Annual General Meeting, jährliche Generalversammlung, so heisst das Treffen des International Football Association Board (IFAB), das sich seit 1886 mit internationalen Vorschlägen für Regeländerungen beschäftigt. In diesem Jahr standen vor allem redaktionelle Änderungen, Möglichkeiten gegen Zeitspiel und für ein faireres Verhalten gegenüber Schiedsrichtern sowie verschiedene mögliche neue Testphasen auf der Agenda.
Am 2. März fand die Pressekonferenz im schottischen Loch Lomond bei Glasgow statt, das eine besondere Verbindung zum deutschen, ja, kölschen Fussball hat: Das Traditional "The Bonnie Banks of Loch Lomond" ist hierzulande durch die Cover-Version der Kölner Band "Die Höhner" als Vereinshymne des 1. FC Köln bekannt.
Keine Beta-Phase für Zeitstrafe im Profifussball
Nach dem medialen Hype war es durchaus überraschend, dass die Zeitstrafe nicht einmal als Test eingeführt wurde. Diese soll zunächst im Jugend- und Amateurfussball erprobt werden. "Eine mögliche breitere Anwendung wird erst dann in Betracht gezogen, wenn die Auswirkungen dieser Änderungen überprüft worden sind", heisst es in der Pressemitteilung des IFAB. Mark Bullingham, CEO des englischen Fussballverbandes FA, ergänzte auf der Pressekonferenz, dass zunächst ein Sin-Bin-Protokoll ("sin bin" bedeutet im Deutschen Strafbank) erstellt werden soll, dies aber nicht überstürzt geschehen soll.
Im Vorfeld wurde insbesondere über die Einführung einer Zehn-Minuten-Zeitstrafe diskutiert, obwohl die Zeitstrafe im Jugendfussball nichts Neues ist. Ist die Zeitstrafe ein probates Mittel, um heftiges Bedrängen und Anschreien von Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen zu minimieren? Es ist zumindest eine denkbare Option von vielen.
Die mögliche Einführung einer Zeitstrafe wurde in den Medien überwiegend positiv aufgenommen, es gab aber auch kritische Stimmen, die sich zum Teil gegen den Einsatz einer dritten Karte richteten oder befürchteten, dass die Zeitstrafe aus rein taktischen Gründen missbraucht werden könnte. Teams, so die Befürchtung, könnten einen Spieler absichtlich eine Zeitstrafe kassieren lassen, um ihnen eine zehnminütige Pause zu gönnen und sich so eine Auswechslung zu sparen. Doch nun kommt die Zeitstrafen nicht mal als Test.
Sechs Testphasen laufen
Das Schöne an Testphasen: Man kann die Praxistauglichkeit in einem begrenzten Personenfeld ausprobieren und anpassen. Das gilt auch für viele Regeländerungen, die in den vergangenen Jahren Teil der Laws of the Game geworden sind – oder danach auf Eis gelegt wurde. Die Dauer einer Regel-Testphase dauert in der Regel mindestens zwei Jahre. Es ist sozusagen die Beta-Phase für Fussballregeln. Und im Hinblick auf die viel diskutierte Zeitstrafe scheint es wirklich sehr sinnvoll, die nächsten Schritte durchdacht zu gehen und nicht übereilt zu testen.
Es scheint auch deswegen sinnvoll, mit der Zeitstrafe noch etwas zu warten, denn von den vier bisher laufenden Testphasen wurde diese Saison nur eine abgeschlossen, dafür wurden aber für drei neue grünes Licht gegeben:
- Nur Kapitäne eines Teams dürfen sich in bestimmten Situationen an die Schiedsrichter wenden. Die "bestimmten Situationen" sind nicht näher definiert, aber es betrifft Rudelbildungen um Schiedsrichter*innen herum.
- Es wird auch eine Alternative getestet: Schiedsrichter können Teams auffordern, sich in ihren eigenen Strafraum zurückzuziehen - das nennt man "cooling-off-period", eine Abkühlphase. Nicht zu verwechseln mit den "cooling breaks" bei Spielen an heissen Tagen.
- Die Torleute dürfen künftig acht statt sechs Sekunden den Ball halten. Diese Erhöhung soll das Zeitspiel verhindern. Damit wird die Dauer zwar etwas verlängert, aber künftig auch konsequenter eingehalten - was einer gefühlten Verkürzung des Ballhaltens gleichkommt.
Neben den drei neuen Testphasen sind auch diese drei weiterhin aktiv:
- Die halbautomatische Abseitstechnologie (SAOT), die nicht vollautomatisiert werden kann, da eine passive Abseitsstellung nicht strafbar ist,
- Das "Daylight Offside" von Arsène Wenger, das in Italien auf U-18-Ebene getestet wird.
- Die öffentliche Verkündung von Spielentscheidungen nach VAR-Einsatz durch die Schiedsrichter im Stadion. Das IFAB fügt in seiner Pressemitteilung zur Jahreshauptversammlung hinzu, dass "die teilnehmenden Wettbewerbe die Genehmigung des IFAB benötigen und sich verpflichten müssen, die FIFA-Richtlinien für Schiedsrichter und Technologie einzuhalten".
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Die neuen Regeländerungen
Es wird zur Option, aber nicht zur Pflicht: Ähnlich wie beim Einsatz der VAR oder der zusätzlichen Auswechslung in der Nachspielzeit wird es ab der kommenden Saison jedem Wettbewerb freistehen, zusätzliche, permanente Auswechslungen bei Verdacht auf Gehirnerschütterung per Wettbewerbsreglement zuzulassen. Die FIFA und die vier britischen Verbände im Ifab nehmen das Risiko sehr ernst, planen zusätzlich eine Kampagne und erwägen ein mögliches Kopfballverbot für Kinder unter zwölf Jahren.
Eine echte Regeländerung wird es in diesem Jahr nicht geben, nur Klarstellungen: Ein unabsichtliches (fahrlässiges) Handspiel, das zu einem Strafstoss führt, wird wie jedes andere Foulspiel behandelt - das ist nicht wirklich neu. Die obligatorische Kapitänsbinde wird Teil des Regelwerks und bezüglich der obligatorischen Schienbeinschoner wird klargestellt, dass die Spieler*innen für deren Grösse und Angemessenheit verantwortlich sind.
Ausserdem muss der Ball beim Strafstoss den Elfmeterpunkt lotrecht berühren und das zu frühe Hineinlaufen von Mitspielern wird nur dann geahndet, wenn es sich auf das Spiel auswirkt - also der Torerfolg erst durch das strafbare Verhalten der anderen Spieler ermöglicht oder verhindert wurde.
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Neue Regeln schon bei der EM?
Obwohl die Änderungen erst am 1. Juli 2024 offiziell in Kraft treten, können Wettbewerbe, die vor diesem Datum beginnen, sie bereits anwenden. Das bedeutet, dass es bei der Europameisterschaft der Männer in diesem Sommer den einen oder anderen Test geben könnte. Das entscheidet die UEFA als Veranstalter, aber es ist davon auszugehen, dass es dazu kommen wird. Die Frage ist weniger ob, sondern wie viele. Auch der Einsatz von zusätzlichen permanenten Auswechslungen bei möglichen Gehirnerschütterungen sollte kommen.
Es wäre schön, wenn die Live-Ansage der Entscheidungen nach VAR-Entscheidungen auch im Stadion erfolgen würde und SAOT zur Anwendung käme. Aber bitte keine strengere Anwendung des Handspiels der Torleute. Die Intention ist super, aber bei der Umsetzung habe ich meine Bedenken.
Erinnern Sie sich noch an die EM 2019 und die vielen Diskussionen und Verwarnungen gegen Torhüterinnen? Damals war die Regel ganz neu, dass Torleute nicht mehr auf der Linie stehen müssen, sondern auch einen Fuss vor der Linie haben dürfen. Da dies aber nie konsequent geahndet wurde, gab es grosse Irritationen. Ähnliches würde bei der EM für die Torhüter gelten.
Noch wird die Sechs-Sekunden-Regel sehr grosszügig ausgelegt - Handspiele von zehn bis 15 Sekunden sind keine Seltenheit. Wenn nun konsequent auf die Einhaltung der acht Sekunden geachtet wird, wird es viel Verwunderung geben. Und viele Verwarnungen. Das sollte nicht wiederholt werden.
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