Bundestrainer Jogi Löw hat in mittlerweile schon bester Tradition bei der Verkündung des vorläufigen Kaders für die WM 2014 in Brasilien einmal mehr für einige Überraschungen gesorgt. Wir nehmen die sieben Jungspunde im DFB-Aufgebot unter die Lupe. Welche Chancen haben Erik Durm, Kevin Volland und Co. auf einen Platz im Kader für die Weltmeisterschaft?
Sechs Spieler hat Joachim Löw berufen, die noch keine Minute für Deutschlands A-Nationalmannschaft absolviert haben. Dazu noch Matthias Ginter, der die "Erfahrung" von zwei Testspielminuten gegen Chile vorweisen kann. Überhaupt kommt der vorläufige Kader recht unerfahren daher: Die Hälfte der 30 Spieler hat weniger als 20 Länderspiele absolviert, gleich zehn Spieler weniger als fünf.
Die sechs Neulinge plus Ginter stehen in den kommenden Tagen und Wochen unter besonderer Beobachtung. Insgesamt sieben Akteure muss Löw bis zum ersten Spiel gegen Portugal am 16. Juni streichen und die meisten Experten vermuten, dass es sich dabei um eben jene sieben handelt, die quasi auf den letzten Drücker noch reingerutscht sind.
Daher gilt besonders für die Frischlinge, sich zu positionieren und aufzudrängen. Aber wer hat wirklich gute Chancen auf ein Ticket - und wer wird eher als Perspektivspieler für die Zukunft gesehen? Eine Analyse.
Erik Durm (21, Borussia Dortmund)
In der Winterpause war der Linksverteidiger noch gefühlte Lichtjahre vom DFB-Team entfernt. Mit der Verletzung von Marcel Schmelzer rückte Durm aber in der entscheidenden Phase der Saison in Borussias Stammelf und machte seine Sache ausserordentlich gut. Schmelzer muss erst wieder Normalform erreichen, dessen Backup Dennis Aogo wurde nach einem Kreuzbandriss nicht rechtzeitig fit und Marcell Jansen war zuletzt auch sieben Wochen verletzt und wird erst beweisen müssen, dass er besser sein kann als Durm. So seltsam es klingt, aber Neuling Durm dürfte derzeit im Vergleich mit Jansen klar die Nase vorn haben. Von der Ersatzbank der Borussia nach Brasilien zur WM wäre eine bemerkenswerte Geschichte. Sein Debüt gegen Polen gilt als sicher.
Shkodran Mustafi (22, Sampdoria Genua)
Der Innenverteidiger wurde bereits für das Testspiel gegen Chile Anfang März berufen, sein Debüt durfte er letztlich aber nicht feiern. Derzeit hat Löw nur drei gestandene und fitte Innenverteidiger (Jerome Boateng, Mats Hummels, Per Mertesacker), der Bundestrainer wird aber wie immer vier mitnehmen. In der Serie A hat Mustafi 31 Spiele absolviert, er gilt als Mann der Zukunft bei Sampdoria. So ähnlich wird es sich wohl auch im DFB-Team verhalten. Mustafis Chancen auf einen Platz im endgültigen WM-Kader sind sehr gering. Trotzdem soll er zum Beispiel dem bis vor Kurzem noch verletzten Benedikt Höwedes, der als erster Anwärter auf den vierten Innenverteidigerplatz gilt, in der Vorbereitung Dampf machen.
Matthias Ginter (20, SC Freiburg)
Von den "Neuen" hat er als einziger schon bewiesen, dass er zwei Spielzeiten in Serie auf absolut höchstem Niveau spielen kann. Nicht umsonst steht ein Wechsel zu Borussia Dortmund im Raum. Ginter hat trotz seines jungen Alters schon einige Erfahrungen gesammelt und ist ein Innenverteidiger moderner Prägung, dazu noch gefährlich in der Offensive bei Standards. Ein weiteres Plus: Der Freiburger kann problemlos auch im defensiven Mittelfeld eingesetzt werden. Seine Chancen stehen - auch angesichts Höwedes‘ mangelnder Fitness und fehlender Wettkampfhärte - gar nicht schlecht. Dürfte im Test gegen Polen seine Chance bekommen.
Leon Goretzka (19, Schalke 04)
Seine Berufung kam sehr überraschend. Goretzka galt in der Vorrunde schon als gescheitert auf Schalke, nicht nur sein Ex-Trainer Peter Neururer fand den Wechsel des damals erst 18-Jährigen vom VfL Bochum zu den Königsblauen verfrüht. Aber Goretzka hat sich freigeschwommen und überzeugte auf der Aussenbahn oder im defensiven Mittelfeld. Zwar besteht auf diesen Positionen im DFB-Team Bedarf, trotzdem dürften die nächsten Tage für den Abiturienten eher unter der Rubrik "reinschnuppern" verlaufen, denn als ernsthafte Gelegenheit, sich einen Platz im Kader zu ergattern. Dafür ist die Konkurrenz auf seinen Positionen zu stark.
Max Meyer (18, Schalke 04)
Das Nesthäkchen. Im Prinzip gilt für ihn dasselbe wie für seinen Teamkollegen Goretzka: Die Berufung ist ein Vorgriff auf die Zukunft, die ohne Wenn und Aber mit dem Schalker gestaltet werden wird. Dafür bringt Meyer einfach zu viel Qualität mit. Löw will den Youngster für dessen Leistungen in der Bundesliga und den U-Teams belohnen - mehr ist für eines der grössten Talente des deutschen Fussballs (noch) nicht drin. Ein Platz im 23er Kader wäre eine Sensation.
Andre Hahn (23, FC Augsburg)
Der "Oldie" unter den Neuen. Vor drei Jahren noch in der Regionalliga, jetzt auf dem Sprung nach Brasilien. Hahn ist technisch ganz sicher nicht der Stärkste, hat beim FCA aber eine bemerkenswerte Saison gespielt und wechselt nicht umsonst im Sommer zu Borussia Mönchengladbach. Vermutlich der beste Athlet im Kader, schnell, durchsetzungsfähig, topfit. Seine Flankenläufe sind mittlerweile ein Markenzeichen. Er bringt durchaus Qualitäten mit, die unter den besonderen Umständen in Brasilien wichtig werden können. Hahn kann der erste Augsburger Nationalspieler werden seit dem legendären Helmut Haller 1970. Die Chancen auf einen Platz im endgültigen Kader stehen 50 zu 50. Sein schärfster Konkurrent ist der Schalker Julian Draxler. Auf ihn wartet im Polen-Spiel wohl sein Debüt.
Kevin Volland (21, 1899 Hoffenheim)
Wirklich überraschend kam seine Nominierung nicht mehr - dass dafür aber Max Kruse zu Hause bleiben muss, war nicht zu erwarten. Volland ist längst mehr als "nur" ein Geheimtipp. Seine körperbetonte und robuste Spielweise macht die eher kleine Statur wieder wett. Volland bewegt sich klug zwischen den gegnerischen Abwehrlinien, kann aber ganz vorne reinstossen und den Abschluss suchen. Eigentlich eine klassische "falsche Neun" neben dem Stossstürmer Miroslav Klose. Da Löw nur den Römer als einzigen gesetzten Angreifer dabei hat, wird er wohl kaum auf Volland als Ersatz verzichten wollen. Auch wenn in Mario Götze, Marco Reus oder Thomas Müller noch ein paar mehr "falsche Neuner" sicher dabei sind. Gegen Polen wird Volland seine Premiere bei der A-Nationalmannschaft feiern.
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