"Bald werden wir den ersten Weltmeister aus Afrika feiern" - das hat nicht nur Franz Beckenbauer einst vollmundig angekündigt. Doch auch bei der WM 2014 scheint sich diese Vorhersage nicht zu erfüllen. Bei der Weltmeisterschaft in Brasilien gab es für die afrikanischen Teams bislang nur einen Sieg in sieben Spielen, die Stars vergangener Tage wie Didier Drogba oder Samuel Eto'o sind in die Jahre gekommen. Warum kann Afrikas Fussball seine Versprechen nicht einlösen?
"Als der Ball an die Latte klatschte, war es der Genickschlag für uns. Und in diesem Moment auch für Afrika." Immer, wenn sich Kevin-Prince Boateng an die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika zurückerinnert, schiesst ihm als erstes diese eine Szene durch den Kopf: Wie Asamoah Gyan mit der letzten Aktion der Verlängerung gegen Uruguay den Elfmeter statt ins Tor nur ans Aluminium knallt. "Da war für uns klar: Das folgende Elfmeterschiessen werden wir nicht überleben", sagt Boateng.
Noch nie hat es ein afrikanisches Team bei einer Weltmeisterschaft ins Halbfinale des Turniers geschafft. Nie zuvor war eine Mannschaft näher dran als Ghana damals in der Runde der besten Acht. Gyans Fehlschuss war ein Trauma, nicht nur für die Fans der "Black Stars", sondern für einen ganzen Kontinent. Und er ist es bis heute.
Bei der WM 2014 enttäuschen bislang fast alle Afrika-Teams
Vier Jahre später hat die afrikanische Föderation fünf Mannschaften nach Brasilien entsandt. Mit im Gepäck trugen sie das Versprechen, das Kameruns "Unbezähmbare Löwen" vor fast einem Vierteljahrhundert mit dem Einzug ins Viertelfinale der Italien-WM gegeben hatten: Der afrikanische Fussball ist auf Augenhöhe mit den Grossmächten aus Europa und Südamerika.
"Es wird nicht lange dauern, bis wir den ersten Weltmeister aus Afrika feiern können", sagte nicht nur Franz Beckenbauer. Nun wird es sehr wahrscheinlich mindestens noch einmal vier Jahre dauern. Afrikas Mannschaften haben bei der WM in Brasilien bisher nahezu komplett enttäuscht.
Kamerun ist bereits ausgeschieden. Zwei Spiele, null Punkte, 0:5 Tore. Ghana und Algerien stehen nach ihren Auftaktniederlagen im zweiten Spiel enorm unter Druck, Nigeria kam gegen Aussenseiter Iran zu einem 0:0. Lediglich die Elfenbeinküste hat schon einen Sieg verbucht - nach dem 1:2 gegen Kolumbien stehen aber auch Drogba und seine Teamkollegen vor dem Aus. Von bisher sieben Spielen haben die afrikanischen Teams fünf verloren und nur eins gewonnen.
Entwicklung des afrikanischen Fussballs stagniert
Die Probleme für die Stagnation des Fussballs auf dem schwarzen Kontinent sind nicht neu. Aber sie sind offenbar so schnell auch nicht zu lösen. "Seit einem Jahrzehnt stockt die Entwicklung des afrikanischen Fussballs, denn die Spieler in Afrika finden nicht die Bedingungen vor, um sich ordentlich weiterzuentwickeln", sagt Nigerias Nationaltrainer Stephen Keshi.
Es waren seine Spieler, die ebenso wie die Kameruner bis zum Abflug nach Brasilien mit ihrem Streit um die WM-Prämien für Aufsehen gesorgt hatten. Beim 0:4 gegen Kroatien verpasste Kameruns Benoit Assou-Ekotto seinem Mannschaftskollegen Benjamin Moukandjo vor den Augen der Welt sogar eine veritable Kopfnuss.
Trainer Keshi formuliert einen "Mangel an Führung und Organisation" und meint damit: Keinen geregelten Ligabetrieb jenseits der ersten beiden Spielklassen. Von den rund sechs Millionen ghanaischen männlichen Kindern und Jugendlichen sind lediglich rund 30.000 als aktive Fussballer im Verband gelistet.
Es fehlt an Ausbildungsstätten für die nachfolgenden Generationen. Schafft es ein Spieler in den Fokus, wird er bereits in sehr jungen Jahren nach Europa verkauft. Die Verbände funktionieren nicht nach professionellen Standards, sondern werden grösstenteils nach Gutsherrenart geführt. Die Fluktuation auf den jeweiligen Nationaltrainerposten verhindert Kontinuität, den mit Spielern aus aller Herren Länder zusammengewürfelten Mannschaften fehlt eine klare spielerische Identität.
Die Stars vergangener Tage sind zu alt
Und die Ikonen des Kontinents, die Drogbas, Essiens, Eto'os? Sind in die Jahre gekommen und spielen bei ihren jeweiligen Vereinsmannschaften auf absolutem Top-Niveau kaum noch eine Rolle. Afrika hat die Lücke auf die grossen Nationen offenbar nicht schliessen können, sondern ganz im Gegenteil: Die Leistungen bisher bei der WM deuten sogar einen Rückschritt in längst vergessene Zeiten an.
Das Selbstverständnis der Afrikaner oszilliert zwischen grosser Selbstüberschätzung und grossen Selbstzweifeln. Eine sachlich-nüchterne Einschätzung von Können und Defiziten erscheint ganz oft gar nicht erst erwünscht. Dafür wird der Fussball zu leidenschaftlich gelebt.
Trotz der Auftaktniederlage gegen die USA machte Ghana noch mit den besten Eindruck, im Spiel gegen Deutschland ist zudem mit der Rückkehr von Boateng und Essien in die Startelf zu rechnen. Die Black Stars sind gegen Jürgen Klinsmanns Team vor allen Dingen an sich selbst gescheitert: Zwischen den beiden Unaufmerksamkeiten bei den Gegentoren in der 1. und 86. Minute war Ghana die eindeutig bessere Mannschaft.
Ghana hofft auf Sieg gegen Deutschland
Die Offensive mit den beiden Ayews, mit Boateng und Gyan ist homogen und hochklassig besetzt, Trainer James Appiah hat die Defensive dazu auch ohne grosse Namen einigermassen dicht bekommen. Allerdings steht Appiah wegen seiner Personalentscheidungen zuletzt gegen Deutschland unter ganz besonderer Beobachtung.
Wenn seine Mannschaft verliert und die USA gegen Portugal zumindest punktet, ist Ghana nach zwei Spieltagen bereits raus. Dabei war es schliesslich Ghanas Trainer, der auf die Frage nach dem kommenden Weltmeister wie selbstverständlich antwortete: "Das werden wir!"
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