Caster Semenya ist mehrfache Olympiasiegerin. Doch durch das aktuelle CAS-Urteil könnte die Zeit ihrer sportlichen Erfolge vorbei sein. Eine Analyse der mit grosser Spannung erwarteten Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshof.
Die ganze Sportwelt hatte dem Urteil im Fall Caster Semenya entgegen gefiebert: Darf eine Frau mit einem stark erhöhten Testosteronwert dazu genötigt werden, Medikamente einzunehmen und das Testosteron zu senken? Oder hat nicht jede Frau das Recht, ohne Einschränkungen zu starten und die ihr von der Natur gegebenen Vorteile zu nutzen?
Auslöser für den Gerichtsstreit ist die südafrikanische Langstreckenläuferin Semenya. Sie wurde 2012 und 2016 Olympiasiegerin über 800 Meter und war vor allem 2016 der Konkurrenz klar überlegen. Aufgrund ihres männlichen Erscheinungsbildes und ihrer tiefen Stimme entstanden allerdings Zweifel an ihrer Weiblichkeit.
Mittlerweile ist bekannt: Semenya ist eine Frau, allerdings eine intersexuelle. Unter diesen Begriff fallen alle Menschen, die eine Abweichung der Geschlechtschromosomen oder genetisch bedingte hormonelle Entwicklungsstörungen haben.
Dank Testosteron: Leistungsvorteil von bis zu 4,5 Prozent
Semenya beispielsweise hat einen sehr hohen Testosteronwert - und dieser kann sportlich im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert sein.
Laut einer vom Leichtathletikverband-Weltverband IAAF in Auftrag gegebenen (allerdings umstrittenen) Studie beträgt der Leistungsvorteil bis zu 4,5 Prozent. Um für einen "fairen Wettbewerb" zu sorgen, wurde Semenya die Medikamenteneinnahme vorgeschrieben. Dagegen hatte sie geklagt.
Der Internationale Sportgerichtshof CAS hat nun allerdings entschieden, dass diese Vorgabe rechtens ist. Was bedeutet das für den Sport?
Zunächst einmal werden Frauen mit einem erhöhten Testosteronwert nun ihrer Stärke beraubt, möglicherweise sogar um ihre Karriere gebracht. Bei Caster Semenya war deutlich festzustellen, wie sehr ihre Leistung unter der Einnahme der Medikamente litt.
Bestes Beispiel: Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2015 war sie noch die langsamste Athletin aller 24 Halbfinalisten. Ein Jahr später, als die Medikamenten-Regelung ausgesetzt war, rannte sie bei den Olympischen Sommerspielen 2016 die Konkurrenz plötzlich in Grund und Boden und war acht Sekunden schneller als im Vorjahr.
Gibt es im Sport überhaupt Chancengleichheit?
Nun mögen Befürworter des Urteils sagen, mit der Regelung sei die Chancengleichheit gewahrt. Doch gibt es im Sport überhaupt Chancengleichheit? Ex-Schwimmstar Michael Phelps hat grosse Hände, 100-Meter-Sprinter Usain Bolt lange Beine, Box-Star Wladimir Klitschko lange Arme.
All das sind körperliche Eigenschaften, die für den jeweiligen Sportler von grossem Vorteil waren. Selbiges ist für Semenya der erhöhte Testosteronwert. Während die genannten drei Herren ihre körperlichen Vorteile allerdings nutzen durften, ist Semenya dies nun untersagt.
Ist das möglicherweise erst der Anfang? Was ist mit Athleten, die einen hohen Wachstumshormon-Level haben oder einen guten Insulinspiegel? Könnten die ebenfalls irgendwann zur Einnahme bestimmter Medikamente genötigt werden?
Caster Semanya ist nicht die einzige betroffene Sportlerin
Überhaupt dürfte es vielen gesunden Sportlerinnen übel aufstossen, sich nun einer Hormonbehandlung unterziehen zu müssen. Immerhin kann eine Karriere im Leistungssport zehn oder 15 Jahre dauern. Die Langzeitfolgen einer solchen Hormonbehandlung sind bislang nicht bekannt.
Laut dem US-Menschenrechtsrat müsse es verhindert werden, dass weibliche Athletinnen "unnötige, demütigende und schädliche medizinische Abläufe" über sich ergehen lassen müssen. Der Gerichtshof sah das anders.
Semenya ist längst nicht die einzige Betroffene. Die burundische Leichtathletin Francine Niyonsaba, die bei Olympia 2016 auf dem zweiten Platz hinter Semenya landete, fällt laut eigener Aussage ebenfalls unter die Testosteron-Regel.
Das bedeutet: Auch sie ist zur Medikamenteneinnahme gezwungen. Auch bei ihr ist dann eine geringere Leistungsfähigkeit zu erwarten.
Südafrika: Ein Land mit vielen Intersexuellen
Überhaupt könnten die Kräfteverhältnisse in der Leichtathletik ganz neu gemischt werden. Laut einem Zeitungsbericht der Welt weist Südafrika eine ungewöhnlich hohe Zahl an intersexuellen Geburten auf. Möglicherweise fallen solche Nationen im internationalen Vergleich nun plötzlich ab, wenn deren Athletinnen ihren Testosterongehalt senken müssen.
Andererseits hat das Urteil auch positive Aspekte. Dadurch wurde verhindert, dass in bestimmten Sportdisziplinen nur noch Frauen mit erhöhtem Testosterongehalt eine Chance haben. Wer weiss, wozu das sonst geführt hätte?
Jetzt, wo der Leistungsvorteil von Testosteron bekannt ist, wären manche Nationen möglicherweise dazu übergegangen, bereits im jungen Alter nach Mädchen mit viel Testosteron zu suchen und nur noch diese zu fördern.
Solch ein Szenario wurde nun verhindert - allerdings auf Kosten von Semenya und anderen Athletinnen.
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