• Nach dem WM-Aus gehen die Nationalspieler unterschiedlich mit der Enttäuschung um.
  • Eine wichtige Frage: Wie verpackt Hoffnungsträger Jamal Musiala die gefährliche Kombination aus Last, Hype, Frust und unerwartetem Rückschlag?
  • Für den frühen und besonderen Druck hat sich der 19-Jährige schon früh ein spezielles Mindset zugelegt.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Mitleid ist sofort da, am liebsten würde man Jamal Musiala einfach in den Arm nehmen. Ihn trösten. Gut zureden, wieder aufbauen. Knapp zwei Minuten quält er sich tapfer nach dem WM-Aus durch das Interview bei "MagentaTV". Am Ende weiss der 19-Jährige gar nicht mehr, was er antworten soll. Er versucht es, denkt nach, ist mit dem Kopf aber ganz woanders. Die Mischung aus Hilflosigkeit und Traurigkeit schmerzt beim Zuschauen.

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Gibt es einen Umbruch zur Heim-EM hin? Und warum klappt es bei den Bayern-Spielern in der Champions League, aber in der Nationalmannschaft nicht? "Weiss ich nicht", entgegnete der Jungstar auf die beiden Fragen lediglich. Man spürt, wie tief die Enttäuschung sitzt, man kann die Leere förmlich greifen. Bereits auf dem Platz war er nach dem Schlusspfiff in sich zusammengesackt. Er versuchte irgendwie, das für ihn in dem Moment Unfassbare zu realisieren: Die WM ist für den Shootingstar und das DFB-Team nach der Vorrunde beendet. Ein Desaster im Kollektiv, aber auch eine sportliche Katastrophe für jeden Einzelnen.

Zahlreiche verbale Umarmungen

Der Zuspruch für Musiala nach dem 4:2-Sieg, der das Aus nicht verhindern konnte, war gross. Verbal wurde der 19-Jährige immer wieder in den Arm genommen. "Es ist schwierig, nach so einem Spiel jemanden herauszuheben. Aber man muss sagen, dass es echt schade ist, dass ein Spieler wie Jamal bei dieser WM nicht mehr spielen darf. Er ist einfach fantastisch", sagte Bundestrainer Hansi Flick.

Musiala hat die Hoffnungen der DFB-Elf bei diesem Turnier auf seinen schmalen Schultern getragen, die riesigen Erwartungen balanciert, den Druck angenommen und zum Grossteil ausgehalten. Er enttäuschte nicht, bewies immer wieder, wie wichtig er ist, wie stark er aufspielt, wie viel Potenzial in ihm schlummert, und das mit nur 19 Jahren. Die Superlative kannte keine Grenzen, die Lobhudeleien auch nicht. Vergleiche mit Lionel Messi, horrende Ablösesummen, dazu wilde Transfergerüchte. Musiala hier, Bambi da. Die Nation spürte: Da wächst ein echter Hoffnungsträger heran.

Doch der Sport ist unerbittlich, der Grat ist schmal und die Fallhöhe riesig. Schon auf dem Platz litt man mit ihm mit. Man wünschte dem so versierten und spielfreudigen Magier ein Tor, man sehnte den Knotenlöser mit jeder Spielminute mehr herbei. Doch "der Druck auf ihn wurde vom ersten über das zweite bis hin zum dritten Spiel immer grösser. Musiala spielte nicht mehr so unbeschwert auf wie beim FC Bayern", schrieb unser Kolumnist Olaf Thon. Auch, weil andere nicht genug in die Bresche sprangen, spielerisch nur wenig Verantwortung übernahmen und ihm etwas von der Bürde abnahmen. Dabei sind Leistungs-Schwankungen – und vergebene Chancen - in dem Alter völlig normal.

Olaf Thon: "Da war der Kopf im Spiel"

Auch bei Ex-Nationalspieler Thon ist Mitleid mit dem Spielmacher dabei. "Er hätte der Spieler des Turniers werden können. Da war der Kopf im Spiel", glaubt Thon. Und für Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann sei es "nicht fair" gewesen, dass Musiala bei der WM "die Erfahrung machen musste, dass fast das gesamte Team auf ihn angewiesen war". Er schrieb in seiner Newsletter-Kolumne für die britische BBC: "Ich hoffe, das bringt ihn nicht aus seinem Spiel."

Das sind nun die grossen Fragen: Wie wird Musiala mit dieser Erfahrung umgehen? Was macht es mit ihm, dass er als der neue Hoffnungsträger des deutschen Fussballs gilt? Kann er nach der Winterpause an seine Glanzleistungen der vergangenen Wochen anknüpfen?

Denn klar: Im Fussball spielt sich eine Menge im Kopf ab, die Psyche ist essenziell. Und klar ist auch: Wenn schon ein gestandener Spieler wie Joshua Kimmich vom schwierigsten Tag seiner Karriere und von der Angst spricht, in ein Loch zu fallen, fragt man sich unweigerlich: Wie geht ein 19-Jähriger mit dem Rückschlag um, mit der emotionalen Brutalität, der Aufarbeitung? Und der Aufgabe, den deutschen Fussball zu retten?

Dass dies nicht nur Lust, sondern auch Last sein kann, zeigt das Beispiel Mario Götze nach der WM 2014. Fair ist das vielleicht nicht, ist aber im Fall von Musiala der erwartbare Reflex einer Nation, die seit dem Turnier in Brasilien mit einigen unerwarteten Enttäuschungen bei grossen Turnieren umgehen musste. Es überrascht daher nicht, dass ein Juwel wie Musiala schnell als fussballerischer Fixpunkt ausgemacht wird, auch medial.

Fokus auf sich selbst

Was hilft: Musialas Ausbildung in England. "Play with freedom – spiele frei auf", war ein Spruch, "den sie oft wiederholten und den ich während meiner gesamten Karriere versucht habe umzusetzen und der immer ein Teil von mir sein wird", verriet er in Katar. Dazu richtet er den Fokus nur auf sich selbst. Er konzentriert sich auf das, was er beeinflussen kann. Sein Spiel, seine Emotionen, seine Gedanken.

Wichtig wird sein, dass er sich nicht den Grossteil der Schuld für das Aus aufbürdet. Er haderte schon nach dem Spanien-Spiel aufgrund vergebener Chancen zu arg mit sich selbst, dabei ist er nicht der Buhmann, sondern der Hoffnungsträger. Einer, der zum Glück selbstkritisch und reflektiert ist und schon in München gelernt hat, mit grossem Druck und riesigen Erwartungen umzugehen. Ein Rückschlag wie nun in Katar kann im Rahmen einer offenen Analyse in Positivität umgewandelt werden.

Denn mit seinem erlernten und oft erprobten Mindset lächelte er bereits gut gemeinte, aber natürlich potenziell erdrückende Vergleiche mit Messi weg. "Ich glaube, Vergleiche mit Messi sind immer wie eine Ehre. Messi spielt aber schon sein ganzes Leben auf einem Top-Level. Ich glaube, egal welchen Spieler man mit Messi vergleicht, das ist schon ein bisschen schwer", sagte er und fügte an: "Ich fokussiere mich auf mich selbst, was ich besser machen kann als Jamal." So kann er aus dem WM-Aus vor allem eines: lernen.

Einstellung macht Mut

Auch die Worte von Bayern-Trainer Julian Nagelsmann machen Mut, dass Musiala in kein Loch fallen und vor allem seine Unbekümmertheit behalten wird. Denn dass er so erfolgreich sei, liege viel an seinem Charakter, so Nagelsmann, "weil er einfach sehr demütig ist und viel trainieren will. Er fragt immer nach Extratraining und Extravideo. Er ist keiner, der nur auf der Erfolgswelle surft und nichts dafür tut", so Nagelsmann. "Er investiert sehr, sehr viel und wird dafür belohnt."

Deshalb ist auch Thon optimistisch: "Er wird daran wachsen und bei der Europameisterschaft der führende Mann im deutschen Mittelfeld sein."

Verwendete Quellen:

  • YouTube: Jamal Musiala nach dem WM-Aus | FIFA WM 2022 | MAGENTA TV
  • BBC: World Cup 2022: Jurgen Klinsmann answers your questions
  • Pressekonferenzen
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