Zwischen Vorfreude und Protesten: Die fussballverrückten Brasilianer freuen sich einerseits auf den Beginn der WM 2014 im eigenen Land, doch andererseits stossen die Kosten für die Austragung vielen negativ auf. Ein Blick in ein Land, das zwischen Vorfreude und Ablehnung auf das grösste Fussballereignis der Welt hin- und hergerissen ist.
Brasiliens dreimaliger Weltfussballer Ronaldo hat sich seit Ende seiner Profikarriere äusserlich verändert: Sein einstiges Markenzeichen, die Zahnlücke, ist geschlossen. Wenn er lächelt, richtet sich der Blick nun eher auf seine Pausbäckchen. Auch einen Wohlstandsbauch hat er sich angefuttert.
Als Fifa-Botschafter kann er sich das jetzt erlauben. Er reiste er um die Welt, spachtelte an vielen Buffets und machte Werbung für die WM 2014 in seinem Heimatland. Die Vorfreude auf das Fussballfest in Brasilien war ihm in jedem Interview anzumerken.
Erst kürzlich sagte er "Sport 1": "Die WM ist eine wichtige Chance für Brasilien und wird uns ein bedeutendes Vermächtnis hinterlassen. Nicht nur die Stadien, sondern auch im Hinblick auf Infrastruktur- und Stadtentwicklung der Städte, in denen Spiele ausgetragen werden." Ronaldo ist sich sicher, dass die WM einen "enormen Beitrag" zur künftigen Entwicklung des Landes leisten werde.
Die meisten Brasilianer sind gegen die WM
Diesen Optimismus teilen die wenigsten in seinem Heimatland. Verschiedene Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der rund 200 Millionen Brasilianer gegen die WM in ihrem Land sind. Viele Menschen leben in bitterster Armut in sogenannten Favelas, Drogenhochburgen in Randbezirken von grossen brasilianischen Städten. Deren Bewohner leben in notdürftig zusammengebauten Hütten aus Müllmaterial. Im Vorfeld der WM wurden die Favelas verstärkt mit Razzien durchforstet.
Die WM ist für diese Menschen keine Chance, sondern Hindernis. Für den Bau neuer Stadien musste das Land Milliarden Euro ausgeben. Milliarden Euro, die nun für Bildung, Gesundheit oder bezahlbare Wohnungen in Brasilien fehlen.
Kurz vor dem Eröffnungsspiel am Donnerstag legten zum Beispiel Mitarbeiter von Flug- und Bahnhöfen ihre Arbeit nieder. Verschiedene Berufsgruppen streikten in den vergangenen Monaten zu Zehntausenden. Immer wieder randalierten aufgebrachte Brasilianer auf den Strassen. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff will sich davon nicht beeindrucken lassen. "Wir sind ein demokratisches Land, und wir respektieren das Recht der Menschen zu demonstrieren", sagte sie bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Doch sollte es wieder zu Ausschreitungen kommen, werde es nicht die "geringste Rücksichtnahme" auf die Vandalen geben.
Sie lässt ihren Worten Taten folgen. Rund 150.000 Polizisten, 100.000 Soldaten und 20.000 private Sicherheitskräfte sollen sich um die Sicherheit rund um die WM kümmern. "Wir wollen keine Verseuchung durch Gewaltakte", sagte Dilma Rousseff. Ein friedliches Fussballfest, auf das sich alle Brasilianer freuen, sieht anders aus.
DFB hilft mit sozialen Projekten
Der DFB ist trotz aller Probleme zufrieden mit dem Austragungsort. Die Vorfreude auf die WM ist im deutschen Lager gross, die Konzentration des DFB-Teams gilt einzig und alleine dem Turnier. Trotzdem will man bei DFB die Missstände im Land nicht ignorieren. Der Deutsche Fussballbund kümmert sich sogar mit sozialen Projekten darum, dass es dem Land besser geht. Eine Delegation um DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und dem ehemaligen Nationalspieler Cacau beispielsweise besuchte gestern eine Hilfsorganisation in der Nähe von Sao Paulo, im Gepäck ein Scheck in Höhe von 15.000 Euro. "Wir wollen das Turnier zum Anlass nehmen, zumindest punktuell zu helfen und damit nicht nur sportlich Spuren zu hinterlassen", sagte Wolfgang Niersbach bereits vor einem Monat in Deutschland.
Inzwischen sind hundertausende ausländischer Fans in Brasilien gelandet. Mit Tröten, Trillerpfeifen und Trikots ihrer Nationalteams verbreiten sie auf den Strassen gute Stimmung. Die brasilianische Regierung werde für die "Sicherheit aller Touristen" garantieren, sagt Dilma Rousseff. Der dreimalige Weltfussballer Ronaldo ist sich sicher, dass es keine Probleme geben wird: "Die brasilianische Bevölkerung wird die Fans sehr herzlich empfangen", sagt er zu "Sport 1".
Mit dieser Aussage dürfte er trotz aller Negativschlagzeilen über Brasilien Recht behalten. Die Einwohner sind ein fussballverrücktes Volk. Sobald der Anpfiff ertönt, wird auch der Grossteil der Bevölkerung ihrer Mannschaft zujubeln. Die Missstände in dem Land rücken dabei aber nur 90 Minuten lang in den Hintergrund.
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