Wachablösung im Weltfussball? Nicht mit der Furia Roja. Spaniens Nationalmannschaft kann die angebliche Mini-Krise der Primera Division scheinbar nichts anhaben. Wenn einer so etwas sagen darf, dann ja wohl Franz Beckenbauer. "Auf Klubebene ist die Wachablösung in Europa da", sagte der Kaiser in den Tagen vor dem Champions-League-Finale seines FC Bayern München gegen Borussia Dortmund.

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Beckenbauer musste zu der Zeit in so ziemlich jedes Mikrofon sprechen, das ihm entgegengestreckt wurde und auf die immer selben Fragen seine Sicht der Dinge liefern. Das erste deutsche Finale in der Königsklasse versetzte so manchen in Hochstimmung, Beckenbauer nicht ausgenommen.

Im vergangenen Jahrzehnt hatte der deutsche Fussball bei der Vergabe der wichtigen Titel rein gar nichts mitzureden. Vor dem Triumph der Bayern Ende Mai gegen Dortmund datierte der bis dahin letzte Sieg im Europacup von 2001, danach eroberten Engländer, Spanier, Italiener, Portugiesen, Russen, Ukrainer und Niederländer die Silberware. Für deutsche Vertreter blieb allenfalls Platz zwei.

Das Endspiel von Wembley wurde und wird voreilig immer wieder als Wendepunkt in der Geschichte angesehen. Dabei kann es nur eine erste Vorleistung sein, die es zu bestätigen gilt. Und vor allen Dingen: So lange die Nationalmannschaft nicht nachzieht, bleiben die Erfolge auf Klubebene unvollendet.

Eine Wachablösung gibt es nicht auf Vereinsebene

Die Champions League oder Europa League kann man jedes Jahr gewinnen. Ein Turnier auf Verbandsebene aber nur alle vier Jahre; was den Wettbewerb automatisch aufwertet und damit auch die Elogen, die sich um die Sieger ranken. Oder wer erinnert sich ernsthaft an den Sieg von ZSKA Moskau im UEFA-Cup? Wohingegen der bislang letzte Triumph Italiens bei einer Weltmeisterschaft jedem Fussball-Fan ins Gedächtnis gebrannt ist.

Die "echte" Wachablösung wird nicht auf Vereinsebene definiert, mit unnatürlich üppig alimentierten Klubs und Mannschaften, zusammengekauft aus Spielern der ganzen Welt. Einen Umsturz wird es nur geben, wenn auch auf Nationalmannschaftsebene ein anderer erfolgreich sein kann als Spanien.

Die Experten mögen Recht damit haben, wenn sie dem FC Barcelona oder den englischen Klubs eine Zeit des Leerlaufs attestieren. Real Madrid wird sich erst um die Hinterlassenschaft Jose Mourinhos kümmern müssen, Manchester United nach über einem Vierteljahrhundert Alex Ferguson seinem neuen Manager eine gewisse Eingewöhnungszeit einräumen.

Auch Manchester City, Chelsea und Paris St. Germain installieren neue Übungsleiter. Dem stehen die Bayern in nichts nach, scheinen aber trotzdem noch das beste Gesamtpaket zu haben. Borussia Dortmund jedenfalls verliert in Mario Götze seinen wertvollsten Spieler. Und vielleicht auch noch Robert Lewandowski.

Wer nach der Europapokal-Saison gehofft hatte, dass sich die "Mini-Krise" der Spanier auch auf die Nationalmannschaft auswirken könnte, sieht sich getäuscht. Vielleicht sind die Erfolge in der Gruppenphase des Confed-Cups gegen Uruguay, Nigeria und Tahiti an sich nicht der grosse Massstab.

Im Alter nur noch besser

Die Art und Weise, wie Spaniens inzwischen leicht in die Jahre gekommene Goldene Generation aber ihren Stil nicht nur beibehält, sondern sogar noch weiter verfeinert hat, ist beeindruckend.

Dennoch: Das Alter nagt unnachgiebig an den Stützen des Teams. Iker Casillas ist 32, Andres Iniesta 29, Xavi 33, Fernando Torres 29, Carles Puyol sogar schon 35 Jahre alt. Schon bei der EM vor einem Jahr lag Spanien im Altersdurchschnitt mit 26,74 Jahren "nur" noch im Mittelfeld. Deutschland stellte damals mit 24,39 Jahren die jüngste Mannschaft des Turniers.

Die Spanier reagieren auf den sich unweigerlich einstellenden Geschwindigkeitsverlust ihrer Individualisten mit noch mehr Kombinationsspiel, sodass sich ein Spieler wie Xavi weniger explosiv bewegen muss - und trotzdem jederzeit Ball und Gegner kontrollieren kann.

Die bislang letzte Niederlage Spaniens datiert vom November 2011, damals gab es ein 0:1 in Wembley gegen England. Als die Furia Roja in der WM-Qualifikation nach einem 1:1 zu Hause gegen Finnland unter Druck war und die Fussballwelt ausserhalb Spaniens insgeheim schon zarte Hoffnungen hegte, siegte Vicente del Bosques Mannschaft vier Tage später beim hartnäckigsten Widersacher Frankreich. Im Nationaltrikot gibt es keinen Qualitätsverlust, die Mannschaft scheint auch weder zu alt noch zu satt. Sie spielt noch dominanter als zuvor, noch ruhiger und gleichzeitig auch erdrückender für den Gegner. Abgesehen vom Trainingsspiel gegen Tahiti erzielt Spanien zwar weniger Tore als davor.

Im Jahr 2013 gab es aber in acht Spielen auch erst vier Gegentore. Mehr als zwei Gegentreffer in einem Pflichtspiel hat Spanien ohnehin vor zuletzt fast drei Jahren kassiert. Am Ende gewann das Del-Bosque-Team diese Partie aber trotzdem 3:2 gegen Schottland. Gemessen an der Altersstruktur der aktuellen Nationalmannschaften hat Deutschland die günstigeren Voraussetzungen. Dazu kommt, dass die als positiv erachtete Blockbildung aus Münchner und Dortmunder Spielern dem Modell der Spanier mit Barca- und Real-Akteuren folgt. "Der Kern unserer Mannschaft wird aus Bayern und Dortmundern bestehen, das bietet sich an - ergänzt mit noch ein paar anderen. Doch, die Gelegenheit, Spanien auch auf Nationalmannschaftsebene abzulösen, ist da", hoffte wohl auch deshalb der "Kaiser".

Nur sollte sich Fussball-Deutschland nicht zu früh freuen. Die Nach-Nachfolger der goldenen spanischen Generation sind auch schon wieder beängstigend erfolgreich. Spaniens U21 verteidigte ihren EM-Titel in Israel souverän - mit genau dem Fussball, der auch im A-Bereich gespielt wird.

An hervorragend ausgebildeten Spielern wird es den Spaniern in naher Zukunft definitiv nicht mangeln. Ein kleines Fünkchen Hoffnung besteht vielleicht, wenn Vicente del Bosque wie angekündigt 2014 seinen Abschied vornimmt. Den dann allerdings erst nach der Weltmeisterschaft.

Bis dahin wird die Wachablösung im Weltfussball wohl noch auf sich warten lassen. Auch einige Experten sehen das mittlerweile ein wenig anders. Dass die Zeit der Spanier keineswegs schon vorbei sein würde, sagte vor wenigen Tagen: Franz Beckenbauer.

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