Bundestrainer Helmut Schön unterhält sich in Malente mit Franz Beckenbauer
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Der "Sauhaufen" pokert um die WM-Prämie
Nach den Plätzen zwei (1966 in England) und drei (1970 in Mexiko) ist der Auftrag für Bundestrainer Helmut Schön (r.) zur Heim-WM 1974 klar: Der Europameister muss auch Weltmeister werden. Schön aber hat es mit der ersten Generation von Fussball-Millionären zu tun. Sie laufen auch unter Marketing-Aspekten auf. Ihr Streit mit den DFB-Funktionären entzündet sich an der angebotenen Prämie für den WM-Titel. Schön ist enttäuscht, nennt sein Aufgebot "Sauhaufen" und will zehn Tage vor dem ersten deutschen Spiel aus dem WM-Quartier abreisen, ehe Mannschaft und DFB sich doch noch einigen.
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Ein WM-Quartier wie ein Gefängnis
In der Sportschule Malente kommt schon wegen der freudlosen Rahmenbedingungen keine positive Stimmung unter den Spielern auf. Von Unterbringungs-Komfort und digitaler Abwechslung anno 2024 sind die Spieler 1974 weit entfernt. Sie nächtigen in kleinen Betten, die in engen Doppelzimmern stehen, und werden zum Schutz vor befürchteten Terror-Angriffen gut abgeschirmt und bewacht. Nationalspieler aus Teams wie der DDR und den Niederlanden hingegen mischen sich ganz offen unter das Volk.
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Kaum Kontakt zu den Fans
Das bleibt auch nach dem Umzug von Malente nach Kamen, in die Sportschule Kaiserau, so. Wo 50 Jahre später EM-Teilnehmer Albanien bis zu seinem Aus in der Gruppenphase untergebracht ist, sorgen die Fans für Aufläufe. Das Interesse an den deutschen Nationalspielern ist schon 1974 riesig, an sie heranzukommen aber noch schwerer als 2024.
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Glück hat dieser junge und offenbar offiziell eingeteilte Autogrammjäger, der die Gunst der Stunde nutzt und nach Deutschlands Zwischenrundensieg über Schweden Kapitän Franz Beckenbauers Unterschrift abstaubt. Von sogenannten Flitzern fehlt 1974 jede Spur. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass 1974 acht von neun WM-Stadien keine reinen Fussballarenen sind und über eine Laufbahn verfügen, die Aktive und Zuschauer voneinander trennt.
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Familien-Besuch
Die Trennung der Spieler von ihren Familien hebt der Bundestrainer ab und an auf. Glück hat, wer zu den nächsten Angehörigen gehört. Inga Höttges und die gemeinsamen Söhne Rene und Andree dürfen Verteidiger Horst-Dieter Höttges, der 1974 seine dritte und letzte WM bestreitet, besuchen. Für die praktisch kasernierten Spieler ist es eine willkommene Abwechslung, aber nicht zu vergleichen mit 2024, der Heim-EM und den Bildern herzlicher Umarmungen nach deutschen Spielen vor laufenden Kameras. Das Thema Fest-Bankett, zu dem wir noch kommen werden, beweist, was der DFB seit 1974 gelernt hat.
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Mühsamer Start
Nichts aber geht über Erfolg auf dem Platz, um ein Heimturnier zu einer gelungenen und fröhlichen Veranstaltung zu machen. Den stellt die deutsche Mannschaft schon im ersten Spiel gegen Aussenseiter Chile her, aber nur auf dem Papier. Der durch Paul Breitners (r.) Tor errungene 1:0-Erfolg in Berlin begeistert niemanden.
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Pfiffe gegen den Kaiser
Auch im zweiten Gruppenspiel gegen den noch schwächer einzuschätzenden WM-Neuling Australien erwischt die deutsche Mannschaft die erhoffte Wolke, auf der sie durch das Turnier schweben könnte, nicht. Der Schulterschluss mit dem Publikum bleibt aus, und es kommt noch schlimmer. Kapitän Beckenbauer wird in Hamburg, wo er 1983 seine Karriere beenden wird, gnadenlos ausgepfiffen. Wutentbrannt spuckt der Münchner in Richtung Publikum aus. Von WM-Euphorie keine Spur.
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Ausflug ins erste deutsche Legoland
Zwei Tage vor dem dritten Gruppenspiel, dem brisanten deutsch-deutschen Vergleich mit der Auswahl der DDR, darf sich die Mannschaft samt Stab aus Betreuern und Funktionären bei einem Ausflug ins 1973 eröffnete Legoland im Ostseebad Sierksdorf entspannen. Breitner (l.) und sein Münchner Teamkollege Sepp Maier sorgen mit ihrer Pferde-Einlage für einen Lacher.
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Günter Netzer ist nicht fit
Der körperlich angeschlagene Günter Netzer (l.), 1972 noch einer der führenden Köpfe in der genialen Europameister-Mannschaft, hat seinen Stammplatz an Wolfgang Overath (r.) verloren, ersetzt den Kölner aber nach 70 Minuten im Spiel gegen die DDR.
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Günter Netzers einziger WM-Einsatz
Für Netzer, der seit Sommer 1973 für Real Madrid spielt, sind es die einzigen 20 WM-Minuten seiner ansonsten grossen Karriere. Er steht seit sieben Minuten auf dem Platz, als das entscheidende 1:0 für die DDR fällt.
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Günter Netzer wird zu spät fit
Netzer ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht fit für die WM – als er es endlich wird, hat die Mannschaft sich gefunden und eingespielt. In jedem Fall ist sie durch den Ausfall eines ihrer besten Spieler während der Gruppenphase geschwächt.
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Die Blamage gegen die DDR
Die legendäre Niederlage gegen die DDR in Hamburg bedeutet auf dem Weg zum WM-Titel 1974 für die Mannschaft des Gastgebers Tief- und Wendepunkt zugleich.
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Sport und Politik vermischen sich
Und für die sorgsam ausgewählten Schlachtenbummler - wie sie damals noch heissen - aus der DDR bedeutet dieses 1:0 über den Klassenfeind weit mehr als nur den Sieg in einem Fussballspiel. Politisch betrachtet symbolisiert das überraschende Resultat aus Sicht der DDR-Führung die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus.
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Franz Beckenbauer übernimmt das Kommando
Sportlich betrachtet muss im Lager des Europameisters etwas passieren. Kapitän Beckenbauer (r.) initiiert noch in der Nacht in Malente eine von reichlich Alkoholgenuss begleitete Aussprache der Mannschaft, aus der anschliessend sein Bayern-Kollege Uli Hoeness (l.) fliegt. Beckenbauer stellt in Absprache mit Bundestrainer Schön die Start-Elf für den Auftakt zur sogenannten zweiten Finalrunde auf.
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Das Rahmenprogramm anno 1974
In die startet die DFB-Elf mit Pauken und Trompeten, die im Jahr 1974 noch ausreichen, um das weder durch Smartphones noch TikTok-Videos abgelenkte Publikum zu unterhalten.
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Die Wende zum Guten
Es bekommt im Rheinstadion endlich eine Elf mit der nötigen kämpferischen Einstellung zu sehen, die darüber gegen die gefährlichen Jugoslawen auch zu ihrem Spiel findet. Der eingewechselte Hoeness (r.) setzt den Frust über seine plötzliche Reservistenrolle um und bedient seinen Bayern-Kollegen Gerd Müller vor dessen Tor zum 2:0-Endstand.
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Krimi gegen Schweden
Vier Tage später ergiesst sich Regen über Düsseldorf, doch die deutsche Mannschaft besteht trotz Halbzeit-Rückstands den Härtetest gegen die starken Schweden. Hoeness hat sich in die Start-Elf zurückgespielt und sichert mit seinem Elfmeter zum 4:2-Endstand den deutschen Erfolg im bis dahin aufregendsten Turnierspiel. In den zwei Spielen in Düsseldorf ist der Funke endlich auf die Zuschauer übergesprungen.
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Fans ohne Trikot
Die müssen sich im damaligen Rheinstadion wegen nicht durchgehender Überdachung mit Schirmen vor dem Regen. Ein Bild, dass es so 50 Jahre später auch nicht mehr zu sehen gibt. Zu beachten ist zudem, dass die Kleiderordnung im Stadion noch nicht vom Fan-Utensil Nationaltrikot bestimmt ist. Die Vermarktung steckt diesbezüglich 1974 noch in den Kinderschuhen, der Begriff Merchandising ist noch keiner.
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Hinter der Kamera
Genauso wenig wie der Video Assistant Referee, der zig Kamera-Perspektiven zur Verfügung gestellt bekommt, um mögliche Fehlentscheidungen zu verhindern. Kameras sind anno 1974 noch deutlich sichtbar, stehen auf heute nicht mehr vorhandenen Laufbahnen, bedient von Menschen – die unter Umständen nass werden.
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Der Spassvogel im Team
Da hilft nur noch eine Brille mit Scheibenwischern. Die präsentiert aus Jux Torwart Maier, in seiner Karriere ähnlich oft als "Spassvogel" aufgetreten wie Jahrzehnte danach Thomas Müller, Ur-Bayer wie Maier.
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Uli Hoeness' vergessener Fehlschuss
Aber auch ohne Brille behält Maier einen Tag später im abschliessenden Zwischenrundenspiel gegen Polen im Regen von Frankfurt den Überblick. Die Partie hat den Wert eines Halbfinals, in dem Hoeness - anders als gegen Schweden - per Elfmeter scheitert. Die "Wasserschlacht", die unter irregulären Bedingungen durchgezogen wird, gewinnt Deutschland trotzdem - wegen eines überragend haltenden Maier und dem dritten Turniertor von Müller. Berühmter wird zwei Jahre später Hoeness' verschossener Ball im Elfmeterschiessen des EM-Endspiels gegen die Tschechoslowakei.
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Fiebriger Uli Hoeness sorgt für frühen Schreck
Aber Hoeness gefährdet den deutschen Erfolg auch im WM-Endspiel gegen die spielerisch ebenso wie die Polen herausragenden Niederländer. Zunächst verschweigt Hoeness Bundestrainer Schön, in der Nacht vor dem Finale unter Schweissausbrüchen und Schüttelfrost gelitten und bei 39 Grad Celsius Fieber kaum geschlafen zu haben. Und kaum läuft die Partie, grätscht Hoeness Oranje-Star Johan Cruyff im Strafraum um. Es gibt Elfmeter für die Niederlande. Sie führen nach einer Spielminute mit 1:0.
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Der "Jet von Frankfurt" fliegt in München
Doch auch die deutsche Mannschaft bekommt beim Stand von 0:1 einen Elfmeter, den die Niederländer bis heute als krasse Fehlentscheidung betrachten. Bernd Hölzenbein (Nummer 17), wegen seines ausgeprägten Flug-Vermögens auch der "Jet von Frankfurt" genannt, fliegt über Wim Jansens ausgestrecktes Bein.
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Versöhnung mit dem Publikum
Die Nerven behält Paul Breitner, der nach dem Abpfiff und dem 2:1-Sieg Blumen ins Publikum wirft, das zu Beginn des Turniers ihn und seine Kollegen noch mit Pfiffen bedacht hat. Breitner hat somit drei entscheidende Tore auf dem Weg zum Titel erzielt: zum Sieg im ersten Spiel, als Einleitung des Sieges im ersten Spiel nach der Blamage gegen die DDR und zum Ausgleich im Endspiel.
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Das skandalöse Fest-Bankett
Die Freude der beiden Endspiel-Torschützen Breitner (M.) und Müller (r.) über den WM-Triumph weicht während des Fest-Banketts in München schnell dem Ärger über das Verhalten des DFB. Der verwehrt den Spielerfrauen den Zutritt zur Feier. Breitner und Müller erklären ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Den revidiert anschliessend nur Breitner. Müller, der Bundestrainer Schön jedoch schon zwei Tage vor dem Finale von seinem Entschluss unterrichtet hat, läuft nach 68 Toren in 62 Länderspielen nie mehr für Deutschland auf.
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Einen Sonder-Käfer als Belohnung
Breitners und Müllers Bayern-Kollege Hoeness (l.) bleibt Nationalspieler, ist aber besonders anlässlich des Bankett-Eklats besonders verärgert: Seine Ehefrau Susi (M.) wird von DFB-Delegationsleiter Hans Deckert mit den Worten: "Hier herrscht Zucht und Ordnung" des Saales im Münchner Hilton verwiesen und kehrt tränenüberströmt zu ihrem Mann zurück. Der schliesst sich der Gruppe der Weltmeister an, die auf eigene Faust in München weiterfeiern. Der VW Käfer, an dem Hoeness hier zu sehen ist, ist Teil der Titelprämie des DFB für jeden Spieler.
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Auf der Suche nach dem DFB-Bus
Apropos Fahrzeuge: Der deutsche Mannschaftsbus von 1974, ein Mercedes O 302, mit dem auch die restlichen 15 Endrunden-Teilnehmer während des Turniers ausgestattet und unterwegs sind, ist seit den 90er-Jahren verschollen. Im Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart aber steht ein Nachbau und ist dort ein Blickfang.