Ein lebensgefährliches Gas einatmen, um leistungsfähiger zu sein? Nach einer Veröffentlichung des US-Magazins "Escape Collective" wird über die Kohlenmonoxid-Inhalation diskutiert, die zur Leistungssteigerung im Ausdauersport zum Einsatz kommen könnte. Dabei wird die Produktion der roten Blutkörperchen angeregt. Rechtlich und ethisch eine Grauzone, sagt der Sportphysiologe Walter Schmidt.

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Tadej Pogacar schaute ratlos, als er nach dem Kohlenmonoxid (chemische Formel: CO) gefragt wurde. "Als ich davon hörte, habe ich an Auto-Abgase gedacht. Also das, was aus dem Auspuff kommt", sagte der 26 Jahre alte Slowene. "Ich weiss darüber wenig und kann es deshalb nicht kommentieren. Vielleicht bin ich aber nur ungebildet."

Dass er doch nicht so ungebildet und ratlos war, bewies Pogacar am nächsten Tag. Das mit dem Kohlenmonoxid, das sei "ein einfacher Test, mit dem man messen kann, wie man im Höhentrainingslager auf die Höhe reagiert". Man würde in einen Ballon blasen und dann den Hämoglobin-Wert sehen können, also wie viele rote Blutkörperchen man in sich trägt. Ganz einfach also. Und harmlos.

Das US-Magazin "Escape Collective" hat eine Recherche zu Kohlenmonoxid-Rückatmung veröffentlicht, die – sollte sie stimmen – der Radsportwelt einen neuen Doping-Skandal bescheren könnte. Und nicht nur ihr: Jeder Ausdauersport könnte betroffen sein.

Kohlenmonoxid zur Hämoglobin-Messung

Das Gerät, auf das Tour-de-France-Sieger Pogacar angesprochen wurde, ist ein Kohlenmonoxid-Rückatmungsgerät. Mehrere Radsport-Teams nutzen es: Laut "Sportschau" sind es Pogacars Team UAE, Visma-Lease a Bike, das Team um den Vorjahressieger Jonas Vingegaard, und das Team Israel-Premier Tech um den deutschen Radprofi Pascal Ackermann. Mit dem Rückatmungsgerät ist es möglich, genau zu sagen, wie viele rote Blutkörperchen – Hämoglobin – der Körper enthält.

Walter Schmidt, Professor für Sportphysiologie an der Universität Bayreuth, erklärt das Vorgehen: "Man atmet Kohlenmonoxid ein, das bindet sich an das Hämoglobin. Man misst vor und nach der Inhalation, wie sich die CO-Hämoglobin-Konzentration verändert hat." So könne man bestimmen, wie viel Hämoglobin im Körper ist.

In Arztpraxen wird nur der ungefähre, relative Anteil an Hämoglobin im Körper mit einer Blutprobe gemessen. Für Sportler ist es besonders wichtig zu wissen, wie viel Hämoglobin sie im Körper haben, da die roten Blutkörperchen den Sauerstoff transportieren. Vor allem für Ausdauersportler spielt der Sauerstofftransport eine grosse Rolle.

Kohlenmonoxid-Inhalation zur Leistungssteigerung

Das Kohlenmonoxid-Rückatmungsgerät hat eine zweite Funktion: Atmet man Kohlenmonoxid in regelmässigen Abständen ein, kann das die maximale Sauerstoffaufnahme erhöhen. Der Effekt ist ähnlich wie bei einem Höhentraining: In der Höhe reagiert der Körper auf den abnehmenden Sauerstoff, indem mehr Hämoglobin produziert wird. Das macht den Körper leistungsfähiger.

Die Bedingung: "Nur wenn man über mehrere Wochen den ganzen Tag die Kohlenmonoxid-Hämoglobin-Konzentration erhöht hält, gibt es Effekte auf die Blutbildung", sagt Schmidt. In einer Studie, die er mit seinem Team durchgeführt hat, haben Probanden fünfmal am Tag, alle vier Stunden, Kohlenmonoxid eingeatmet – und das über drei Wochen hinweg.

Damit wurde eine Kohlenmonoxid-Hämoglobin-Konzentration von fünf Prozent erreicht. Weil der Sauerstofftransport um fünf Prozent gehemmt wurde, produzierte der Körper fünf Prozent mehr Hämoglobin.

Wie schädlich die Kohlenmonoxid-Inhalation sein kann

Vielen dürfte Kohlenmonoxid als ein Gas bekannt sein, das bei Verbrennungen entsteht und beim Einatmen giftig ist. Wie schädlich Kohlenmonoxid ist, kommt vor allem auf die Menge an, sagt Schmidt: "Ab einer Blockierung des Hämoglobins um etwa zehn Prozent reagiert der Körper mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Erbrechen. Das steigert sich, bis es lebensgefährlich wird."

Obwohl die Menge, die in Studien – und vielleicht auch im Leistungssport – eingeatmet wird, weit unter dieser Konzentration liegt, rät Schmidt dringend davon ab, mit Kohlenmonoxid seine Leistung steigern zu wollen. Der Effekt der Hämoglobin-Bindung "könnte gesundheitlich äusserst bedenklich werden oder tödlich enden".

Was dafür spricht, dass Kohlenmonoxid-Inhalation Doping ist

Für Walter Schmidt ist die Inhalation von Kohlenmonoxid zur Leistungssteigerung ein klarer Fall von Doping. Zwei von drei Kriterien müssten laut der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) erfüllt sein, damit man von Doping sprechen kann. "Es steigert die Leistung. Es ist gefährlich. Und es widerspricht den ethischen Regeln des Sports. Hier ist alles drei gegeben", sagt er und erklärt weiter: "Für mich ist es unethisch, wenn jemand ein giftiges Gas zum Zwecke der Leistungssteigerung einatmet und damit das Risiko eingeht, dass er seinem Körper schadet."

Was die rechtliche Situation für den Leistungssport bedeutet

Explizit verboten hat die Wada die Methode bisher nicht. Deshalb bewegen sich Radrennprofis – sollten sie Kohlenmonoxid zu leistungssteigernden Zwecken inhalieren – noch in einer rechtlichen Grauzone.

Die Kohlenmonoxid-Inhalation ist eine lang bekannte Methode, die zur Leistungssteigerung eingesetzt werden könnte. Warum sie jetzt in aller Munde ist, liege vor allem an der Veröffentlichung des Magazins "Escape Collective", sagt Mediziner Schmidt. Ob, wie und wo die Methode angewandt wird, ist nicht bekannt. Dazu müsse ein Insider auspacken.

Klar aber ist: Nicht nur Radfahrern würde die Methode zu mehr Leistung verhelfen. "Überall dort, wo der Sauerstofftransport eine leistungslimitierende Rolle spielt", sagt Schmidt, könne die Methode zur Leistungssteigerung beitragen: in Ausdauersportarten wie in der Leichtathletik, im Skilanglauf, im Schwimmen.

Ob mit oder ohne Kohlenmonoxid-Inhalation: Tadej Pogacar hat bei der Tour de France 2024 neue Massstäbe gesetzt. Solche, die vorher kaum denkbar waren. Vor allem auf den Kletterpassagen, die er nach Belieben dominierte. 37 Sekunden Vorsprung hatt er auf Vingegaard am Galibier. Beim Aufstieg nach Pla d’Adet hatte er 39 Sekunden Vorsprung, am Plateau de Beille war es über eine Minute. Rekorde wie diese werfen zumindest Fragen auf – vor allem im vorbelasteten Radsport.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Walter Schmidt lehrt am BaySpo, dem Bayreuther Zentrum für Sportwissenschaft an der Universität Bayreuth. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Herzkreislauf- und Stoffwechselphysiologie, Leistungs- und Umweltpysiologie, Anti-Doping, Sauerstofftransport unter Extrembedingungen sowie Entwicklung von Methoden zur Aufdeckung von Blutmanipulationen.

Verwendete Quellen

"Extreme Müdigkeit": Pogacar sagt Olympia-Start ab

Keine Chance auf Gold: Radstar Tadej Pogacar wird nach seinem Sieg bei der Tour de France wegen grosser Erschöpfung nicht an den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen.
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