- Deutschland steht nach dem 1:2 gegen Japan schon wieder vor einem frühen WM-Aus.
- Ilkay Gündogan legt den Finger in die Wunde, andere finden deutlich bequemere Erklärungen.
- Dabei sind die deutschen Probleme längst chronischer Natur.
Nun kann man trefflich über die Wortwahl streiten und ob so ein Interview fast unmittelbar nach einem Spiel immer reflektiert genug sein kann.
"Aberwitzig" sei es, dass "wir mit einer Niederlage dastehen", sagte Müller also in der ARD, Torhüter
Eine gute Stunde lang hatte die deutsche Nationalmannschaft gegen Japan das Spiel im Griff, erspielte sich genug Chancen, um wenigstens drei oder vier Tore zu erzielen und konnte in der Defensive seine Problemzonen einigermassen kaschieren. Zwar konnte man auch in den dominanten Phasen der deutschen Mannschaft zumindest erahnen, was ein besserer Gegner als die Japaner mit den vereinzelt verteilten Geschenken machen würde – ihre seltsame Wende nahm die Partie aber erst in der Schlussphase.
Die hatte bei ganz nüchterner Betrachtung aber weder etwas mit Pech oder Unvermögen zu tun oder der schlechten Chancenverwertung, sondern mit der fehlenden Qualität im deutschen Spiel: Bei einigen Spielern, im Trainerteam und – fast schon eine Beleidigung für eine deutsche Nationalmannschaft bei einem grossen Turnier – bei der Fitness.
Schonungslose Kritik von Gündogan
Es war ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die Japan erst zurück ins Spiel brachte und dann die Partie völlig zugunsten des krassen Aussenseiters kippen liess. "Wenn du 1:0 führst und nicht in der Lage bist, das zweite zu machen, dann musst du es auch mal cool und souverän runterspielen. Ich weiss nicht, ob da die Reife fehlt oder auch ein Stück weit irgendwo die Qualität, für solche Situationen bereit zu sein", sagte der sichtlich desillusionierte
Der einzige deutsche Torschütze hörte sich in seiner recht schonungslosen Analyse fast so an wie vor gut einer Woche nach der Partie gegen Oman, als Gündogan fast wortgleich einige Missstände angeprangert hatte und zumindest zwischen den Zeilen seine Mitspieler in die Pflicht nahm. Offenbar hatte Gündogan von den Kollegen aber niemand so recht zugehört.
"Obwohl wir in den Positionen nicht schlecht spielen, fehlt so ein bisschen die Überzeugung mit dem Ball von hinten raus", führte Gündogan weiter aus. "Da haben wir uns in der zweiten Halbzeit auf lange Bälle verlassen und die, die wir gespielt haben, haben wir relativ einfach verloren. Da hat man das Gefühl gehabt, dass nicht jeder den Ball haben wollte." Das lässt tief hineinblicken in eine Mannschaft, die sich auch im zweiten, dritten, vierten Jahr in Folge partout nicht festigen und stabilisieren will.
Das Trainerteam findet keine Lösungen
Die partiellen Highlights oder Einzelleistungen einiger Spieler werden konterkariert durch individuelle oder kollektive Aussetzer, die Mannschaft übersteht kaum einmal eine Partie ohne Gegentor, der Torabschluss ist ein veritables Problem, in der Defensive fehlt es an der entsprechenden Qualität.
Gegen die Japaner, die eine Stunde lang kaum Ambitionen in der Offensive zeigten oder eine Spielidee, die über das schnelle Umschalten nach Ballgewinn hinausgeht, ging dem einen oder anderen Spieler Mitte der zweiten Halbzeit offenbar die Kraft aus. Plötzlich wirkten selbst einfache Aktionen schwerfällig, es fehlte die Härte im Zweikampf und mit jedem Zentimeter, den die Deutschen preisgaben oder zurückwichen, schöpfte Japan mehr Zutrauen.
Und weil auch
Die deutsche Mannschaft kann an guten Tagen oder zumindest in guten Phasen eines Spiels mit so ziemlich jeder anderen Mannschaft der Welt mithalten. Aber sie ist nicht in der Lage, diese hohe Spielqualität konstant abzurufen, verfällt immer wieder einer nicht angebrachten Leichtfertigkeit oder kann in den entscheidenden Sequenzen nicht die Qualität abrufen, die es für Siege benötigt.
Unglaubliches Gegentor deckt viele Schwächen auf
Ein Gegentor wie jenes zum 1:2 ist auf diesem Niveau nicht nur kaum zu erklären – es ist eine Zumutung für alle Beobachter, die sich bei einem WM-Spiel wähnten. "Ich weiss nicht, ob jemals ein einfacheres Tor bei einer Weltmeisterschaft erzielt wurde?", fragte Gündogan. Die entsprechende Antwort darauf konnte sich der 32-Jährige selbst geben.
In einigen Szenen zuvor war schon ersichtlich, dass die deutschen Abwehrspieler zwar ganz gut nach vorne verteidigen können, dass sie gut im Vordecken sind und beim Antizipieren. Aber das Übergeben im Raum, die Abstimmung, das Schliessen von Lücken, die Kommunikation untereinander und in letzter Konsequenz auch das Verhalten, sobald die Spieler mit dem Blick zum eigenen Tor verteidigen müssen, hatten kein WM-Niveau.
Nun kann man im Nachgang immer schlau reden. Aber die Frage, warum Flick den in den letzten Spielen schon etatmässigen Rechtsverteidiger Thilo Kehrer aus der Mannschaft nahm – also jenen Spieler, der als einziger immer spielen durfte – und dafür das Experiment mit Niklas Süle auf Rechtsaussen und stattdessen Nico Schlotterbeck im Zentrum neben Antonio Rüdiger einging, wird den Bundestrainer wohl noch ein wenig beschäftigen.
Mit dieser inhaltlichen und personellen Konstellation dürfte gegen Spanien am kommenden Sonntag nicht noch einmal zu rechnen sein. Dann geht es für die deutsche Mannschaft schon im zweiten Gruppenspiel um alles. Die Eindrücke der ersten Partie aber lassen befürchten: Es wird am Ende wieder nichts.
Verwendete Quellen
- spox.com - "Wollten den Ball zu wenig haben!" Gündogan nach Japan-Pleite mit Kritik
- kicker.de - Müllers Suche nach Erklärungen: "Es ist schon aberwitzig"
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