Vom Helden zum Buhmann: Das Halbfinal-Aus der Niederlande geht vor allem auf die Kappe von Trainer Louis van Gaal. Im Viertelfinale gegen Costa Rica wurde er für seine Entscheidung gefeiert, als er vor dem Elfmeterschiessen den Torwart ausgetauscht hat. Gegen Argentinien aber hat sich van Gaal mächtig verspekuliert.
"Geniestreich", "van Geenial", "Taktikfuchs": So überschwänglich wurde Oranje-Coach Louis van Gaal gefeiert, als er kurz vor dem Elfmeterschiessen gegen Costa Rica (4:3) Torhüter Tim Krul einwechselte. Der bedankte sich für das Vertrauen mit zwei gehaltenen Elfmetern. Die Niederlande zogen ins Halbfinale ein.
Nur vier Tage später zählen diese Lobeshymnen nichts mehr. Die Niederlande sind ausgeschieden, vor allem weil der sogenannte "Taktikfuchs" schwerwiegende taktische Fehler gemacht hat.
1. Seine unstete Linie beim Torwarttausch
Die Niederlande mussten gegen Argentinien zum zweiten Mal bei dieser WM ins Elfmeterschiessen. Doch dieses Mal endete es bitter für die "Elftal". Vier argentinische Schützen traten an, alle vier trafen. Das lag auch daran, dass Jasper Cillessen bei den Niederländern im Tor stand. Im Viertelfinale wurde er noch kurz vor dem Elfmeterschiessen auf die Bank verbannt, ohne vorher von den Plänen seines Trainers gewusst zu haben. Nachdem ihm van Gaal schon einmal das Vertrauen entzogen hatte: Woher soll der Torhüter es nun hernehmen?
Cillessen versuchte stattdessen, seinen Torwartkollegen Tim Krul nachzuahmen, Oranjes Elfmeterhelden gegen Costa Rica. Cillessen ging vor den Elfmetern auf die Gegner zu, provozierte und debattierte darüber, wo der Ball zu liegen hat. Doch diese Versuche waren nur halbherzig. Damit hat er sich wohl selbst mehr irritiert als den Gegner. Bei allen vier Versuchen bewies Cillessen, dass er wirklich kein Elfmeterkiller ist. Bei zweien war er zwar noch dran, klatschte sie aber ins eigene Netz. Van Gaal hätte stringent bleiben und erneut Krul einwechseln müssen.
2. Die Reihenfolge der Elfmeterschützen
Arjen Robben war bei dieser WM der Starspieler der Niederländer. Bereits gegen Costa Rica hat er seinen Elfmeter sicher verwandelt. Warum liess ihn van Gaal nicht von Anfang an schiessen, um seiner Mannschaft Selbstvertrauen zu geben?
Stattdessen trat Ron Vlaar als erster niederländischer Schütze an und verschoss. Der argentinische Trainer Alejandro Sabella machte es richtig: Er liess als ersten Spieler seinen Topstar Lionel Messi ran, der sicher verwandelte. Die Niederlande waren gleich zu Beginn des Elfmeterschiessens mit einem Rückstand konfrontiert. Der ehemalige Oranjespieler Frank de Boer kritisierte im niederländischen TV. "Es müssen immer die beiden besten Schützen beginnen und am Ende noch ein Guter zur Verfügung stehen."
3. Die defensive Ausrichtung der Niederländer
TV-Experte Mehmet Scholl lederte gleich nach Abpfiff in der ARD los. Mit seiner neuen Defensiv-Taktik habe van Gaal zeigen wollen, "dass er nicht nur den Fussball-Keks, sondern den allergrössten Fussball-Keks gegessen hat". "Die Niederländer haben während des Turniers ihre Art, Fussball zu spielen, verloren", meinte der Europameister von 1996.
Mit dieser Kritik hat Scholl Recht. Die drei Spitzenleute in der Offensive, Robben, Sneijder und van Persie, blieben vor allem in der regulären Spielzeit blass. Man hatte den Eindruck, dass es van Gaal nur darum ging, Fehler zu vermeiden. Stattdessen hätte er ruhig mehr über die Flügel spielen lassen können. In der Verlängerung zeigte sich, dass besonders Robben ein ums andere Mal die gegnerischen Abwehrreihen durchbrechen konnte. Doch dann war es schon zu spät.
Vielleicht nicht in der regulären Spielzeit, aber in der Verlängerung war zu sehen, dass die Niederländer das etwas bessere Team waren. Argentinien beschränkte sich nur auf die Verteidigung, sogar aussichtsreiche Konter waren Mangelware.
Doch die Oranje-Offensivabteilung bekam von der Defensive zu wenig Futter. Der Pass nach vorne fehlte. Das niederländische Mittelfeld und die Abwehr schoben lieber den Ball diagonal hin und her. Damit unterwanderte van Gaal seine eigene von Dominanz geprägte Spielphilosophie, mit der die Niederländer vielleicht gewonnen hätten. Die defensive Ausrichtung war der erste von drei Fehlern, die van Gaal auf seine Kappe nehmen muss.
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