Berichte über tausende Todesopfer auf Grossbaustellen in Saudi-Arabien sorgten zuletzt für Schlagzeilen, die Menschenrechtssituation in dem Land hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Trotzdem wird die Fifa die WM 2034 ziemlich sicher nach Saudi-Arabien vergeben. Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International ordnet die Lage ein und hat eine klare Forderung.
Es sind Zahlen, die erschrecken. Die britische Zeitung "Daily Mail" berichtete kürzlich, dass in den vergangenen Jahren 21.000 Menschen, vor allem Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Nepal, Bangladesch und Indien, auf Baustellen in Saudi-Arabien gestorben sein sollen.
Die Arbeiten an mehreren gigantischen Bauprojekten, die derzeit im Rahmen des im April 2016 von Prinz
Nachdem die WM in Katar 2022 wegen der Todesfälle auf den Baustellen in den Spielorten international stark in der Kritik gestanden hatte, scheinen die Bauarbeiten in Saudi-Arabien schon tausende Todesopfer gefordert zu haben, bevor die WM überhaupt offiziell an das Land vergeben worden ist.
Amnesty International hat ausbeuterische Zustände dokumentiert
"Arbeitsmigrantinnen und -migranten arbeiten in Saudi-Arabien unter einem der restriktivsten Kafala-Systeme in der Region. Es handelt sich dabei um ein Vormundschaftssystem, die Aufenthaltsgenehmigungen der Arbeitsmigrantinnen und -migranten sind direkt an die Arbeitgeber gebunden. Deshalb sind sie diesen völlig ausgeliefert, was Ausbeutung Tür und Tor öffnet", erklärt Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland, im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Es gibt lange Arbeitszeiten ohne Pausen, keine freien Tage und Lohndiebstahl. Die Unterkünfte sind oft unglaublich schlecht, ohne hygienische Standards. Wir haben ausbeuterische Arbeitsverhältnisse ausreichend dokumentiert, bis hin zur Zwangsarbeit. Die Arbeiterinnen und Arbeiter dürfen sich nicht in Gewerkschaften organisieren. Sie haben kein Streikrecht und sind wirklich jeglichem Missbrauch nahezu schutzlos ausgeliefert", erklärt Müller-Fahlbusch weiter.
Vor allem der Fussball dient dem Sportswashing
In 2019 und 2021 brachte Saudi-Arabien Reformen auf den Weg, die die Zustände auf den Baustellen verbessern sollten. Geändert hat sich aber nichts. Und das ist ein Spiegelbild der Gesamtsituation in dem zwischen Persischen Golf und Roten Meer gelegenen Land.
Unter Prinz bin Salman hat sich das streng religiöse Land in den letzten Jahren scheinbar ein Stück weit geöffnet. Frauen dürfen nun Auto fahren, internationale Pop-Stars geben Konzerte, sportliche Grossevents werden ausgerichtet. In der saudischen Fussball-Liga spielen Superstars wie Cristiano Ronaldo. Wobei vor allem der Fussball dem Sportswashing dient, um von den eigentlichen Zuständen im Land abzulenken.
"Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist dramatisch, gerade mit Blick auf die politischen Verhaftungen und die Hinrichtungen. In den ersten neun Monaten in diesem Jahr wurden rund 200 Menschen hingerichtet, das ist der Höchststand seit über 30 Jahren. Es gibt in ganz Saudi-Arabien keine Menschenrechtsaktivistinnen oder -aktivisten, die auf freiem Fuss sind. Sie sind entweder in Haft, in Hausarrest oder im Exil. Mohammed bin Salman versucht, ein Narrativ von Modernisierung in die Welt zu senden. Damit ist er international sehr erfolgreich. Aber seit seinem Amtsantritt hat sich die Menschenrechtslage dramatisch verschlechtert", sagt Müller-Fahlbusch.
Salma al-Schihab: 27 Jahre Haft für Tweets zu Frauenrechten
Ein Beispiel ist der Fall von Salma al-Schihab. Die Doktorandin und zweifache Mutter wurde 2023 vom saudischen Sonderstrafgericht zu 27 Jahren Haft und anschliessenden 27 Jahren Reiseverbot verurteilt, nur weil sie auf X Beiträge geteilt hatte, die sich für Frauenrechte aussprachen.
Für internationales Aufsehen sorgte auch die Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul, in die Prinz bin Salman direkt verstrickt gewesen sein soll.
Die Fifa verschliesst die Augen vor der Menschenrechtssituation
Der Fussball-Weltverband Fifa scheint sich aber weder an der Menschenrechtskrise, noch an den Zuständen auf den Baustellen in Saudi-Arabien zu stören und wird am 11. Dezember die WM 2034 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an Saudi-Arabien vergeben. Gianni Infantino pflegt gute Kontakte zu Prinz bin Salman, auf seinem privaten Instagram-Account verkündete der mächtige Fifa-Präsident bereits im Oktober 2023 Saudi-Arabien als fixen Ausrichter der WM - obwohl der Weltverband sich eigentlich klar zum Schutz von Menschenrechten verpflichtet hat.
"Wir als Amnesty International sind sehr vorsichtig und versuchen nicht vorschnell Schlüsse zu ziehen. Aber im Fall von Saudi-Arabien ist es eine ganz klare Erkenntnis, dass die Fifa ihre eigenen Richtlinien für Menschenrechte verletzt. Es ist eine Farce, dass Saudi-Arabien im Rahmen der Bewerbung für die Austragung der WM 2034 eine Menschenrechtsstrategie vorgelegt hat, die so viele Leerstellen hat und keine konkreten Strategien oder Garantien zur Verbesserung der Menschenrechtslage beinhaltet", sagt Müller-Fahlbusch.
"Die Fifa weiss das. Sie weiss, worauf sie sich da einlässt. Menschenrechtsorganisationen wie unter anderem Amnesty International haben im Sommer einen eigenen Schattenbericht zur Menschenrechtslage in Saudi-Arabien vorgelegt. Die Fifa kann also nicht behaupten, sie hätte von alldem nichts gewusst", erklärt die Nahost-Expertin weiter.
Saudi-Arabien will die WM nutzen, um sich als fortschrittliches Land zu präsentieren
Die WM 2034 will Saudi-Arabien nutzen, um sich der Welt als hochmodernes, offenes Land zu präsentieren. Internationale Investoren, Touristinnen und Touristen sollen angelockt werden, Saudi-Arabien will sich unabhängiger vom Ölgeschäft machen. Geht es nach Amnesty International, dürfen die Fifa und die nationalen Fussballverbände sich aber nicht zu Erfüllungsgehilfen des Imageprogrammes des Landes machen.
"Wir fordern, die WM zum jetzigen Zeitpunkt nicht nach Saudi-Arabien zu vergeben. Wir haben uns öffentlich an die Fifa gewandt und gesagt, dass die Bewerbung in dem jetzigen Zustand nicht zur Abstimmung gestellt werden darf. Die Lücken in der Menschenrechtsstrategie sind so gravierend, das wäre fahrlässig und nicht zumutbar. Sollte die Bewerbung zur Abstimmung gestellt werden, fordern wir den DFB und alle anderen Fussballverbände auf, dagegen zu stimmen. Solange es keine Garantien für Verbesserungen der Menschenrechtskrise gibt, darf diese WM nicht in Saudi-Arabien stattfinden", stellt Katja Müller-Fahlbusch klar.
Über die Gesprächspartnerin
- Katja Müller-Fahlbusch ist Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland.
Verwendete Quellen
- Telefonisches Interview mit Katja Müller-Fahlbusch
- dailymail.co.uk: "Thousands of labourers are dying every year" amid the construction of Saudi Arabia's futuristic The Line "Megacity" and horrific working conditions, with "21,000 dead since 2016"
- amnesty.de: Saudi-Arabien: Frauenrechtlerin freilassen!
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.