- Unser Autor ist für die WM nach Katar gereist.
- Im sechsten Teil seines WM-Tagebuchs berichtet er über das Spiel Spanien gegen Japan und einen zwischenzeitlich ahnungslosen Luis Enrique.
Wenn ich gefragt werde "Wo warst du, als Deutschland bei der WM 2022 ausgeschieden ist?", dann kann ich sagen: Dort, wo es am spannendsten, am prickelndsten war: beim Spiel Spanien gegen Japan. Hatte ich wohl die richtige Nase für die Sensation. Denn dass das deutsche Team gegen Costa Rica gewinnen würde, war letztlich keine, das 4:2 ein normales Ergebnis – exakt wie 2006 zur Eröffnung der WM in München.
Interessant: Die sich zuspitzende Lage hat einer gar nicht mitbekommen. Und zwar der, für den es fatale Folgen hätte haben können: Spaniens Trainer Luis Enrique. Für ein paar Minuten – zwischen Costa Ricas 2:1-Führung und dem prompten deutschen Ausgleich – fiel España auf Platz drei der virtuellen Tabelle zurück, die auf den Videowänden eingeblendet wurde.
Auch knapp eine Stunde nach Schlusspfiff hatte Enrique das immer noch nicht wahrgenommen: "Ich bin immer voll auf meine Mannschaft und unser Spiel fokussiert. Wenn ich erfahren hätte, dass wir draussen sind, hätte ich einen Herzinfarkt bekommen."
Japanische Spieler und Fans als Heldentypen
Was für ein Treffen zweier Fussballkulturen! Hier die Spanier, die sich phasenweise bei 85 Prozent Ballbesitz befanden und 1.000 Pässe spielten. Die frühe Führung machte sie zu selbstsicher. Dort Japan, bereit, alles zu geben, die Lage nicht hoffnungslos erscheinen zu lassen.
Es ist gut für Japan, dass dieses Land für alles seine Fantasien entwickeln kann; man braucht da nur auf die Ränge zu blicken und auf die Fans, die sich kleiden wie Figuren aus einem Manga-Comic. Heldentypen – wie nun ihre Spieler, die nach Deutschland auch Spanien bezwangen, zwei Weltmeister. Und auch ihr Trainer darf ein wenig verehrt werden.
Hajime Moriasu hat einiges durchgemacht und ertragen in dieser Vorrunde: Applaus für den Deutschland-Sieg, Schmähungen nach der 0:1-Panne gegen Costa Rica. Als er am Freitagmorgen Ortszeit in Doha zur Pressekonferenz erschien, brandete Beifall der (japanischen) Journalisten auf. Ungewöhnlich.
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Mancher Trainer hätte den Moment des Triumphes zur Abrechnung genutzt. Nicht aber dieser feine Herr. Er verneigte sich, bevor er Platz nahm, in seinen Statements sprach er nur über die Spieler, nicht über sich. Als er das Podium verliess, verbeugte er sich erneut – und am Ausgang des Medienzeltes noch einmal. Ein Diener, kein Herrscher.
Taktik von der japanischen Frauen-Nationalmannschaft abgeschaut
Was er zu erzählen hatte: Dass er die Taktik gemeinsam mit den Spielern entwickelt habe – ein Bruch mit dem Hierarchiedenken in seiner Gesellschaft. Und sehr sympathisch: Ja, erzählte er auf Anfrage, "wir haben uns an der japanischen Frauen-Nationalmannschaft orientiert". Deren Spielstil führte sie 2011 zum WM-Titel in Deutschland.
Japan war aber übrigens auch ganz nahe daran, dass sich alles doch noch zum bitteren Drama wendet. Hätte Spanien den Ausgleich erzielt, wären die Blue Samurai von Platz eins auf drei gestürzt. Früher hatte Japans Fussball die Neigung, tränenreich zu scheitern. Diesmal nicht. Eine solche Todesgruppe überstanden zu haben, ist schon eine Stufe von Happy End – egal, was noch kommt.
Beim Verlassen des Stadions war eine Gruppe junger Männer zu sehen, die dann auch ganz unjapanisch feierte. Nichts mit vornehmer Zurückhaltung. Sie hüpften und sangen "Olé, olé, olé, olé". Eine Nacht für die Fussballgeschichte.
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