Den Calcio Storico gibt es bereits seit fast 500 Jahren. Am 24. Juni ist es wieder so weit, dann wird der Piazza Santa Croce in Florenz zur Arena, in der es zur Sache geht. In erster Linie für die Ehre der vier historischen Stadtteile. Klar ist vorher: Es wird blutig bei der wohl brutalsten Sportart der Welt.

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Das Gewusel hört auf, das Spielfeld leert sich. Zurück bleiben die Spieler unmittelbar vor dem grossen Finale beim Calcio Storico. Es ist eine spezielle Ruhe vor dem Sturm, ein Durchatmen, bevor das Chaos ausbricht, bevor der Lärm auf den Tribünen auf dem Piazza Santa Croce in Florenz immer lauter und wilder wird.

Es ist in diesem Moment ein bisschen wie im Auge eines Wirbelsturms. "Und dann machen sie das Schloss zu. Es ist der beste - und der schlimmste Moment", sagte Marco Casamassima in einer ARD-Reportage zum wohl brutalsten Spiel der Welt. Es ist das Zeichen dafür, dass es bei der wohl brutalsten Sportart der Welt gleich ums Überleben gehen wird.

Denn es ist nahezu unmöglich, sich in den folgenden 50 Minuten nicht zu verletzen. Die jeweils 27 Spieler der beiden Finalisten wissen es – und sie wollen es. Denn es gehört zur Tradition dieses Spiels, das seit fast 500 Jahren ausgetragen wird, inzwischen stets am 24. Juni, dem Tag des Schutzheiligen der Stadt, Johannes dem Täufer.

Das erste dokumentierte Spiel fand am 17. Februar 1530 statt. Damals wurde die Republik Florenz von Truppen Karls V., dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, belagert. Die Bürger wollten mit dem Spiel zeigen, dass ihnen die kaiserlichen Truppen jenseits der Stadtmauern egal waren und die monatelange Belagerung nicht die erhoffte Wirkung zeigte.

Es ist (fast) alles erlaubt

"Zu klein für einen Krieg, zu grausam für ein Spiel", soll Heinrich III., König von Frankreich, bei einem Besuch im Sommer 1575 gesagt haben. Dieser Satz passt auch heute noch auf die ungewöhnliche und brutale Mannschaftssportart wie die Faust aufs Auge – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es ist ausdrücklich (fast) alles erlaubt, was den Calcio Storico ("historischer Fussball") zu einer Mischung aus Fussball, Boxen, Rugby und Mixed Martial Arts macht.

"Es ist das schönste Spiel der Welt. Es hat eine grosse Bedeutung, auf sozialer Ebene, weil alle zusammenspielen, ob Ingenieure, ob Strassenreiniger oder Leute, die Probleme mit dem Gesetz hatten. Es ist ein grosser Spiegel unserer Gesellschaft", sagt Präsident Michele Pierguidi. Und Ex-Präsident Luciano Artusi sagt sogar: "Der Fussball wurde hier an den Ufern des Flusses Arno geboren, erst dann ging er nach Grossbritannien rüber. Auch die Briten selbst haben erkannt, dass der Fussball in Florenz geboren wurde." Was zeigt, wie wichtig dieses Spiel für die Stadt und ihre Menschen ist.

Dabei geht es für die teilnehmenden Mannschaften aus den vier historischen Stadtvierteln Santo Spirito (weiss), Santa Croce (blau), Santa Maria Novella (rot) und San Giovanni (grün) vor allem um die Tradition. Die Teilnahme der "Calcianti", wie die Spieler genannt werden, ist Ehrensache, es ist der Kampf für Florenz und das eigene Viertel.

Es gibt die Familie – und den Calcio Storico

"Für mich ist das Spiel Teil meines Lebens, es bedeutet mir alles. Es gibt die Familie – und es gibt den Calcio Storico", betont Marcello Trotta, der 25 Jahre lang mitgespielt hat. Das ganze Jahr über geht es um zwei Wochen im Juni, um die beiden Halbfinals und das grosse Finale am 24. Juni um 18 Uhr, die Rivalität ist allgegenwärtig. In diesem Jahr haben sich wie schon im Vorjahr Blau und Rot für das Finale qualifiziert, die 4.000 Karten für das Spiel waren binnen eines Tages ausverkauft.

Am Samstag wird der mit Metallstangen und Tribünen zu einem Mini-Stadion umfunktionierte Piazza Santa Croce also wieder aus allen Nähten platzen. Der Platz ist dann mit Sand bedeckt, das Spielfeld misst etwa 80 mal 40 Meter. Die beiden Teams ziehen zuvor mit ihren Fans im Rahmen einer Parade quer durch die Stadt zum Platz.

Es ist eine Explosion von Emotionen, Bengalos sind Pflicht. Und auf dem Spielfeld stehen sich die beiden Teams dann mit freiem Oberkörper und in historischen Pluderhosen gegenüber. Doch dann ist Schluss mit lustig.

Erstes Ziel ist es, einen Ball in das Tor des Gegners zu werfen oder zu schiessen. Dafür gibt es einen Punkt, bei einem Fehlwurf hingegen bekommt der Gegner einen halben Punkt. Ergebnisse wie 7,5:2 oder 11:8,5 können daher auch vorkommen. Um sich den Weg zum gegnerischen Tor freizumachen oder das eigene Tor zu verteidigen, sind fast alle Mittel erlaubt, also Schläge mit der blossen Faust in Gesicht, Tritte zum Körper oder Techniken aus dem Ringen. Unterbrochen wird das Spiel nur, wenn Sanitäter auf das Feld müssen. Und das kommt oft vor.

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Es gilt ein Ehrenkodex

Doch der Respekt vor dem Gegner soll trotz der Keilerei im Vordergrund stehen, weshalb immer nur ein Mann gegen einen anderen kämpfen darf. Ausserdem darf man keinen Vorteil daraus ziehen, wenn der Gegner am Boden liegt. Angriffe von hinten sind ebenfalls verpönt, Tritte gegen den Kopf auch.

Ein alter Ehrenkodex, und wer gegen ihn verstösst, kann für Jahre gesperrt werden. Trotzdem gehören die Sanitäter, blutende Gesichter und blaue Augen zum Bild. Denn aus dem Gewusel wird traditionell ein Gemetzel. Und es ist deshalb nahezu unmöglich, sich beim Calcio Storico nicht zu verletzen.

Verwendete Quellen:

  • visitflorence.com: The Calcio Storico Fiorentino in Florence
  • youtube.com: Calcio storico: Die brutale Mischung aus Kampfsport und Rugby | Sportschau
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