- Florian König begleitet die WM-Endrunde in Katar als Moderator des WM-"Doppelpass" bei Sport1.
- Die persönliche WM-Geschichte des 55-Jährigen beginnt mit dem Turnier 1978 in Argentinien.
- Die damalige WM war wegen der Zustände vor Ort ähnlich umstritten wie die laufende.
- König rät im exklusiven Interview mit unserer Redaktion zu einem differenzierten Umgang mit dem Turnier in Katar und warnt vor einer Doppelmoral.
Herr König, was ist Ihre erste WM-Erfahrung?
Florian König: Die erste WM, die ich richtig mitgekriegt habe, war das Turnier 1978 in Argentinien. Als Stuttgarter habe ich damals vor allem den jungen Hansi Müller bei seiner ersten WM verfolgt. Er hat auch gleich Tore geschossen.
Die damalige WM in Argentinien war ja wegen der Zustände im Gastgeberland ähnlich umstritten wie die in Katar. Damals herrschte in Argentinien die Militär-Junta unter General Jorge Rafael Videla. Was davon erinnern Sie? Sie waren ja noch sehr jung.
Ich war damals zehn Jahre alt. Deshalb habe ich das ganze Ausmass später erst verstanden und realisiert, dass das ein grosses Thema war. Was man daran sieht: Die Thematik, eine WM in einem gesellschaftlich und politisch schwierigen Land auszurichten, ist leider nichts Neues.
Hat also die Fifa nichts gelernt?
So pauschal würde ich das nicht sagen. Aber die Vergabe der WM nach Katar war ein grosser Fehler. Ich rufe jedoch nicht zum Boykott auf. Die Kritik an den Lebensumständen und der Nichteinhaltung von Menschenrechten lässt sich sehr wohl trennen von der Freude auf den hoffentlich tollen Sport.
Momentan gerätst du ja fast in den Verdacht, der Fussball sei dir wichtiger als die Menschenrechte, wenn du sagst, dass du die WM anschaust. Oder du giltst als guter Mensch, wenn du die WM boykottierst und hast damit deine moralische Pflicht getan. Ich freue mich trotz allem auf tollen Fussball. Damit heisse ich die Probleme und Ungerechtigkeiten vor Ort aber nicht gut.
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Wie gut kennen Sie das Land Katar?
Gar nicht. Ich bin dort ein, zwei Mal zwischengelandet und habe auch mal eine Nacht dort in einem Flughafen-Hotel verbracht. Was ich kenne, sind andere Länder der arabischen Halbinsel. Sehr häufig war ich in Bahrain und auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Natürlich sind das Länder, in denen man sich über vieles nach wie vor wundert. Über die Jahre aber bemerke ich dort - aus unserer Sicht - positive Entwicklungen, langsame Schritte nach vorne. Bahrain ist für die Gegend dort relativ liberal.
Im Sport1-"Doppelpass" haben unlängst ja
Ich muss nicht vier Wochen in Katar gewesen sein, um zu wissen, dass Homosexualität dort zur Gefängnisstrafe und unter Umständen sogar zur Todesstrafe führen kann. Oder um zu sehen, dass Frauen nicht die gleichen Rechte haben wie bei uns. Das ist natürlich Quatsch. Bevor wir aber urteilen, haben wir natürlich die Pflicht, genauer hinzuschauen. Und wir sollten uns fragen, ob wir nicht manchmal eine Doppelmoral an den Tag legen, weil wir als Deutsche gerne das Flüssiggas aus Katar hätten und akzeptieren, dass das Land in grosse Dax-Unternehmen investiert. Wenn es aber um den Fussball geht, machen wir dann den grossen Aufstand. Da machen wir es uns zu leicht.
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Finden Sie es ungerecht, von Nationalspielern zu erwarten, sich immer wieder zu den Zuständen in Katar zu äussern? Die wollen doch dort letztlich Fussball spielen.
Wenn ein Nationalspieler es für sich als richtig und wichtig erachtet, sich klar zu positionieren, dann hat er meine Unterstützung, meinen Applaus und meinen Respekt. Wir haben viele nachdenkliche und reflektierte Typen in der Mannschaft. Ich möchte es aber von ihnen nicht verlangen und sie somit moralisch unter Druck setzen. Da bürdet man zum Teil extrem jungen Menschen - wie beispielsweise
Rechnen Sie während des Turniers mit Protestaktionen seitens der Mannschaft? Wenn ja, mit welchen?
Ich erinnere mich an die Geste von Leon Goretzka nach seinem Tor gegen Ungarn bei der EM 2021. Mit seinem geformten Herzen hat er damals verdeutlicht, dass ihm die LGBTQ-Feindlichkeit einiger Fans auf die Nerven geht. Das fand ich toll. Das ist etwas Echtes und nicht von Marketingstrategen ausgedacht. Spieler sollen aufnehmen, was sie empfinden und aus der Situation heraus reagieren.
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Wie werden Sie denn mit Ihrem Team im "Doppelpass" (sonntags live ab 11:00 Uhr, Anm. d. Red.) während des Turniers den Spagat zwischen Sport und Politik lösen?
Wir haben keine Planung, die beispielsweise sagt: 30 Prozent politische und 70 Prozent sportliche Berichterstattung. Wir stellen die Runden je nach Themenlage zusammen, wollen aber ausgewogen sein. Der Schwerpunkt der Sendung richtet sich an dem aus, was die Menschen und die Fans während des Turniers bewegt. Das kann die sportliche Situation der deutschen Mannschaft sein, aber auch, ob es vor Ort doch verboten ist, ein Bier zu trinken oder Protestbanner gewaltsam niedergerissen werden.
Ein anderes grosses Thema sind die klimatischen Verhältnisse vor Ort. Schwierige Weltmeisterschaften waren diesbezüglich auch jene in Mexiko 1970 und 1986.
Wir müssen uns nur in Erinnerung rufen, dass bei der Vergabe der WM nach Katar 2010 noch geplant war, die WM zum normalen Zeitpunkt stattfinden zu lassen: im Sommer. Dann herrschen in Katar Temperaturen von 45 Grad Celsius und mehr. Dafür sollten die Stadien komplett heruntergekühlt werden. Das ist natürlich der absolute Wahnsinn, gerade unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Über diese Idee von damals kann man noch heute nur den Kopf schütteln.
Jetzt wird im November und Dezember gespielt. Die Vorhersagen gehen aber - zumindest für den Beginn der WM - noch immer von Temperaturen um die 35 Grad Celsius am Tag aus. Nachts sollen es knapp unter 30 Grad Celsius sein. Dort zu kicken, ist trotz klimatisierter Stadien kein Vergnügen. Wir erleben aber heutzutage auch Absurditäten wie Saudi-Arabiens erfolgreiche Bewerbung um die Asiatischen Winterspiele 2029. Da ist noch nie eine Schneeflocke runtergekommen.
Manche Menschen denken, mit Geld ginge alles. Ich zähle aber in Zukunft auf eine Gegenentwicklung und darauf, dass der weltweite Aufschrei und die schlechte Presse die Fifa zum Nachdenken bringen. Wir können nicht unsere Grundwerte verkaufen. Ich hoffe nicht, dass wir in Zukunft von einem autokratischen Staat zum nächsten reisen müssen. Katar ist der Höhepunkt dieser Entwicklung.
Reden wir über den deutschen WM-Kader. Unser Kolumnist
Ich schätze Olaf Thon sehr. Und Moukoko ist ein toller Spieler, keine Frage. Aber er tut ihm keinen Gefallen damit, ihn mit so grossen Namen auf eine Stufe zu stellen. Das halte ich nicht für gerechtfertigt. Es ist aber toll, dass Hansi Flick Moukoko mitgenommen hat. Moukoko kann von seinen Fähigkeiten auch bei der WM, wenn er spielt, entscheidende Dinge bewegen.
Kolumne Olaf Thon bezeichnet Youssoufa Moukoko als "Granate"
An
Bei Musiala sehe ich eher die Chance, dass er sich bei der WM zum Weltstar entwickelt. Er ist auf dem Weg dorthin. Er performt in der Champions League, in der Bundesliga. Er ist aus der Mannschaft der Bayern nicht mehr wegzudenken, und auch nicht aus der Nationalmannschaft. Und auch er ist noch blutjung. Musiala ist deutlich weiter als Moukoko. Und er sagt ja auch, sein Ziel sei es, den Ballon d'Or zu gewinnen. Musiala hat die ganz grossen Ziele. Wenn er sich so weiterentwickelt wie zuletzt, dann gibt es für ihn nach oben gar keine Grenzen.
Wie gross ist Ihre Befürchtung, dass die deutsche Mannschaft wie 2018 schon nach der Gruppenphase nach Hause fliegt?
Ich habe die Befürchtung gar nicht. Aber ich sah auch 2018 in der Gruppenphase kein Problem - und dann hat es sich anders entwickelt. Das Entscheidende ist, welche Atmosphäre in der Mannschaft entsteht. Denn die Qualität hat die Mannschaft. Die hatte sie aber auch 2018. Die Dinge müssen für ein leistungsförderndes Miteinander aber ineinandergreifen. Es muss passen. Der Einstieg ins Turnier gegen Japan ist entscheidend.
Und wer wird Weltmeister?
Brasilien und Argentinien sind für mich weit, weit vorne. Sie haben eine gute Qualifikation gespielt. Beide haben starke Kader und viele Spieler, die endlich mal einen grossen Titel gewinnen wollen. Aus Europa gehören die Franzosen zum Favoritenkreis, die deutsche Mannschaft.
Die Engländer habe ich nicht so auf dem Zettel. Ich habe sie in Wembley gegen die deutsche Mannschaft gesehen. Da waren sie nicht so stark. Manche Leute sagen, Cristiano Ronaldo wolle es mit Portugal nochmal allen zeigen. Wenn ich mich aber festlegen soll, dann sage ich: Brasilien.
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