Deutschland gegen Argentinien - ein historisches Finale! Vor 24 Jahren feierte die DFB-Elf im gleichen Duell den bislang letzten Weltmeistertitel. Am Sonntag kommt es in Rio zur Neuauflage des Spiels. Wir haben die Mannschaft von 1990 mit unserem heutigen Team verglichen.
Zugegeben: Der Vergleich zwischen der Weltmeistermannschaft von 1990 und dem aktuellen deutschen Team hinkt ein wenig. Denn die Taktik hat sich in 24 Jahren enorm verändert. In Italien setzte Teamchef Franz Beckenbauer noch auf ein System mit Libero und Manndecker. Begriffe, die jüngeren Fussballfans gar nicht mehr geläufig sind. Doch diese Form der Verteidigung war damals der aktuelle Fussballstand und Deutschland beherrschte das System auf höchstem Niveau.
2014 in Brasilien lässt Joachim Löw eine 4-2-3-1-Formation auflaufen. Libero und Manndecker haben längst ausgedient. Die heutigen taktischen Kniffe heissen Doppelsechs und falsche Neun.
Ein anderer Ansatz, doch das gleiche Ziel: Auch Jogis Jungs wollen am Sonntag in Rio de Janeiro den Weltmeistertitel holen.
Tor: Bodo Illgner gegen Manuel Neuer
Bodo Ilgner war ein sicherer Rückhalt im Weltmeisterteam von 1990. Bis zum Halbfinale war er nicht gross gefordert. Doch gegen England wurde er zum Held des Elfmeterschiessens.
Manuel Neuer spielt eine überragende WM. Im Viertelfinale gegen Algerien war er der Matchwinner. Als letzter Mann entschärft er viele gefährliche Situationen in bester Libero-Manier weit vor dem Tor. Auch gegen Frankreich hielt er den Sieg mit beeindruckenden Paraden fest.
Abwehr: Libero und Manndecker gegen Viererkette
In der Abwehr werden die Unterschiede zwischen 1990 und 2014 besonders deutlich. Beckenbauers Verteidigungssystem baute auf seinem Libero Klaus Augenthaler auf. Als letzter Mann vor dem Torwart musste er aushelfen, wenn die gegnerischen Angreifer die eigentliche Abwehrkette durchbrochen hatten. Da der Bayer nicht der schnellste war, überzeugte er mit Stellungsspiel und "Auge".
Vor ihm verteidigte eine Dreierkette mit den Manndeckern Andreas Brehme auf der linken Seite, Jürgen Kohler in der Mitte und Guido Buchwald auf rechts. Buchwald hatte im Finale die damals schier unmögliche Aufgabe, Argentiniens Star Diego Armando Maradona an die Kette zu legen. Dies gelang ihm so gut, dass er später den Spitznamen "Diego" erhielt. Die Abwehrspieler hatten jedoch nicht nur Defensivarbeit zu verrichten. Wie unser WM-Experte Andreas Brehme erklärt, wurde schon 1990 von den Aussenverteidigern erwartet, offensiv Akzente zu setzen.
2014 ist es nicht anders. Auch Rechtsaussen Philipp Lahm soll sich so oft es geht nach vorne einschalten. Auf der linken Seite hat es Benedikt Höwedes als gelernter Innenverteidiger schwerer. Dynamische Flügellaufe gehören nicht gerade zu seinem Standardrepertoire. Als Anspielstation ist aber auch er oft in der gegnerischen Hälfte zu finden. Jerome Boateng und Mats Hummels erinnern zumindest glegentlich an einen klassischen Libero. Da im modernen Fussball meist ein Stossstürmer auf zwei Innenverteidiger trifft, stellt einer der beiden den Angreifer im Zweikampf, während der andere den freien Raum absichert. Mehr noch als früher, müssen die Innenverteidiger heutzutage technisch stark sein und das Spiel mit klugen Pässen eröffnen.
Mittelfeld: Eine Reihe gegen Doppelsechs und Kreativspieler
Die vier deutschen Mittelfeldspieler im WM-Finale 1990 spielten - zumindest laut Aufstellung - alle auf einer Linie. Pierre Littbarski besetzte dabei den linken Flügel, Lothar Matthäus und Thomas Hässler verwalteten die Zentrale und Thomas Berthold kam über die rechte Seite. Gegen die extrem defensiven Argentinier überzeugte Deutschland mit enormer Ballsicherheit und Dominanz. Allerdings hatten es die Mittelfeldspieler schwer eine Lücke im südamerikanischen Abwehrverbund zu finden. In der 84. Minute war es aber so weit. Die Geduld hatte sich ausgezahlt. Nach einem dynamischen Sololauf fand Thomas Berthold Stürmer Rudi Völler im Strafraum. Der wurde vom seinem Bewacher gelegt und Schiedsrichter Edgardo Mendez zeigte sofort auf den Punkt. Der Rest ist Geschichte. Brehme trat an, "Goycochea wusste alles - nur halten konnte er ihn nicht!"
Aktuell ist der Blick auf die Formation im Mittelfeld etwas komplexer. Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger sichern als defensive Doppelsechs hauptsächlich nach hinten ab. Trotzdem schaltet sich einer von beiden oftmals auch in das Angriffsspiel ein. Für die offensiven Akzente sind aber vor allem die drei übrigen Mittelfeldspieler verantwortlich. Zentral steht mit Toni Kroos ein Spieler, der die Angriffsbemühungen lenkt. Der Begriff Spielmacher scheint aus der Mode gekommen zu sein. Doch im Grunde ist Kroos genau das. Mit seinen Seitenwechseln, Pässen in die Tiefe und Distanzschüssen steht er in einer Reihe mit Wolfgang Overath, Felix Magath und Günter Netzer. Auf den Flügelpositionen spielen mit Mesut Özil und Thomas Müller zwei sehr unterschiedliche Spielertypen. Özil versucht mit Dribblings für Gefahr zu sorgen, Müller mit Geistesblitzen und unzähligen Läufen.
Schnelle Umschaltaktionen wie im Halbfinale gegen Brasilien werden gegen Argentinien wohl nicht zustande kommen. Deswegen wird die DFB-Elf wie schon 1990 viel Geduld brauchen und ihr strukturiertes Aufbauspiel konsequent durchziehen.
Sturm: Doppelspitze gegen Ein-Mann-Sturm
Auch im Sturm gibt es grosse Unterschiede zwischen 1990 und 2014. Mit Jürgen Klinsmann und Rudi Völler spielten in Italien zwei echte Vollblutstürmer. Im Finale wurden sie von der argentinischen Verteidigung zwar fast vollständig abgemeldet, doch vor allem in der Vorrunde trafen sie nach Belieben. Weniger als zwei Stürmer waren zu dieser Zeit international kaum denkbar.
Heutzutage reicht zumeist ein Angreifer aus. Zwischenzeitlich ging der Trend sogar zu null Stürmern. Auch in der Vorrunde in Brasilien setzte Jogi Löw dreimal auf die falsche Neun, ein Spielsystem ohne echten Mittelstürmer. Mittlerweile vertraut Löw aber wieder auf die Erfahrung und den Torriecher von Miroslav Klose. Er ist ein echter Neuner und holte sich in Brasilien den Titel "erfolgreichster WM-Stürmer aller Zeiten."
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.