Für die deutschen Handballer endete die Heim-EM mit einem vierten Platz, Bronze und die direkte Olympia-Quali wurden verpasst. Zur Wahrheit gehört auch, dass von neun Spielen vier verloren wurden, darunter die letzten drei. Trotzdem sind die Zukunftsaussichten angesichts eines sehr jungen Kaders gut.
Alfred Gislason konnte wieder lächeln, ein bisschen zumindest, auch wenn der Handball-Bundestrainer mit leeren Händen dastand. Es gab im Spiel um Platz drei gegen Schweden durch das 31:34 keine Medaille und auch keine direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris.
Keinen unmittelbaren Lohn also für die Arbeit der vergangenen Wochen. Es war daher nicht ganz einfach, ein Fazit zu ziehen, das die verschiedenen Facetten des Turniers abdeckt.
Allerdings bekam der Isländer ein Versprechen für die Zukunft mit auf den Weg, denn die deutschen Handballer haben jede Menge Potenzial. Das hat die DHB-Auswahl bei der Heim-EM immer wieder bewiesen. Gleichzeitig aber auch gezeigt, dass zur Weltspitze noch etwas fehlt.
"Ich glaube, dass wir deutlich näher an die Weltspitze herangerückt sind als im vergangenen Jahr. Ich bin sehr optimistisch für meine Mannschaft", zog
"Dieses Turnier hat das Team in Sachen Erfahrung sehr vorangebracht. Ich bin sehr stolz auf meine Jungs", sagte Gislason. Ob der 64-Jährige das, was er aus sportlicher Sicht seit seinem Amtsantritt 2020 gesät hat, auch in Zukunft ernten darf, ist noch offen. Sein Vertrag läuft nach Olympia aus.
Was macht Alfred Gislason?
Er sei in dieser Frage "sehr, sehr locker", betonte Gislason. Und er machte keinen Hehl daraus, dass er auch Lust darauf hat, mit dem Team weiterzuarbeiten: "Wir haben den steinigen Weg gemacht, die Mannschaft umzubauen. Das sieht sehr gut aus mit den Jungs bis jetzt. Wer auch immer sie weiter betreut, der wird, denke ich, sehr viel Spass an dieser Mannschaft haben."
Gespräche über die Zukunft sollen nach der EM geführt werden. Dann geht es auch um die Aufarbeitung des Heim-Turniers, denn am Ende wurde zwar Mindestziel erreicht. Rang vier zeigt aber auch klar auf, dass Schweden, Dänemark und der frisch gebackene Europameister Frankreich noch ein gutes Stück weg sind.
"Die Mannschaften wie Frankreich, Dänemark und Schweden stehen noch vor uns. In der Planung, in der Breite und in der Erfahrung", stellte Gislason klar. "Dass es gegen die nicht einfach werden würde, wussten alle vor diesem Turnier. Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass wir deutlich näher an diese drei Mannschaften herangekommen sind."
Ergebnisse sind nur Durchschnitt
Die Frage ist: Wie kritisch geht man mit den einzelnen Ergebnissen um? Denn die nackten Zahlen sind eigentlich biederer Durchschnitt: Nach neun Spielen stehen vier Siege auf dem Konto, gegen die Schweiz, Nordmazedonien, Island und Ungarn. Es gab aber auch vier Pleiten gegen Frankreich, Kroatien, Dänemark und Schweden. Plus das enttäuschende Remis gegen Österreich.
Allerdings zeigt der zweite Blick auch: Neben der Pleite gegen Kroatien, als Gislason für das Halbfinale viel durchwechselte, gab es die Niederlagen gegen die Top Drei. Verhehlen kann man aber nicht, dass die letzten drei Spiele mit den drei Pleiten am Stück die Euphorie etwas abgewürgt haben.
Hinzu kommt die extra Enttäuschung über das Schweden-Spiel, denn das stand stellvertretend für das DHB-Team bei dieser EM. Viel Kampf, viel Moral, aber eine grauenvolle Chancenverwertung, womit man sich um den Lohn der Arbeit gebracht hat.
Platz vier entspricht der aktuellen Stärke
Ex-Bundestrainer Heiner Brand meint, dass die Platzierung der Stärke der deutschen Mannschaft entspreche. "Es ist keine enttäuschende Leistung", sagte Brand in der ARD. Man könne auf dieser Leistung aufbauen, betonte er. "Wir haben eine junge Mannschaft, mit der gearbeitet werden muss und sukzessive Steigerungen verzeichnet werden müssen. Und dann ist mir für die Zukunft nicht so bange."
Ex-Weltmeister Johannes Bitter ist noch optimistischer: "Gib' uns noch ein, zwei Jahre mit diesem Team. Lass' den Trainer weiterarbeiten, und dann glaube ich, dass wir auch in einem Spiel gegen Schweden mal als Sieger vom Feld gehen können."
Mehr Zeit käme dem Team entgegen: Spielmacher Juri Knorr und Rückraumspieler Julian Köster sind gerade einmal 23 Jahre alt. Kapitän und Anführer Johannes Golla ist 26. Dahinter sorgen die U21-Weltmeister für Spass und Unbekümmertheit. Wie der 21-jährige Renars Uscins, der in der Finalrunde extrem aufdrehte.
Auch Nils Lichtlein (21) hat ein enormes Potenzial, genauso wie der gleichaltrige Torhüter David Späth und der 20 Jahre alte Justus Fischer. Lässt man die Jungs immer mehr von der Leine, können sie dringend benötigte Schritte machen. All das wird begleitet von einer Begeisterung für den Sport: Die Unterstützung – mit ausverkauften Hallen, einer tobenden Lanxess Arena und rund acht Millionen Zuschauern im Schnitt pro Spiel vor dem Fernseher –, kann eine positive Entwicklung fördern.
Es fehlt dem Kader noch an Breite
Klar wurde aber auch: Sportlich fehlt es beim Kader im Vergleich mit den führenden Nationen an qualitativer Breite, dazu an der nötigen Konstanz. Zu sehen an Knorr, der neben dem wieder überragenden Torhüter Andreas Wolff in das Allstar-Team gewählt wurde, aber schwankende Leistungen zeigte.
Laut Knorr fehlt dem deutschen Team "noch ein bisschen Reife und auch ein bisschen Qualität". Er glaubt aber, "dass wir uns wieder ein bisschen Respekt verschaffen konnten in der Handballwelt, dass Deutschland wieder ernst genommen wird", sagte Knorr.
So ist zum Beispiel das deutsche Abwehrspiel herausragend, ebenso wie Einsatz und Moral. Das mangelhafte Aussenspiel, die Wurfeffektivität und das Tempospiel sind wiederum Baustellen, die der Bundestrainer künftig angehen muss.
"Wir haben in dieser Konstellation noch einige Turniere zu spielen. Wir haben junge Leute, die wirklich Bock darauf haben, die jetzt schon begeistern", lobte Golla. "Wir sind im Vergleich zum letzten Jahr einen Schritt weitergekommen. Und wenn wir es schaffen, diesen Weg gemeinsam weiterzugehen, dann ist da sicher viel möglich."
Olympia-Quali ist das Ziel
Das passiere aber nicht von alleine, sagte Golla: "Jeder muss bei sich anfangen, muss die persönlichen Schritte nach vorne machen. Und dann können wir die Teile irgendwann zusammenfügen, hoffentlich eine erfolgreiche Generation für Deutschland werden."
Diese Generation wird vom 14. bis 17. März schon wieder gefordert. Dann sind in der Olympia-Quali Kroatien, Österreich und Algerien die Gegner. Die besten zwei Teams lösen das Paris-Ticket. Klar ist: Mit leeren Händen sollte man dann nicht mehr dastehen.
Verwendete Quellen
- ARD-Übertragung
- Mixed Zone Lanxess Arena
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