Joachim Löw hat bei der Nominierung des endgültigen WM-Kaders noch einmal überrascht. Grundsätzlich bleibt der Bundestrainer aber konservativ und besetzt jede Position mindestens doppelt. Es bleiben die üblichen Problemzonen.

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Es geht also auch noch ohne Pomp und Tamtam beim Deutschen Fussball-Bund: Die Kader-Nominierungen der Nationalmannschaft vor grossen Turnieren wird vom Verband ja immer in aller Breite und Ausführlichkeit zelebriert, ein grosses Event ist das mit allem Drum und Dran.

Wenn aber dann die unangenehme Aufgabe ansteht, den Kader endgültig festzuzurren und noch einige Spieler auf den letzten Drücker zu streichen, gibt man sich angemessen sachlich.

Am Montagmorgen hat Joachim Löw jene vier Spieler zu sich bestellt, die leider nicht mitfahren dürfen nach Russland. Bernd Leno, Jonathan Tah, Leroy Sané und Nils Petersen hat es erwischt.

Das war bei den Feldspielern nicht unbedingt zu erwarten, nachdem sich in den letzten Tagen im Trainingslager der Mannschaft einige Dinge aber klarer herauskristallisiert hatten, überraschte Löw insbesondere mit der Nichtnominierung von Sané, der in der Premier League eine starke Saison gespielt hatte.

Manuel Neuer ist offenbar gesund und fit genug, um beim Endturnier nicht nur als Nummer eins im Tor zu stehen, sondern die Mannschaft auch als Kapitän anzuführen.

Löw steckte in den letzten Tagen - und womöglich sogar Wochen - in einer für ihn ungewohnten Situation: Er selbst konnte die Entscheidung nicht treffen, musste sich voll und ganz darauf verlassen, was Neuer ihm beschied.

Nun geht Deutschland also mit der bestmöglichen Besetzung im Tor in das Turnier. Für Marc-Andre ter Stegen bleibt nun nur die Rolle des Reservisten, Trapp dürfte als dritter Torhüter ohnehin nur für das Backup vom Backup wichtig werden.

Allerdings: Neuer hat in seinem Klub null Saisoneinsätze gesammelt im laufenden Kalenderjahr, Trapp ebenfalls nur fünf. Es gab schon Endturniere, da gingen die deutschen Keeper mit deutlich mehr Spielpraxis an den Start.

Löw hat vielleicht auch deshalb Leno zu Hause gelassen, weil der und Ter Stegen nicht unbedingt beste Freunde sind.

Eingespielte Defensivreihe

In der Abwehr hat sich Löw dafür entschieden, einen sechsten Innenverteidiger zu streichen. Dass es am Ende Tah trifft, war ein mehr oder weniger offenes Geheimnis. Nach längerer Verletzungspause konnte der Leverkusener den Rückstand auf die Arrivierten nicht mehr aufholen.

Deutschland hat mit Mats Hummels und Jerome Boateng eines der besten Innenverteidigerpärchen der Welt in der Stammelf, dahinter mit Antonio Rüdiger, Matthias Ginter und Niklas Süle genug hochwertige Alternativen. Auf den Aussenbahnen sieht es da schon nicht mehr ganz so rosig aus.

Joshua Kimmich ist als rechter Verteidiger gesetzt, einen gleichwertigen Backup-Spieler für den Bayern gibt es in Löws Kader aber nicht. Ginter könnte wie auch Sebastian Rudy im Notfall rechts spielen, mit sehr viel Fantasie wäre auch Rüdiger diese Rolle noch zuzutrauen.

Kimmich sollte also tunlichst gesund bleiben, wenn die Mannschaft nicht in grössere Schwierigkeiten geraten soll. Auf der linken Seite ist Jonas Hector gesetzt und hat mit Marvin Plattenhardt einen soliden Ersatzspieler im Rücken.

Hector ist ein linker Aussenverteidiger von internationalem Format, fällt aber im Vergleich zu Kimmich, Hummels und Boateng in seiner Abwehrreihe doch etwas ab.

Immerhin ist die Viererkette ein eingespieltes Team mit den drei Bayern und dem einen Kölner, das ja schon vor zwei Jahren bei der EM in Frankreich in der Konstellation zusammen verteidigt hatte.

Genügend Klasse im Mittelfeld

Im Mittelfeld hat Löw die Qual der Wahl und für alle Spielsituationen und Gegner die entsprechenden Spezialisten dabei.

Mit den Haudegen Toni Kroos und Sami Khedira sowie dem überragenden Umschalt- und Ballbesitzspieler Ilkay Gündogan ist die Mannschaft im defensiven Zentrum hervorragend aufgestellt und hat mit Sebastian Rudy sogar noch einen vierten zentralen Spieler, der problemlos auf hohem Niveau mithalten kann.

Neben Gündogan stehen in Leon Goretzka, Julian Draxler und Julian Brandt noch drei überragende Umschaltspieler zur Verfügung, die von Strafraum zu Strafraum oder über den Flügel den Unterschied machen können.

Auf die totale Geschwindigkeit, die Sané hätte einbringen können, verzichtet Löw freiwillig. Sané war Rookie des Jahres in England und ist ein Liebling der deutschen Fans - in der Nationalmannschaft und auch im Test gegen Österreich zuletzt zeigte Sané aber immer wieder jene Dinge, die Löw nicht sehen will: Wenig zielgerichtete Dribblings, vertändelte Kontersituationen und eine unglückliche Entscheidungsfindung.

Thomas Müller, Mesut Özil und Marco Reus sind gesetzt und über jeden Zweifel erhaben. Gerade Reus könnte zu einem Spieler werden, der den Unterschied macht. Reus hat zwei grosse Turniere zuletzt verpasst, bei der EM vor sechs Jahren war er lediglich Ergänzungsspieler.

Das Mittelfeld bleibt Deutschlands Prunkstück, jede Position ist doppelt oder sogar dreifach besetzt mit teilweise Weltklassespielern und solchen, denen in Russland der Durchbruch zuzutrauen ist.

Dünn besetzter Angriff

Im Angriff hat sich Löw nun doch für die "konservative" Variante mit Mario Gomez als zweitem Stürmer hinter Timo Werner entschieden. Werner dürfte gesetzt sein und bringt neben seiner Geschwindigkeit auch ein überragendes Umschalt- und Pressingverhalten mit.

Gomez ist die Lösung für jene Spiele, in denen Deutschland klar dominieren und im gegnerischen Strafraum Präsenz zeigen muss. Das ist nachvollziehbar, zumal Kontrahent Petersen die Erfahrung auf diesem Niveau fehlt.

Andererseits hat Deutschland nun keinen echten mitspielenden Neuner mehr, der sich auch mal ins Mittelfeld fallen lässt und aktiv am Spiel teilnimmt. Im Angriff ist die Mannschaft stark - im Vergleich zu anderen Nationen wie Spanien, Argentinien oder Frankreich aber auch ein bisschen dünn aufgestellt.

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