Kevin Grosskreutz hat gegen eine Säule in einem Berliner Hotel uriniert - und erhält dennoch uneingeschränkte Rückendeckung vom DFB. Joachim Löw macht sich mit dieser Entscheidung unglaubwürdig. Der Bundestrainer setzt bei Eklats seit Jahren unverständliche Massstäbe an. Der Grund ist simpel. Ein Kommentar.
Joachim Löw hat sich zwar final noch nicht festgelegt, welche Spieler er mit zur Weltmeisterschaft nach Brasilien nehmen wird, doch eines scheint klar zu sein: Kevin Grosskreutz wird im 23-Mann-Kader stehen. Für den Bundestrainer ist Grosskreutz erst recht aufgrund der aktuellen Personalsituation unverzichtbar: Der BVB-Profi ist nicht nur im Mittelfeld, sondern auch auf den Aussenverteidigerpositionen einsetzbar. Und gerade dort drückt dem DFB-Team der Schuh - nach der Verletzung von Philipp Lahm, dessen Rückkehr ins Teamtraining weiterhin nicht abzusehen ist, mehr denn je.
Dass Löw an Grosskreutz nach dessen Pinkel-Eklat in einem Berliner Hotel festhält, verwundert daher nicht. Dennoch hinterlässt diese Entscheidung einen faden Beigeschmack.
Der DFB proklamiert seit jeher die Vorbildfunktion, die der Verband und seine Spieler in der Öffentlichkeit einnehmen. Doch ein Nationalspieler, der volltrunken gegen eine Säule eines Hotels uriniert, passt nicht in dieses Bild. Zumal dies schon der zweite Vorfall innerhalb kürzester Zeit war: Vor zwei Wochen soll Grosskreutz einen Mann mit einem Döner beworfen haben, als er abends privat unterwegs war.
Es drängt sich die Frage auf, was passiert wäre, wenn deutlich verzichtbarere WM-Kandidaten wie beispielsweise Christoph Kramer oder Shkodran Mustafi so negativ aufgefallen wären? Löw hätte diesen das Rückflug-Ticket aus Südtirol wohl persönlich in die Hand gedrückt.
Löw muss sich vorwerfen lassen, Eklats und Skandale seit Jahren mit unterschiedlichem Mass zu messen - und zwar so, wie es ihm gerade passt. Als der nicht mal für die Ersatzbank nominierte Kevin Kuranyi beim WM-Qualifikationsspiel gegen Russland 2008 in der Halbzeitpause genervt das Stadion verliess, reagierte der Bundestrainer mit dem sofortigen Rausschmiss. Kuranyi entschuldigte sich mehrfach, doch Löw blieb knallhart. Der Grund ist einfach: Kuranyi war verzichtbar. Ebenso wie Ex-Kapitän Michael Ballack, den Löw nach und nach absägte.
Doch als 2009 der damals stark aufspielende Lukas Podolski Ballack eine Ohrfeige verpasste und sich damit ein deutlich schlimmeres Vergehen als Kuranyi wenige Monate zuvor leistete, beliess es der DFB bei einem lautstarken Rüffel. Ein Suspendierung auf Zeit wäre das richtige Signal gewesen - auch im Hinblick auf die Vorbildfunktion, die die DFB-Stars für die fussballliebenden Kinder einnehmen. Doch auf Prinz Poldi konnte und wollte das DFB-Team damals nicht verzichten. Auch Jerome Boatengs Treffen mit Nacktmodel Gina-Lisa Lohfink vor dem Abflug zur EM 2012 blieb ohne grösseren Folgen für den Spieler. Löw benötigte den Verteidiger bei der Titeljagd auf der rechten Abwehrseite.
Es ist keineswegs falsch, Grosskreutz nur zu ermahnen und die Gelbe Karte für seinen Aussetzer zu zeigen. Zumal sich dieser reumütig gibt und Besserung gelobt. Doch Löw sollte sich fragen, ob dies nicht auch in anderen Fällen ausgereicht hätte.
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