Die gute Nachricht: Die deutsche Nationalmannschaft steht bei der WM 2014 im Viertelfinale. Die schlechte: Nach dem dürftigen 2:1 nach Verlängerung gegen Algerien sind allerhand Fragen offen. Fragen, die Joachim Löw dringend beantworten muss, soll es in Brasilien mit dem vierten Weltmeistertitel klappen. Doch die Antworten fallen oft nicht leicht.
Ein überragend aufgelegter Manuel Neuer und eine grosse Willensleistung seiner Mannschaft bewahrten Jogi Löw und das DFB-Team vor dem vorzeitigen WM-K.o. Es bleiben aber - gerade aus spieltaktischer und personeller Sicht - eine Handvoll Problemfelder, die im Hinblick auf das Duell mit den bisher überzeugend aufgetretenen Franzosen am Freitag unbedingt behoben werden sollten - sofern das überhaupt noch möglich ist.
Das Problem im Zentrum:
Philipp Lahm gilt im 4-3-3 neben Toni Kroos als gesetzt. Um den vakanten Platz im defensiven Mittelfeld streiten sich Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger. Mit der Versetzung von Lahm in die Abwehrkette und der Hereinnahme von Khedira hatte das deutsche Spiel gegen Algerien etwas mehr Stabilität und über die rechte Angriffsseite durch Lahm auch mehr Zug nach vorne. Allerdings sind weder Schweinsteiger noch Khedira auch nach dem vierten Turnierspiel bei 100 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit. Und vermutlich werden sie diese bis zum Ende auch nicht mehr erreichen. Dieses Problem wird Deutschland also vermutlich nicht mehr loswerden. Das eigentliche DFB-System im 4-2-3-1 ordnet die Protagonisten nur anders an. Die Tatsache, dass mindestens ein Schlüsselspieler zu viel nicht auf Top-Niveau spielt, bleibt bestehen.
Das Problem der Alternativen:
Für die Besetzung der Offensivpositionen hat Löw nahezu unbegrenzte Auswahlmöglichkeiten. In der Defensive, und hier besonders im zentralen defensiven Mittelfeld, sind die Alternativen längst nicht mehr so üppig gesät. Gegen Algerien kam in Christoph Kramer ein unerfahrener Spieler noch ein paar Minuten zum Einsatz - weil Löw ausser dem Gladbacher nur noch Matthias Ginter vom SC Freiburg auf der Bank hatte, der diese Position auch hätte bekleiden können. Allerdings hat auch Ginter kaum internationale Erfahrung aufzuweisen. Jetzt macht sich das Fehlen der Zwillinge Lars und Sven Bender sowie vor allen Dingen von Ilkay Gündogan stark bemerkbar. Auch hier besteht kaum Aussicht auf eine Besserung im weiteren Turnierverlauf.
Das Problem auf den Aussenbahnen:
Seit dem erfolgreichen Portugal-Spiel hält Löw hartnäckig an seiner Variante mit ausschliesslich gelernten Innenverteidigern in der Viererkette fest. Dabei hätten die Partien gegen die USA und Algerien, die beide sehr tief standen, durchaus auch eine andere Variation zugelassen. Weder Benedikt Höwedes noch Shkodran Mustafi konnten gegen Algerien Druck nach vorne entfachen. Die fehlende Spielpraxis auf ihren Positionen machte sich nachdrücklich bemerkbar, wenn sowohl Höwedes als auch Mustafi orientierungslos auf Höhe der Mittellinie verharrten, offensiv keine Anspielstation waren und sich bei einem Ballverlust in der Defensive nicht in Verteidigungsposition befanden. Im Prinzip waren die beiden Positionen über weite Teile des Spiels verschenkt. Das Problem könnte Löw lösen, indem er auch einen offensiveren und vor allen Dingen gelernten Aussenverteidiger setzt.
Das Problem der Degradierten:
Mit Kevin Grosskreutz und Erik Durm stehen gleich zwei Spieler im Kader, die in der abgelaufenen Saison auch auf internationalem Top-Niveau starke Leistungen auf der Aussenverteidiger-Position gezeigt haben. Beide durften bisher aber keine einzige Minute spielen - und das wird auch gegen Frankreich vorerst so bleiben. Denn trotz des Ausfalls von Mustafi (Muskelbündelriss) kündigte Löw bereits an, bei der Formation mit vier Innenverteidigern zu bleiben. Was im Klartext heisst: Jerome Boateng rückt wieder nach rechts, der erkrankte Mats Hummels in die Innenverteidigung. Und Grosskreutz und Durm bleiben weiterhin aussen vor. Eine schwer nachvollziehbare Entscheidung von Löw, die ihm bei einem Scheitern gegen Frankreich wohl als erstes um die Ohren fliegen dürfte.
Das Problem der Kreativen:
Mario Götze hat einen Elfmeter rausgeholt und ein Tor erzielt. Mesut Özil hat streng genommen gegen Algerien das entscheidende zweite Tor erzielt. Und trotzdem laufen die beiden kreativsten deutschen Spieler bei der WM immer noch ihrer Form hinterher. Trotzdem setzt Löw weiter auf beide. Özil durfte in allen vier Partien beginnen und wurde da von einer Offensivposition auf die nächste verschoben. Das 4-3-3 beraubt ihm etwas seiner Stärken, die er in einem 4-2-3-1 als zentrale Figur hinter der Spitze ganz anders einbringen könnte. Die Anordnung gegen Algerien zum Ende der Partie sah Özil auf der ungeliebten linken und Andre Schürrle auf der rechten Seite. Dabei kommt der vorzugsweise auf links. Löw fügt seine Offensivkräfte nicht optimal in das Puzzle ein. Miroslav Klose, nach seinen Einwechslungen immer ein Unruheherd beim Gegner, fand gegen Algerien gar keine Berücksichtigung mehr. Götze und Özil müssen nach ihren vollmundigen Versprechungen nun schleunigst deutlich zulegen, wenn Deutschland in der Titelvergabe wirklich ein Wörtchen mitreden will. In ihrer derzeitigen Form wird es für das DFB-Team nicht reichen.
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