Das 1:7 gegen Deutschland war für Brasilien mehr als eine Niederlage in einem WM-Halbfinale. Es war eine Demütigung. Als hätten dreiste Diebe dem brasilianischen Volk den Goldpokal aus der Vitrine gestohlen. Nicht heimlich, still und leise bei dunkler Nacht. Sondern am helllichten Tag und wenn der Hausherr daneben sitzt.

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Die Gesichter der brasilianischen Spieler und ihrer Fans, manche leer, ungläubig und erstarrt, die anderen tränenüberströmt, werden als Bilder dieser jetzt schon einzigartigen Weltmeisterschaft im Gedächtnis bleiben.

Die Stimmung im Stadion war bei der Hymne und zu Beginn der Partie atemberaubend. Nach dem Doppelschlag zum 0:2 und 0:3 kippte die Euphorie in ungläubiges Entsetzen, und am Ende wurden die eigenen Spieler übel ausgepfiffen und die Ballstafetten des Gegners beklatscht. Die Fans hatten begriffen, dass sie einem grossen Irrtum aufgesessen waren. Dass der Traum vom Titel im Prinzip nie realisierbar war. Jedenfalls nicht mit dieser Mannschaft.

"Die schlimmste Niederlage aller Zeiten"

Der Abend von Belo Horizonte - "die schlimmste Niederlage aller Zeiten", wie es Trainer Luiz Felipe Scolari formulierte - wird so zu einer Zäsur im brasilianischen Fussball führen, so viel ist jetzt schon sicher. Denn Brasilien erschien zwei Klassen schlechter als die deutsche Elf. Sie war in taktischer Hinsicht hoffnungslos unterlegen, ihr Trainer Scolari wurde von Joachim Löw ausgecoacht wie nur wenige Trainer vorher bei einem Endturnier.

Scolari war dem Trugschluss erlegen, seine Mannschaft mit jenem Plan ins Spiel schicken zu können, mit dem sich die Selecao bisher mehr schlecht als recht durch das Turnier gespielt hatte. Allerdings vergass Scolari dabei, den Ausfall seiner beiden wichtigsten Spieler im Kollektiv und mittels einer veränderten taktischen Ausrichtung aufzufangen.

Brasilien setzte stattdessen nur auf Leidenschaft und Emotionen - was spätestens nach dem 0:2 aus brasilianischer Sicht aber in nackte Angst, Panik und Chaos umschlug. Da offenbarten sich die Mängel der letzten Wochen auf grausame Weise, und es war kein Thiago Silva mehr da, der in der Defensive ausbügeln konnte. Und kein Neymar, der vorne auf eigene Faust ein Spiel gewinnt.

Wie beim Freizeitkick am Sonntagmorgen

Brasiliens Individualisten sind spektakulär gescheitert. David Luiz, der teuerste Abwehrspieler aller Zeiten, spielte gegen Deutschland sein ganz eigenes Spiel - wie am Sonntagmorgen bei einem Freizeitkick: nach Lust und Laune, getrieben von seinen Emotionen.

Das grosse Ziel Maracana vor Augen, überschätzte sich Luiz, warf eine Halbzeit lang alle Vorsicht über Bord und stand am Ende stellvertretend für diesen Hühnerhaufen, diese Karikatur einer Profimannschaft, die in Gelb, Grün und Weiss für "Ordem e progresso" stehen sollte. Für Ordnung und Fortschritt.

Die deutsche Mannschaft war dazu der komplette Gegenentwurf, wie ein Puzzlestück dem anderen passte sie sich dem Spiel der Gastgeber an. Deutschland attackierte teilweise aggressiv und in hohem Tempo die gegnerische Viererkette.

Phasenweise hatte Brasilien schon Probleme, den Ball einigermassen kontrolliert über die Mittellinie zu spielen. Auf die vielen langen Diagonalbälle über das Mittelfeld hinweg war die Nationalmannschaft viel besser vorbereitet als noch gegen Frankreich. Die Verbindung zu den vier offensiv orientierten brasilianischen Spielern war damit gekappt, Fernandinho und Luiz Gustavo im defensiven Mittelfeld mit dem Spielaufbau heillos überfordert.

Brasilien hatte keinen Plan B

Normalerweise baut eine Mannschaft - oder ihr Trainer - dann zusätzliche Absicherungen ein, wenn sie bemerkt, dass das Pressing des Gegners einen erdrückt. Brasilien änderte gar nichts. Jeder Ballverlust im Mittelfeld führte in unmittelbarer Konsequenz zu einem überfallartigen deutschen Angriff, wie eine Lawine rollten die Spieler auf die rudimentäre Viererkette der Brasilianer zu und spielten ihre Angriffe eiskalt zu Ende.

Das Krisenmanagement der Brasilianer hat total versagt. Und gemeinsam mit dem unheimlichen Druck, der sich nach Wochen der Anspannung in die falschen Kanäle entlud, kam eine Partie zustande, wie es sie vielleicht vor 50 Jahren noch bei einer Weltmeisterschaft zu sehen gab. Aber nicht mehr in jenem Hochglanzbetrieb, der der Fussball mittlerweile ist. Wo jeder alles über die Stärken und Schwächen des Gegners weiss.

Brasilien war schlecht vorbereitet auf dieses Halbfinale, und als die ersten Gegentore geschluckt waren, frass die Angst die Spieler förmlich auf. Da war kein Spieler mehr, an dem sich der Rest hätte aufrichten können. Jeder war nur noch mit sich selbst beschäftigt und dem Gedanken an die grösste Schmach der brasilianischen Fussballgeschichte.

"Das Leben geht weiter", sagte Scolari dann noch und formulierte ein ehrlich gemeintes Pardon an seine Landsleute: "Allen unseren Fans da draussen, dem brasilianischen Volk, möchte ich sagen: 'Bitte entschuldigt diese Niederlage!'"

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