Oslo - Nach einer weitgehend schlaflosen Nacht flogen die tief enttäuschten deutschen Handballer ohne das erhoffte WM-Edelmetall in die Heimat. Torwart Andreas Wolff baute vor der Abreise bei einem morgendlichen Training im Kraftraum des Team-Hotels seinen Frust über das dramatische Aus im Viertelfinale gegen Portugal und damit das vorzeitige Ende aller Medaillenträume ab. Zeitgleich versuchte Bundestrainer Alfred Gislason, zur Frühstückszeit dem durchwachsenen WM-Auftritt des mit grossen Erwartungen ins Turnier gestarteten Olympia-Zweiten etwas Positives abzugewinnen.
"Es gibt auch schwere Momente und natürlich tut es weh, wenn man sieht, dass die Spieler leiden mussten. Aber ich habe viel Spass mit der Mannschaft und mich bei ihr bedankt für diesen schweren Monat. Ich finde, dass die Jungs mit den Problemen, die wir hatten, überragend umgegangen und als Mannschaft gewachsen sind", sagte
Um 8.45 Uhr stieg der Isländer in den Bus und fuhr mit einer ersten DHB-Gruppe um Juri Knorr und Renars Uscins zum Flughafen. Kapitän Johannes Golla und Torhüter
Bundestrainer will weitermachen
Trotz des sportlichen Rückschlags bekräftigte Gislason den Willen, seinen Vertrag bis zur Heim-WM 2027 zu erfüllen. "Ja, warum nicht? Ich habe viel Spass mit der Mannschaft. Ich mache diesen Job, weil ich Handball liebe und ich bin stolz, für Deutschland zu arbeiten", sagte der 65-Jährige.
Auch vonseiten des Verbandes gibt es derzeit keine Bestrebungen, die sportliche Führung neu aufzustellen. "Am Ende steht ein Aus im Viertelfinale, über das wir alle natürlich nicht glücklich sind. Aber wir werden das in Ruhe analysieren, um die Entwicklung der Mannschaft weiter voranzutreiben. Alfred wird sich ohne Zeitdruck darüber Gedanken machen", sagte DHB-Sportvorstand Ingo Meckes.
WM ein Rückschritt
Mit seiner Einschätzung, dass "dieses Turnier ein Schritt nach vorn" gewesen sei, stand der Bundestrainer allerdings weitgehend allein da. "Natürlich ist es ein Rückschlag für den deutschen Handball", befand Stefan Kretzschmar, Sportvorstand der Füchse Berlin, im Handball-Talk "Harzblut".
Kritik gab es auch von Johannes Bitter. "Wir brauchen fast in jedem Spiel die ersten 20 Minuten, um überhaupt mal zu lernen und zu verstehen, was der Gegner macht. Da frage ich mich ganz ehrlich: Wo ist die Vorbereitung", monierte der langjährige Nationaltorwart.
Gislason selbst hatte für die Startschwierigkeiten, die sich wie ein roter Faden durch das Turnier zogen, keine plausible Erklärung. "Warum wir jedes Mal so schwer ins Spiel gekommen sind, weiss ich auch nicht", räumte der Bundestrainer ein.
Knorr: Man ist wie in Trance
Wie schon bei der Endrunde vor zwei Jahren, als im Viertelfinale gegen Frankreich Endstation war, reichte es daher nicht für das Halbfinale oder sogar zur ersten WM-Medaille seit dem Gold-Triumph 2007. "Es tut weh, weil es eine riesige Chance war, die wir verpasst haben. Das wird nachwirken", sagte Spielmacher Knorr und räumte ein: "Ich weiss momentan gar nicht, was man von dem Turnier mitnimmt. Man ist ein wenig wie in Trance."
Torwart Wolff, der mit 21 Paraden eine überragende Vorstellung bot, forderte vor dem Abflug in die Heimat eine zeitnahe interne Aufarbeitung des vorzeitigen Scheiterns bei der Endrunde in Dänemark, Kroatien und Norwegen. "Wir müssen einiges aufarbeiten. Ich habe meine Gedanken dazu, warum es nicht gereicht hat. Aber die werde ich öffentlich nicht teilen", sagte der Schlussmann vom deutschen Rekordmeister THW Kiel.
Nach dem Abpfiff des Handball-Dramas in Oslo hatte der 33-Jährige auf dem Parkett seinen Gefühlen freien Lauf gelassen und wie ein Rohrspatz geschimpft. Beim anschliessenden Interview-Marathon in den Arena-Katakomben wollte Wolff seine Teamkollegen dann aber nicht an den Pranger stellen. "Ich bin frustriert und verärgert, aber ich gebe ihnen nicht die Schuld. Es tut weh, so auszuscheiden. Ich werde jetzt aber nicht über mein Team herziehen", sagte der Europameister von 2016.
DHB-Team weit von Olympia-Form entfernt
Das war auch nicht nötig, denn die Probleme im gesamten Turnierverlauf waren offensichtlich. Mit Ausnahme der Klasse-Torhüter Wolff und David Späth erreichte kein anderer Leistungsträger ein konstantes Top-Niveau. Senkrechtstarter Uscins wirkte nach einem überragenden Vorjahr überspielt, Julian Köster fand nach längerer Verletzung nur phasenweise zu seiner Form, Knorr fiel für zwei Spiele erkrankt aus und auch Kapitän Golla war die hohe Belastung anzumerken.
"Der eine oder andere war nach Olympia ungewöhnlich kaputt. Auf gewissen Positionen hat uns die Kraft gefehlt. Es war nicht zu übersehen, dass wir vor allem auf der rechten Seite Probleme hatten, weil Uscins weitgehend allein war", bilanzierte Gislason.
Hinzu kamen einige Ausfälle durch Krankheiten oder Verletzungen. Das konnte in der Summe nicht kompensiert werden. "Wir freuen uns über mehr Breite im Kader, aber die brauchst du auch gegen starke Gegner. Viele sind noch jung und unerfahren. Das ist die Realität", sagte Gislason zum nicht zu übersehenden Leistungsgefälle innerhalb der Mannschaft.
Es fehlt an Alternativen
Kurzfristige Lösungen sind nicht in Sicht. "Wir müssen schauen, was wir die nächsten Monate machen können. Natürlich ist es eine grosse Sorge von mir, wenn auf bestimmten Positionen zwei Spieler angeschlagen sind und dahinter nichts zu sehen ist. Das ist aber keine Sache, die wir schnell lösen können", sagte Gislason.
Knorr wagte dennoch einen optimistischen Ausblick in die nähere Zukunft. "Ich denke, wir haben eine gute Mannschaft, die für die nächsten Jahre gewappnet ist, aber natürlich auch daraus lernen muss", sagte der 24-Jährige und kündigte an: "Wir greifen nächstes Jahr wieder an." © Deutsche Presse-Agentur
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