• Noch im Februar war Felix Loch bei den Olympischen Spielen. Nichts deutete für ihn damals darauf hin, dass schon bald Krieg in der Ukraine herrschen würde.
  • Nur Wochen später sitzt Loch mit seiner Frau bei einem Hilfskonvoi am Steuer und bringt geflüchtete ukrainische Frauen und Kinder nach Deutschland.
  • Im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt der dreifache Rodel-Olympiasieger von seinem Engagement für den neu gegründeten Verein Athletes for Ukraine und warum er eine Entscheidung des IOC "überhaupt nicht" nachvollziehen kann.
Ein Interview

Es sind nun schon über zwei Monate vergangen, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt?

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Felix Loch: Mit ganz gemischten Gefühlen. Zuerst war ich vom Kriegsbeginn total überrascht. Es war für mich unvorstellbar, dass so etwas passiert. Da weiss man gar nicht richtig, was man sagen soll. Als dann Jens Steinigen [Biathlon-Olympiasieger von 1992; Anm.d.Red.] mit der Idee zu Athletes for Ukraine auf mich und meine Frau zugekommen ist, war für mich sofort klar, dass ich dabei bin und Jens unterstütze, in welcher Form auch immer. Dass sich das so schnell zu so einer grossen Sache entwickelt, war natürlich nicht abzusehen. Aber wir versuchen das weiter zu forcieren und voranzubringen.

Was war denn der Grundgedanke von Athletes for Ukraine? Was ist Ihre persönliche Motivation, sich dort zu engagieren?

Jens Steinigen ist selbst aus der DDR geflüchtet und weiss, was es heisst, auf der Flucht zu sein. Zudem ist er Anwalt und kann mit Unrecht sehr schlecht umgehen. Das geht mir als Sportler genauso. Ich will nicht mit irgendwelchen Tricks, sondern fair gewinnen. Deshalb ist Unrecht für mich auch etwas ganz Schlimmes. Ausserdem habe ich in meinem Leben schon sehr viele schöne Sachen erleben dürfen, deshalb war es für mich klar, dass ich jetzt etwas zurückgeben will. Das ist für mich selbstverständlich.

Sie sind über Ostern an die Grenze zur Ukraine gefahren. Zum einen, um dort Hilfsgüter abzugeben und zum anderen, um auch Menschen mit nach Deutschland zu nehmen. Es war bereits Ihre zweite Fahrt. Was geht einem da durch den Kopf, wenn man das sichere Deutschland verlässt und sich auf den Weg macht?

Beim ersten Mal wussten wir gar nicht, was auf uns zukommt. Ich bin zusammen mit meiner Frau gefahren und als wir in dem Erstauffanglager in Polen waren, war das Schlimmste, dass wir nur 46 Personen mit nach Deutschland nehmen konnten, obwohl dort Hunderte waren, die wir hätten mitnehmen wollen. Es ist auch krass zu sehen, wie die Leute dort untergebracht sind. Die Polen geben ihr Bestes, das muss man wirklich bewundern und unterstützen. Die Hilfsbereitschaft, die man dort an der Grenze erlebt, ist gewaltig. Da merkt man dann auch: Hey, das ist genau richtig, was wir da machen. Man muss hier helfen. Auf der Fahrt nach Hause war es für meine Frau sehr extrem. Wir hatten im Bus drei Mamas und dazu vier Kinder, die im gleichen Alter sind wie unsere Jungs. Die waren schon fünf Tage auf der Flucht und konnten zum ersten Mal etwas runterkommen.

Wie schafft man es, angesichts des Leids, mit dem man konfrontiert wird, nicht alle paar Minuten in Tränen auszubrechen?

Das ist wirklich schwierig. Gott sei Dank haben die Familien im Bus hinten geschlafen und den emotionalen Ausbruch meiner Frau nicht mitbekommen. Sie hat sich dann auch wieder gefangen, denn es nutzt halt nichts. Man muss einfach helfen. Wir haben den Frauen und Kindern auch am Tag danach noch einige Sachen vorbeigebracht und ihnen Rollkoffer geschenkt, damit sie leichter weiterkommen. Die haben wirklich nur das dabei, was sie am Körper tragen und eine Plastiktüte für ihre Dokumente. Wenn man das gesehen und erlebt hat, wird einem mal wieder bewusst, wie gut wir es in Deutschland haben. Klar läuft bei uns auch nicht immer alles richtig, aber wir leben hier vergleichsweise im Paradies. Das muss man wertschätzen.

Wie geht es für die Menschen, die Sie nach Deutschland gebracht haben, weiter? Kümmert sich Athletes for Ukraine auch um die Unterbringung?

Die meisten wollten gleich mit dem Zug weiterreisen, weil viele schon Bekannte oder Verwandte irgendwo in Deutschland haben, wo sie erstmal unterkommen konnten. Wir haben aber auch Sportlerinnen und Sportler, die uns direkt angeschrieben haben. Von ihnen konnten wir schon einige weitervermitteln. Eine Eisschnellläuferin ist zum Beispiel in Berlin untergekommen, kann auch dort trainieren. Vom Biathlon haben wir einige in Ruhpolding untergebracht, wo auch versucht wird, die Sportler dort an die Trainingsgruppen anzugliedern, sodass die Leute ihren Sport ausüben können.

Sie haben auch einen Sporttag mit den geflüchteten Kindern veranstaltet.

Ja, wir hatten eine Veranstaltung in Prien am Chiemsee, bei der wir versucht haben, die Leute zusammenzubringen. Das war so eine schöne Veranstaltung. Die Kinder hatten viel Spass. Die wollten einfach rumhüpfen und ein bisschen turnen, das war ein kompletter Selbstläufer. Das war schön zu sehen und man weiss wieder, warum man das alles macht. Und wenn man so einfach helfen kann, ist es auch keine Frage, dass man immer wieder hilft.

Sport kann also eine wichtige Rolle auch für die Geflüchteten spielen. Das Internationale Olympische Komitee IOC weigert sich aber weiterhin, sich zu positionieren und zum Beispiel russische Funktionäre auszuschliessen. Können Sie das nachvollziehen?

Nein, überhaupt nicht. Unser internationaler Rodelverband hat alle russischen Funktionäre ausgeschlossen. Es wurden und werden bei uns auch alle Sportler, die sich pro Putin aussprechen oder ausgesprochen haben, für alle Wettkämpfe lebenslang gesperrt. Einen Komplettausschluss des russischen Verbandes wird es bei uns im Verband nicht geben, einfach, weil ein solcher Ausschluss vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS nicht bestehen würde. Deshalb hat sich auch ein Grossteil der Verbände im Votum dagegen ausgesprochen. Ich hätte mir trotzdem gewünscht, dass noch mehr Verbände für einen Ausschluss stimmen. Das wäre ein gutes Signal gewesen, auch wenn es dann vor dem CAS gescheitert wäre. Und beim IOC verstehe ich überhaupt nicht, dass sie den Einfluss, den sie haben, nicht nutzen.

Wimbledon hat beschlossen, russische und belarussische Spielerinnen und Spieler nicht zuzulassen. Der Aufschrei war gross. Haben Sie Mitgefühl mit individuellen Sportlerinnen und Sportlern?

Es ist natürlich schwierig. Ich glaube, dass es sicher viele russische Sportler gibt, die gegen diesen Krieg sind. Die trauen sich aber nichts zu sagen, aus Angst, dass sie dann Probleme in ihrem Land bekommen. Man sieht ja, wie schnell Proteste in Russland polizeilich niedergeschlagen werden. Die russischen Sportler und ihre Familien leben von ihrem Sport und wollen ihre Existenz nicht gefährden. Natürlich ist der Aufschrei nach dem Wimbledon-Ausschluss nun gross, aber man muss auch das grosse Ganze sehen. Die Sportlerinnen und Sportler profitieren natürlich auch enorm von dem russischen Sportsystem.

Kurz vor Kriegsausbruch fanden noch die Olympischen Spiele statt. Hat man da schon etwas gemerkt, dass sich etwas anbahnt?

Überhaupt nicht. Ein Skeleton-Fahrer hat ja ein No-War-Schild im Ziel hochgehalten, aber das war wirklich das Einzige. Es war ein komplett normaler Umgang untereinander, wie auch die Jahre zuvor. Man kennt sich, bestreitet mit- und gegeneinander Rennen, schätzt sich. Da ist nie irgendwas aufgekommen.

Was raten Sie Menschen in Deutschland, die helfen wollen? Worauf sollte man sich einstellen?

Am besten ist es, über einen Verein zu helfen. Es muss nicht unbedingt Athletes for Ukraine sein, wobei wir uns natürlich auch über jeden freuen, der mitmachen und sich einbringen möchte. Aber das geht auch bei anderen Vereinen, die die Hilfe ordentlich organisieren. Wovon ich explizit abraten würde, ist, sich selbst ins Auto zu setzen, an die Grenze zu fahren und jemanden nach Deutschland bringen zu wollen.

Wie geht es weiter mit Athletes for Ukraine – sind noch weitere Fahrten geplant?

Fahrten sind definitiv geplant, ich werde auch nochmal mitfahren. Es ist in circa einer Woche auch eine grössere Fahrt geplant, bei der wir mit einem Reiseunternehmen zusammenarbeiten, weil wir zwei Reisebusse brauchen. Ausserdem wollen wir noch öfter solche Sportaktionen wie in Prien machen. So bringt man die Familien vor Ort zusammen. Wir versuchen einfach, weiter zu helfen. Zu viel oder zu wenig gibt es da nicht.

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