- In Norwegen mehren sich die Stimmen, die einen Verzicht auf die Teilnahme an der Weltmeisterschaft fordern.
- Und auch in Deutschland regt sich Widerstand: So fordert das Bündnis "Pro Fans" den DFB zu einem WM-Boykott auf.
- Die FIFA ist nicht begeistert und es drohen harte Strafen für Boykotteure.
Was völlig surreal erscheint, könnte schon bald Realität werden: Eine Fussball-WM 2022 ohne BVB-Stürmerstar
Auslöser war ein Bericht im "Guardian", demzufolge auf den WM-Baustellen im Wüstenstaat seit der WM-Vergabe 2010 bereits 6.500 Arbeiter aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka tödlich verunglückt sind. Der "Guardian" beruft sich auf Behördenangaben der Länder, verstorbene Arbeiter aus anderen Ländern sind dabei noch nicht erfasst. Die Gesamtanzahl könnte also noch höher liegen.
WM 2022: In Norwegen formiert sich Widerstand
Angesichts dieses erschütternden Berichts hat sich vor allem in Norwegen Widerstand formiert. Sieben der 16 norwegischen Erstligaklubs sprachen sich vor der Verbandssitzung am vergangenen Sonntag für einen WM-Boykott aus. Die vom Klub Tromsö IL ins Leben gerufene Bewegung hat ein Logo, das den WM-Pokal auf einem Haufen Totenschädel zeigt.
Nationaltrainer Stale Solbakken sagte auf einem Pressetermin zur norwegischen Bewegung: "Wir haben einen Weltstar, einen halbverrückten Trainer und junge, nach vorne stürmende Spieler. Wir müssen gross denken." Er forderte: "Wir müssen Druck machen!" Der Sport habe die Kraft, "Signale zu setzen".
Auch in Deutschland regt sich Widerstand. So forderte das Bündnis "Pro Fans" den DFB zu einem WM-Boykott auf. Die Fan-Organisation erklärte in ihrem Statement: "Es gibt nichts, was es rechtfertigen könnte, die Menschenrechtsverletzungen in Katar hinzunehmen, ja, gar durch die Teilnahme am Turnier wissentlich, billigend zu unterstützen". Eine Teilnahme am Turnier in Katar wäre "das Ende von Ethik und Würde". Angesichts der tausenden verstorbenen Arbeiter wäre die WM 2022 aus Sicht des Bündnisses "ein rauschendes Fussballfest auf den Gräbern von tausenden Arbeitsmigranten".
DFB reagiert auf Forderung von "ProFans"
Der DFB selbst zeigt sich von diesen Forderungen relativ unbeeindruckt. "Die Menschenrechtslage in Katar wird innerhalb des DFB, dessen Nationalmannschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für das Turnier qualifiziert ist, intensiv diskutiert", teilt der Verband der "Sportschau" mit.
Und weiter: "Der DFB setzt sich in seinem Einflussbereich gemäss seiner Satzung und Werte dafür ein, dass an den Missständen gearbeitet wird und Menschenrechte geachtet werden."
Weltmeister Frankreich hat einem WM-Boykott bereits vor geraumer Zeit eine Abfuhr erteilt. "Katar wurde vor langer Zeit von verantwortlichen Personen ernannt, wir werden ein Jahr vorher die Organisation nicht infrage stellen. Frankreich wird in Katar sein, wenn es sich qualifiziert", sagte Verbandspräsident Noël Le Graët der Nachrichtenagentur "AFP".
Boykotteuren drohen harte Strafen von FIFA
Und die FIFA? Der Weltverband hatte das Grossereignis vor mehr als zehn Jahren an die Kataris vergeben. Heute äusserst sich FIFA-Präsident Gianni Infantino so: "Ich glaube nicht, dass der Boykott der WM ein richtiger Ansatz ist."
Boykotteuren drohen empfindliche Strafen. Die Geldstrafe von bis zu 40.000 Franken ist dabei noch das kleinere Übel. Der Fussball-Weltverband kann laut der eigenen Regularien auch den Ausschluss von künftigen FIFA-Turnieren veranlassen.
Allein diese Tatsache macht einen Boykott der WM 2022 höchst unangenehm für einzelne Länder. Es bräuchte schon einen Zusammenschluss mehrerer grosser Fussball-Nationen, die gemeinsam das Turnier in Katar boykottieren wollen.
Doch diese Gruppierung wird es so höchstwahrscheinlich nicht geben, auch weil eine Alternative zum WM-Turnier im Mittleren Osten wohl kaum binnen eines Jahres aus dem Boden gestampft werden kann. Zudem dürften die zahlreichen WM-Neulinge und kleineren Nationen nur wenig Interesse daran haben, die FIFA-Veranstaltung zu boykottieren. Schliesslich war es der Weltverband, der das WM-Feld sukzessive aufgestockt hat und somit auch kleineren Nationen die WM-Teilnahme ermöglicht hat.
Norwegen vertagt Entscheidung über Boykott
Selbst in Norwegen ist ein Boykott ein grosses Stück unwahrscheinlicher geworden. Am vergangenen Sonntag, bei der Jahreshauptversammlung des norwegischen Verbandes, stimmten gerade einmal 61 Vertreter dafür, das Thema auf die Agenda zu setzen. 146 Delegierte stimmten dagegen. Eine Zweidrittelmehrheit wäre aber nötig gewesen.
So kann das Thema frühestens am 20. Juni, bei einem ausserordentlichen Bundestreffen, besprochen werden. Jedoch soll die Mannschaft um Superstar Erling Haaland bereits am 24. März in die WM-Qualifikation starten.
Verbandsboss Terje Svendsen sagte bereits im Vorfeld der Abstimmung, dass ein Boykott der Skandinavier die anderen Nationen "nicht einmal zu einem Schulterzucken veranlassen" würde.
Fussball wird Probleme in Katar übertünchen
Trainer Solbakken sagte, dass ein Boykott die Probleme der Arbeiter auf den Baustellen Katars nicht lösen würde.
So wird der Fussball wohl im Winter 2022 in Katar eine Weltmeisterschaft austragen. Von Boykotten wird dann aber höchstwahrscheinlich nicht mehr die Rede sein. Auch das Schicksal der Arbeiter auf Katars Baustellen dürfte dann nur noch eine Randnotiz sein.
Stattdessen werden die Leistungen von Haaland und Co. die Probleme und Skandale rund um die WM 2022 übertünchen, wie es bislang bei noch jeder Fussball-Weltmeisterschaft gelungen ist.
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