsident hat nicht viel übrig für den Fussball. Eigentlich finde er den Sport eher langweilig, "viel lieber schaue ich privat Eishockey", sagt
Seit Freitag steht der ohnehin heftig umstrittene Kreml-Chef noch mehr im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Der Abschuss der Passagiermaschine der Malaysia Airlines in der Ostukraine wird prorussischen Separatisten angelastet. Fast alle Indizien sprechen dafür, dass die Russland- und damit Putin-treuen Milizen für den Tod von 295 Menschen, die meisten davon aus den Niederlanden, verantwortlich sind.
Dass die mutmasslichen Attentäter die anschliessenden Bergungs- und Aufklärarbeiten massiv behindert und offenbar sogar Leichen sowie die Blackbox von der Absturzstelle haben verschwinden lassen, wird für Moskau zu einem immer grösser werdenden Problem. Nicht nur, dass Putin längst im Kreuzfeuer der Kritik aus Politik und Wirtschaft steht - nun werden auch immer mehr Stimmen laut, die die Vergabe der Weltmeisterschaft 2018 nach Russland in Frage stellen.
"Boykottiert die WM"
Speziell aus den Niederlanden werden die Rufe nach einem Boykott oder einer Neuvergabe der Spiele immer lauter. "Ich rufe den Fussball-Verband KNVB, die Regierung und den Fussball-Weltverband Fifa auf, die WM 2018 in Russland zu boykottieren", fordert John van't Schip, Europameister von 1988 und ehemaliger Co-Trainer der Elftal.
Putin gehe es einzig und allein ums Prestige, auf der anderen Seite habe er sein Land aber schon lange nicht mehr unter Kontrolle, meint van't Schip. Er ist nicht allein mit dieser Einschätzung. Schon länger werden zahlreiche Verletzungen von Menschen-, Persönlichkeits- und Völkerrechten, sowie dem Recht auf Freiheit in Russland, die Diskriminierung von Ausländern und Migranten, einzelner Religionen, von Schwulen und Lesben scharf angeprangert.
Unter anderem mit seiner Sportoffensive will der Kreml dieser Kritik entgegensteuern. Die WM wäre nach der Leichtathletik-WM 2003, den Olympischen Spielen 2014 und einem im Oktober erstmals auf russischem Boden stattfindenden Formel-1-Rennen (in der Olympia-Stadt Sotschi) das vierte Grossereignis von globaler Bedeutung.
"Zentrum der Sportwelt"
"Wir wollen das Zentrum der Sportwelt werden", sagt Putins Sportminister Witalki Mutko. Die Frage ist im doppelten Sinne: Zu welchem Preis? Olympia kostete den russischen Steuerzahler rund 50 Milliarden Euro. Bereits jetzt schätzt Mutko die Ausgaben für die WM auf 25 Milliarden Euro. Das wäre doppelt so viel wie bei der ohnehin schon völlig überteuerten WM in Brasilien - ohne einen Cent in die Infrastruktur wie Flughäfen oder Zugverbindungen gesteckt zu haben. Durchschnittlich fielen in den geplanten zwölf Stadien somit mehr als 12.000 Euro Baukosten pro Sitzplatz an. Zur Kostenexplosion gesellen sich spätestens seit der Tragödie um Flug MH17 nun auch wieder die Fragen um die Sicherheitskonzepte und nicht zuletzt um Ethik und Moral. "Ob es vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse angemessen ist, in vier Jahren eine Fussball-Weltmeisterschaft in Russland auszurichten, das kann man durchaus in Frage stellen", sagte der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs bereits im Frühjahr, als der Konflikt in der Ukraine eine neue Qualität erreichte.
Die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach ging sogar noch einen Schritt weiter: "Ich halte es für unvertretbar, dass bei einem solchen Kriegstreiber wie Putin die nächste Fussball-WM stattfindet!" Die Fifa hat sich bisher noch nicht an den Debatten beteiligt. "For the Game. For the World", behauptet der Fussball-Weltverband. Aber was, wenn die Welt nicht in Putins Reich reisen will? Wenn die jetzt schon offenkundigen Interessen des Kreml-Chefs bei den Entscheidungsträgern der Verbände für noch mehr Unbehagen sorgen?
Neuvergabe der WM 2018 und 2022?
Mit der WM 2022 in Katar hat sich die Fifa seit der Vergabe einen Rattenschwanz an Problemen eingehandelt. Die WM 2018 in Russland lief bisher fast unter dem Radar. Nun stehen beide Veranstaltungen im Kreuzfeuer der Kritik. Eine Neuvergabe ist für beide Turniere nicht mehr abwegig. Zeit genug wäre auf jeden Fall. Bis auf das Stadion in St. Petersburg, bei dem die Bauarbeiten schon weit fortgeschritten sind, wird bisher kaum an anderen Spielstätten gebaut. An den Infrastrukturen der einzelnen Spielorte hat sich noch gar nichts getan.
Die Fifa jedenfalls hat schon einmal bewiesen, dass sie ein Turnier mit entsprechendem Vorlauf auch anderweitig vergeben kann. 1986 war Kolumbien als Gastgeber auserkoren. Als die Fifa dann die Teilnehmerzahl von 16 auf 24 Mannschaften erhöhte, konnten die Südamerikaner das Turnier nicht mehr ausrichten. Gut drei Jahre vor dem Eröffnungsspiel entschied sich die Fifa, die WM an Mexiko zu vergeben.
Deutschland wäre eine Alternative
An potenziellen Ersatzkandidaten sollte es kaum mangeln. Deutschland mit seiner hervorragenden Infrastruktur und den top-modernen Stadien wäre ein Ausweichkandidat. Ebenso England, das sich ohnehin für die WM 2018 beworben hatte und das ohne die ganz grossen finanziellen Anstrengungen schnell und zuverlässig Fifa-Standards erreichen könnte. Und natürlich die USA, das Boom-Land des Fussballs schlechthin. Die Stadien der Major League Soccer haben längst europäische Standards erreicht und die USA haben als Gastgeber auch bereits 1994 bewiesen, dass sie einem Grossereignis dieser Kategorie gewachsen wären.
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