Die Sonne erwacht am Horizont über der Copacabana. Vereinzelt laufen noch deutsche Anhänger durch die Strassen. Im Hintergrund wird die Szenerie vom ständigen Trommeln der Argentinier untermalt. Die Melodie der Fangesänge der "Gauchos" ist auch für jeden Deutschen zum Soundtrack des Titelgewinns geworden. Wir sind Weltmeister! Doch die Sieger der Herzen, das sind die Argentinier.

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In Scharen von Hunderttausenden waren die argentinischen Fans zum Endspiel nach Brasilien gestürmt und hatten Rio einen blau-weissen Anstrich verpasst. "Sie sind alle spontan hierherkommen, ganz ohne Unterkunft. Jetzt zelten sie im Sambastadion", beschreibt ein gesprächiger Taxifahrer am Tag vor dem Finale. Damit war klar: als Deutscher ist man hier in der Unterzahl.

Generell fanden sich zum letzten Wochenende der Weltmeisterschaft viele Südamerikaner aus allen Herren Ländern ein. "Wir kommen aus Medellin. Wir sind auch schon ein paar Wochen unterwegs. Rio ist für uns der Abschluss", erklärt Jose, der mit seiner Nichte aus Kolumbien angereist ist. "Kolumbien ist sehr schön und momentan auch sicher. Ihr solltet unbedingt mal vorbeikommen", fährt er fort. Wie viele der anwesenden Südamerikaner hat er sein Zelt an der Copacabana aufgestellt. Noch lange nach Schlusspfiff gleicht der weltberühmte Strand einer grossen weltweiten Party. Hier weht die kolumbianische Flagge, da die Mexikos und dort haben zwei Peruaner ihr Lager aufgebaut. Und natürlich ist da immer noch dieses einprägsame Trommeln und die Gesänge der unermüdlichen Argentinier, die ihre Finalniederlage wie einen Sieg feiern.

Bereits während dem grossen Spiel ist nichts ausser der Melodie der "Gauchos" zu hören. Überall sind die Farben der "Albiceleste" zu sehen. Nur wenige Deutsche stehen zwischen den Menschenmassen. Viele der Fans in Deutschlandtrikots sind Brasilianer, die auf eine Niederlage ihrer Erzfeinde aus dem Süden hoffen. Diese Tatsache ist es auch, die der ein oder andere Argentinier als Provokation wahrnimmt. Phasenweise wirkt die Stimmung leicht angespannt. Richtiger Jubel kommt erstmals nach 30 Minuten auf. Gonzalo Higuain erzielt das vermeintliche 1:0 für Argentinien. Dass der Angreifer im Abseits stand und der Treffer nicht zählt, wird der Menge ob des Lautstärkepegels erst Minuten später klar.

Als die Partie in die Verlängerung geht, steigt auch an der Copacabana die Spannung. Zum einzigen Mal an diesem Abend lässt das argentinische Trommeln nach. Die Nervosität aller ist zu spüren. Dann schiesst Mario Götze tatsächlich zur deutschen Führung ein. Der Jubel ist angesichts der Bedeutung des Treffers einigermassen verhalten. Die Dominanz der Argentinier in Rio wird noch einmal deutlich. In vorderster Front fliegen sogar einige Stühle. Der Frust der "Gauchos" verwandelt sich kurzzeitig in Aggression. Diese gilt den überschwänglich jubelnden Brasilianern. Es bleibt jedoch der einzige erwähnenswerte Zwischenfall dieser Art. Nach dem Abpfiff beginnt die deutsche Party. Mit tatkräftiger Unterstützung der Argentinier, die den vierten Titel der DFB-Elf wie den Ihren wirken lässt.

Deutschland ist Weltmeister! Nach 24 Jahren ist dies wieder Realität. Es war ein harter Kampf bis hierhin. Nicht nur für die deutsche Nationalmannschaft, auch für die zahlreichen Anhänger, die die weite Reise nach Brasilien angetreten haben. Das Turnier am Zuckerhut wird den Menschen in nachhaltiger Erinnerung bleiben. Die Vielseitigkeit und die Gegensätze im fünftgrössten Land der Welt machten die WM 2014 einzigartig. Als Fan hat man in den vier Wochen während der Weltmeisterschaft viele unvergessliche Momente erlebt. Die nächtlichen Fahrten durch das Land waren nicht selten ein grosser Nervenkitzel. Die Partys in den Spielstätten wurden immer mit dem Gefühl der Unsicherheit vereint. Die Unsicherheit, ob nicht im nächsten Moment die Stimmung kippt. Und dann ist da das rigorose Vorgehen der brasilianischen Polizei. Die friedliche Feier der Argentinier nach dem Finaleinzug in Sao Paulo wurde ebenso harsch wie plötzlich gestoppt. Ein bizarres Schauspiel bot sich den Anwesenden, als der Säuberungstrupp anrückt und noch am gleichen Abend mit Dampfstrahlern durch die Strassen marschiert. In Brasilien ticken die Uhren anders. Das wird vor Ort immer wieder deutlich. Gut und schlecht gehen hier Hand in Hand. Als deutscher Fan und mit dem Weltmeistertitel im Gepäck kann man getrost von einer atemberaubenden WM sprechen.

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