Ein Oldie und ein Grünschnabel bilden wohl den deutschen Sturm bei der WM. Mit anderen Titelfavoriten kann das DFB-Team da nicht mithalten. Bundestrainer Joachim Löw hat das Problem längst erkannt - seine angedachte Lösung hat den Belastungstest auf hohem Niveau aber noch nicht bestanden.
Ziemlich sicher hätte Kevin Vollands Debüt im DFB-Dress mehr Aufmerksamkeit erregt, wäre er am Dienstagabend in Hamburg nicht Teil eines ganzen Dutzend gewesen. Zwölf Spieler schickte Joachim Löw in ihr erstes Spiel mit dem Adler auf der Brust, ein Novum in der 114-jährigen Geschichte des Deutschen Fussball-Bundes. Einige der Spieler durften im Hinblick auf die folgenden Turniere nach der WM einfach mal reinschnuppern. Ein paar andere standen unter besonderer Beobachtung. Darunter Volland, in dieser Saison bei 1899 Hoffenheim mit elf Toren in 33 Spielen bester deutscher Angreifer.
Überhaupt gab es in der abgelaufenen Saison nur zwei gelernte Stürmer mit deutschem Pass, die noch besser waren als der Kapitän der deutschen U-21: Pierre-Michel Lasogga (13 Tore) und Stefan Kiessling (15). Der eine war zuletzt sechs Wochen verletzt und ist kein Thema für die WM. Der andere ist nicht verletzt, spielt in den Planungen des Bundestrainers aber schon lange keine Rolle mehr.
Klose und Volland, die letzten echten Stürmer
Der Bundestrainer kennt die grundlegende Problematik schon lange. Deutschland war traditionell immer das Land der Torhüter, der Vorstopper und eben der Angreifer. Uwe Seeler, Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Klaus Fischer, Rudi Völler waren Grössen ihres Berufsstands. Vor dem wichtigsten Turnier der letzten vier Jahre steht Löw mit einem einzigen gestandenen Angreifer da: Miroslav Klose, der eine Woche vor dem Auftaktspiel gegen Portugal 36 Jahre alt wird.
Sein Kronprinz Mario Gomez hat es nach zwei schweren Verletzungen und der "hässlichsten Saison" seiner Karriere nicht mehr rechtzeitig geschafft und wird erstmals seit sechs Jahren ein Turnier verpassen. Bleibt also noch Volland, nachdem Max Kruse von Löw am Mittwoch endgültig mit Missachtung gestraft wurde.
Es war trotz 36 erzielter Treffer bereits in der Qualifikation zu erkennen, dass es der deutschen Mannschaft im gegnerischen Strafraum an Wucht und Präzision fehlt. "Beim Pass und beim finalen Abschluss müssen wir uns noch verbessern", erkannte Löw im Herbst, "Man hat gesehen, dass wir zu viele Chancen brauchen. Da fehlt uns die letzte Konsequenz. "Er hätte auch sagen können: "Da fehlt uns einer, der die gut vorgetragenen Angriffe kalt veredelt." Und da handelte es sich unter anderem um Gegner wie Irland, Österreich oder Kasachstan - nicht eben die Creme des Weltfussballs.
Keine Tore mehr durch Angreifer
Die letzten Tore eines gelernten Angreifers erzielte Klose im September letzten Jahres, da traf der 35-Jährige im Qualifikationsspiel gegen Österreich doppelt. In den sieben Spielen danach waren die offensiven Mittelfeldspieler für das Gros der Tore zuständig, in den beiden Partien gegen die Grossmächte Italien und England trafen mit Mats Hummels und Per Mertesacker zwei Abwehrspieler. Und überhaupt gab es zuletzt in vier Spielen nur drei eigene Tore zu bejubeln. Dafür aber auch nur ein Gegentor.
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde der Mannschaft zu Recht ein veritables Defensivproblem attestiert. Ein Blick auf den Kader, den Löw für kommenden Mittwoch ins Trainingslager nach Südtirol bestellt hat, zeigt aber auch, dass Deutschland im Vergleich zu den anderen Topfavoriten des Turniers im Angriff bestückt ist wie ein Team der Mittelklasse.
Die falsche Neun als Dauerlösung?
Spanien hat David Villa, Fernando Torres, Fernando Llorente und Shooting Star Diego Costa dabei, Brasilien wartet mit Fred, Hulk, Jo und Neymar auf. Argentinien kann sich sogar den unfassbaren Luxus leisten mit Carlos Tevez sowie Javier Pastore gleich zwei Topstürmer zu Hause zu lassen. Es bleiben schliesslich unter anderem die Grosskaliber Sergio Aguero, Gonzalo Higuain Ezequiel Lavezzi und Rodrigo Palacio. Der DFB kann da nur neidisch auf die aufgerüsteten Angriffsreihen der Konkurrenz schauen. Der Berufsstand des Angreifers ist schon seit Jahren eine Mangelposition im deutschen Fussball, die kritischste Planstelle neben den obligatorisch unterbesetzten Aussenverteidigerstellen.
Auch deshalb hat sich Löw vor zwei Jahren immer mehr mit dem Gedanken an ein Spielsystem ohne klaren Stossstürmer angefreundet. Hier ist die Auswahl an Kandidaten enorm: Thomas Müller, Mario Götze, Marco Reus, Andre Schürrle oder der ehemalige Stürmer Lukas Podolski kommen dafür in Frage. Es ist ein Vabanquespiel, auf das sich der Bundestrainer einlassen muss. Es gab schon Partien, da hat das Spiel mit der falschen Neun ganz passabel funktioniert. Aber eben nicht immer und zuverlässig. Dafür fehlen die Erfahrungswerte in Pflichtspielen gegen starke Gegner.
Noch nie zuvor ist eine deutsche Nationalmannschaft derart schwach auf der Brust in ein Turnier gegangen, was die Auswahl an Angreifern angeht. Einen kleinen Vorgeschmack gab es beim letzten grossen Turnier vor zwei Jahren in Polen und der Ukraine.
Da standen mit Klose und Gomez auch nur zwei nominelle Stürmer im Aufgebot. Der gefährlichere der beiden war Gomez, er erzielte drei Tore selbst und bereitete eines vor. In diesem Sommer wird er die WM aber von der Couch aus verfolgen müssen.
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