Es ist die am meisten diskutierte Personalie im Bezug auf die deutsche Nationalmannschaft: die Rolle von Philipp Lahm nach dessen Leistungen im defensiven Mittelfeld bei der WM 2014. Auf der "Sechs" liefert der DFB-Kapitän deutlich schwächere Spiele ab als einst auf der rechten Abwehrseite. Experten fordern Joachim Löw dazu auf, die Mannschaft umzustellen - und der Bundestrainer scheint das in Erwägung zu ziehen.
Deutlich mühsamer als erwartet setzte sich die deutsche Nationalmannschaft im Achtelfinale der WM 2014 gegen Algerien (2:1 n.V.) durch. Wie schon beim 2:2 gegen Ghana in der Gruppenphase war Philipp Lahm einer der Schwachpunkte. Dem 30-Jährigen gelang es erneut nicht, das Spiel seiner Mannschaft als Verbindungsglied zwischen Defensive und Offensive zu ordnen. Impulse nach vorn setzte Lahm kaum. Auch die vielen, meist gefährlichen Konter der Algerier konnte er gemeinsam mit seinem Teamkollegen nicht unterbinden.
Als sich Rechtsverteidiger Shkodran Mustafi in der 69. Minute schwer verletzte und ausgewechselt werden musste, rückte Lahm auf dessen Position - und sofort steigerte sich der Kapitän um Längen. Die Forderungen in Richtung Bundestrainer Joachim Löw, sein Team im Hinblick auf das Viertelfinal-Duell mit Frankreich (Freitag, 18:00 Uhr in der ARD und live bei uns im Ticker) umzustellen, haben somit neue Nahrung erhalten.
Andreas Brehme will Philipp Lahm auf der rechten Abwehrseite sehen
Unser WM-Experte Andreas Brehme würde Lahm ohnehin lieber rechts hinten sehen "und Bastian Schweinsteiger vor der Abwehr spielen lassen", wie der Weltmeister von 1990 bereits nach dem Ghana-Spiel in seiner Kolumne schrieb. Brehme forderte schon damals eine Reaktion von Löw: "Wenn es auf der rechten Aussenverteidigerposition wirklich Probleme gibt, dann muss ihn der Trainer eben wieder rechts hinten hinstellen. Das ist doch ganz normal."
Eine ähnliche Meinung vertritt Bundesliga-Trainer Armin Veh: "Dieses Spiel hat wieder gezeigt, dass Philipp Lahm Aussenverteidiger spielen sollte", sagte der neue Coach des VfB Stuttgart der "Frankfurter Neuen Presse" nach dem deutschen Achtelfinalerfolg über Algerien. Schliesslich sei Lahm dort "der Beste, den wir haben".
Grosse Unterschiede zu Leistungen beim FC Bayern München
Dass Löw bis dato an Lahm als Sechser festhält, ist nur mit einem Blick auf die Leistungen des 30-Jährigen beim FC Bayern München zu erklären. Beim deutschen Rekordmeister war der Münchner in der für ihn von Bayern-Trainer Pep Guardiola auserkorenen Rolle stets ein belebendes Element. Balleroberungen, schnelles Umschaltspiel, Einleiten gefährlicher Angriffe - all das zeichnete Lahms Spielweise auf der "Sechs" bei den Bayern aus. Und genau das lässt der 30-Jährige im DFB-Team vermissen. Dort wirkt Lahm im Mittelfeld ungewohnt nervös und leistet sich - wie vor dem 1:2-Gegentor gegen Ghana - haarsträubende Fehlpässe.
Die Beinahe-Blamage gegen Algerien macht zudem deutlich: Deutschland hat immer noch grosse Probleme auf den defensiven Aussen. Die Auftritte der Aussenverteidiger Jerome Boateng und Benedikt Höwedes genügen nicht den hohen deutschen Ansprüchen. Insbesondere das Offensivspiel hakt sichtlich - die Angriffsreihe um Mesut Özil, Toni Kroos, Mario Götze und Thomas Müller erfährt kaum Unterstützung durch die Hinterleute.
Eine Umstellung könnte gleich zwei Probleme lösen
Vor allem der Schalker Höwedes, Rechtsfuss und gelernter Innenverteidiger, steht massiv in der Kritik. "Für mich ist Höwedes kein Linksverteidiger. Er hat nicht die Fähigkeiten, auf dieser Position das Spiel positiv zu beeinflussen", sagte Höwedes' Ex-Trainer Felix Magath unlängst im ZDF. Für den S04-Kapitän solle nach Magaths Ansicht Lahm auf die linke Abwehrseite rücken. "Es ist die eine Sache, was ein Spieler will. Doch entscheidender ist der Erfolg der Mannschaft - und dieses Team braucht Lahm auf der linken Seite dringender als im Mittelfeld", so der Coach des FC Fulham.
Die Diskussionen um Lahm, Höwedes und Boateng bekommt natürlich auch Löw mit. Der DFB-Trainerstab scheint sich einzugestehen, dass die Variante mit Lahm im Mittelfeld nicht die Ideallösung für das Team ist, wie Andreas Köpkes Worte auf der Pressekonferenz am Dienstag vermuten lassen. Der Torwarttrainer betonte, dass auch die Personalie Lahm intern besprochen werde: "Es ist doch nicht so, dass, weil der Bundestrainer mal gesagt hat, dass Philipp Lahm im Mittelfeld spielen wird, wir davon nicht abweichen. Wir diskutieren diese Dinge."
Auch Oliver Bierhoff will nichts von einem "Dickkopf-Vorwurf" gegen Löw wissen. In der "Bild" sagte der Nationalmannschaftsmanager: "Jogi ist nicht stur. Kein Trainer ist stur, um nur stur zu sein. Er hat alle Varianten im Kopf, wo und wie das Team am stärksten ist. Jogi will nur eines - genau, was wir alle hier und auch zu Hause in Deutschland wollen: Weltmeister werden!"
Es ist also noch offen, auf welcher Position Lahm gegen Frankreich auflaufen wird. Gewinnt Deutschland, wird das im Nachhinein egal sein. Spielt Lahm aber im Mittelfeld und Deutschland scheidet aus, ist der Schuldige schnell ausgemacht: Joachim Löw.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.