Angelique Kerber hat mit ihrem sensationellen Gewinn der Australian Open für Furore gesorgt. Doch die Chancen, dass es in Deutschland einen neuen Tennis-Bomm wie vor 30 Jahren mit Steffi Graf und Boris Becker geben wird, stehen eher schlecht.
Selten stand Tennis so im Mittelpunkt. Rund 2,55 Millionen Deutsche sassen Samstagvormittag vor dem Fernseher, als
Zeitungen brachten sie auf die Titelseite, Fernsehsender in die Hauptnachrichten. Auch Kerbers Facebook-Likes schnellten in den vergangenen Wochen von 347.000 auf rund 510.000 in die Höhe.
"Ich hoffe, dass dieser Sieg in Deutschland einen kleinen Boom auslöst. Dass wieder mehr Menschen anfangen, Tennis zu spielen", sagt Final-Kommentator Marco Hagemann gegenüber der "Bild"-Zeitung.
Als
Ex-Profi und Turnierdirektor Michael Stich, der als Wimbledon-Sieger 1991 ebenfalls zum Boom beitrug, sagte einmal: "Einen Tennis-Boom wie damals wird es nie wieder geben. Boris Becker und Steffi Graf haben damals Einzigartiges geschafft." Kerber-Manager Lars-Wilhelm Baumgarten sieht es ähnlich.
Direkt vor den Australian Open sagte er, selbst ein Grand-Slam-Sieg von Kerber würde keinen Boom wie damals auslösen. "Boris Becker hat mit 17 Jahren Wimbledon gewonnen und dann 15 Jahre in der Weltspitze agiert. Er war ein Superstar. Und nur ein Superstar kann einen Boom auslösen."
Mangelnde Fernsehpräsenz
Das Hauptproblem des Tennissports ist die mangelnde Fernsehpräsenz. Die Turniere werden von Nischensendern und vom Pay-TV übertragen. Die Öffentlich Rechtlichen haben sich vom Tennis verabschiedet. Zumindest kurzfristig dürfte das so bleiben.
ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz stellte in der "Bild" klar: "Wir freuen uns für Angelique Kerber und den Tennisbund über den grossen Sieg. Die Vergabe der TV-Rechte für die grossen Turniere und unsere Programmplanung sind jedoch langfristig angelegt. Wenn sich weitere Erfolge auf dem Niveau einstellen, kann es eine Neubewertung unserer Planung geben."
Tennis ist für Fernsehsender eine heikle Angelegenheit. Es gibt keine verlässlichen Übertragungszeiten, und die Dauer eines Spiels ist nicht kalkulierbar.
Es lässt sich nicht exakt vorhersehen, wann ein Spiel im Tagesverlauf beginnt oder ob eine Regenunterbrechung droht.
Baumgarten sagt: "Es wäre gut, an den Formaten zu arbeiten. Würde ein Spiel über 60 Minuten gehen und der Spieler mit den meisten Punkten gewinnen, wäre Tennis ein anderes Spiel. Aber so eine Situation wie im Biathlon, wo die Bedingungen für das Fernsehen komplett geändert wurden, wird es im Tennis nicht geben."
Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, wie schnell ein Tennis-Hype wieder verschwinden kann.
Als Sabine Lisicki 2013 im Finale von Wimbledon stand, ist das öffentliche Interesse ebenfalls gross gewesen. Wenige Wochen später war davon nichts mehr zu spüren. Möglicherweise hing das auch mit der sinkenden Formkurve von Lisicki zusammen. Bleibt zu hoffen, dass Kerber nicht Ähnliches droht.
Kein Top-Niveau in der Breite
Im Gegensatz zu früheren Jahren, als mit Boris Becker, Steffi Graf, Michael Stich und Anke Huber gleich vier Akteure über einen längeren Zeitraum erfolgreich waren, fehlt es derzeit auf Top-Niveau in der Breite.
Speziell bei den Herren: Mit Philipp Kohlschreiber (Weltranglistenplatz 34) und Alexander Zverev (R 85) stehen nur zwei Deutsche in den Top-100.
Die mangelnde Nachwuchsförderung mit wenig Geld und ohne einem zentralen Bundesleistungszentrum, wo sich die deutsche Elite messen könnte, macht jungen Talenten den Aufstieg schwierig.
Bei den Damen stehen immerhin zehn Deutsche in den Top-100. Allerdings haben lediglich die Weltranglistenzweite Kerber, Andrea Petkovic (R 23) und Sabine Lisicki (R 32) bewiesen, über einen längeren Zeitraum ganz oben mitmischen zu können.
Somit dürfte das Tennis-Interesse der nächsten Monate vorwiegend davon abhängen, wie erfolgreich diese drei Damen sein werden. Selbst wenn das Interesse am Tennis nachhaltig steigt: Für das deutsche Publikum gibt es nur wenig Möglichkeiten, die Top-Spieler der Welt live zu erleben.
Die deutsche Turnierlandschaft ist mau. Früher zählten das Berliner Damen-Turnier und das Hamburger Herren-Turnier zu den grössten Tennis-Events hinter den vier Grand-Slam-Turnieren. Vergangenheit!
Heute gibt es für die internationalen Top-Stars kaum noch einen Grund, nach Deutschland zu kommen. Es gibt einfach zu wenig Geld und Weltranglistenpunkte zu verdienen. Die Megastars
Es wäre von Angelique Kerber zu viel verlangt, mit ihren Erfolgen all die strukturellen Probleme vergessen zu machen. Aber sie hat es geschafft, einen Sport vom Rand wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Möglicherweise wird die 28-Jährige sogar irgendwann die Nummer 1 der Welt sein, wenn die sechs Jahre ältere Serena Williams abtritt.
Dann könnte man sich ja noch einmal über einen möglichen Tennis-Boom unterhalten.
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