Er ist der Shootingstar der englischen Nationalmannschaft, köpfte mit seinen 22 Jahren England ins Halbfinale der WM. Dabei hätte Dele Allis Leben auch anders laufen können. Ganz anders.
"Er ist ein schlauer Junge. Er ist ein klein wenig böse." So beschrieb ihn sein Trainer bei Tottenham Hotspur, Mauricio Pochettino, einmal.
Dele Allis Bilanz ist beeindruckend. Mit gerade einmal 22 Jahren hat er über 100 Premier-League-Spiele absolviert, brachte England mit seinem Treffer zum 2:0 gegen Schweden ins Halbfinale der WM. Am Samstag spielt er mit seiner Mannschaft in St. Petersburg gegen Belgien um Platz drei (16:00 Uhr, live in der ARD und bei uns im Ticker).
Im Oktober 2015 hatte er unter Roy Hodgson in der englischen Nationalmannschaft debütiert - mit gerade einmal 19 Jahren, fünf Monaten und 28 Tagen. Einen Monat später schoss er sein erstes Tor für die "Three Lions".
Dabei hatte es phasenweise nach einer ganz anderen Art von Karriere ausgesehen.
Eine Kindheit, innerlich und äusserlich zerrissen
Bamidele "Dele" Jermaine Alli wird am 11. April 1996 in Milton Keynes geboren. Sein Vater Kehinde ist ein wohlhabender Nigerianer, der die Familie nur eine Woche nach Deles Geburt verlässt.
Allis Mutter Denise hat mit sich selbst genug zu tun: Sie zieht noch zwei Töchter von zwei anderen Männern gross. Doch das nagendste Problem ist der Alkohol.
Für einige Zeit geht Dele nach Lagos zu seinem Vater. Er lebt in einer Villa, wird von Hausmädchen bedient und geht auf eine sündteure Privatschule. Später ziehen beide in die USA, wo der Vater eine neue Frau heiratet.
Mit elf Jahren ist Dele zurück in England, zurück bei seiner Mutter. Doch die hat ihre Probleme noch immer nicht im Griff. Mittlerweile ist auch noch ein jüngeres Geschwister dazugekommen.
"Ich hatte vier Kinder von vier unterschiedlichen Männern, aber keine Beziehung hielt", beschrieb Denise Alli in einem Interview der "Sun". "Ich war eine alleinerziehende Mutter. Manchmal war es wirklich hart."
Ihr mittlerweile elfjähriger Sohn bekommt Probleme in der Schule, tobt sich lieber auf den Strassen des Problemviertels Bradwell aus, als zu lernen oder auch nur nach Hause zu gehen. "Ich kam schon in jungen Jahren in das falsche Umfeld", sagt Dele Alli später dem "Evening Standard".
Er droht, sich mit Gangs einzulassen. Was ihn rettet, ist der Sport. "Der Fussball lenkte mich von dem Weg ab, auf den ich eigentlich zusteuerte", ist er sich heute sicher.
Auf einem Parkplatz verbringt er Stunde um Stunde, trainiert Tricks, die er sich von YouTube-Videos abgeschaut hat. "Ich ging dort oft mit meinen Freunden hin, um Fussball zu spielen. Als Torpfosten benutzten wir unsere Fahrräder", erinnert er sich.
Allis grosses Glück ist sein Talent
Zur gleichen Zeit wird Alli von Mike Dove, Nachwuchschef der Milton Keynes Dons, entdeckt. Als Dele Alli 13 ist, stimmt seine Mutter zu, dass er zu den Hickfords zieht, den Eltern seines Fussballkumpels Harry. Es ist der Wendepunkt.
"Ich wusste, dass dies der einzige Weg war, damit er seinen Traum, Profi-Fussballer zu werden, verwirklichen konnte", sagte Denise Alli der "Sun". "Es war sehr hart, meinen Sohn aufzugeben. Aber es war seine Rettung."
Der Sprung von den Junioren zu den Senioren gelingt ihm problemlos. "Bei ihm war es einfach: So, Junge, jetzt geh' und spiel'", erinnert sich Karl Robinson, sein damaliger Trainer bei den MK Dons. Ende 2012, mit gerade einmal 16 Jahren, debütiert Alli als Profi.
Durchbruch bei Tottenham Hotspur
In seiner zweiten Profisaison 2014/15 schiesst der offensive Mittelfeldmann in der dritten Liga 16 Tore für die MK Dons. Tottenham wird auf ihn aufmerksam und sichert sich das Talent: Im Februar 2015 unterschreibt der 18-jährige Alli einen Vertrag mit dem Premier-League-Klub.
Fünf Millionen Euro beträgt die Ablöse. Dele Alli ist ganz oben angekommen. Zweimal wird er als Nachwuchsspieler des Jahres ausgezeichnet.
Heute wird Dele Alli mit Vereinen wie Real Madrid, Barcelona und Manchester United in Verbindung gebracht. Es kursieren Gerüchte über astronomische Ablösesummen im neunstelligen Bereich.
Doch bisher winkt der 22-Jährige ab: "Ich würde niemals nie sagen, aber man kann nicht in die Zukunft schauen, weil es der Gegenwart die Freude nimmt", gibt er sich bescheiden. "Ich habe noch ein paar Jahre einen Vertrag." Der wurde zuletzt 2016 verlängert und läuft bis 30. Juni 2022.
Auf dem Trikot trägt er seinen Vornamen
Obwohl ihn die Hickfords nie offiziell adoptierten, sieht Alli sie heute als seine Familie an. Mit seinen leiblichen Eltern und seinen Geschwistern spricht er seit Jahren nicht mehr.
Seit Beginn der Saison 2016/17 läuft Alli mit seinem Vornamen auf dem Trikot auf. Er habe viel über die Entscheidung nachgedacht, sagte er damals. Es sei eine Entscheidung gewesen, "die getroffen werden musste".
"Ich wollte einen Namen auf meinem Shirt, der mich repräsentiert", betonte er. "Und ich fühle keine Verbindung zu dem Nachnamen Alli."
Seine tragische Geschichte hat Dele Alli stark gemacht. Und diese Stärke zeigt er jetzt auf dem Platz - als "schlauer Junge" und "auch ein klein wenig böse".
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