Der WM-Traum ist zerplatzt. Mit 24:26 scheiterten Deutschlands Handballer am Mittwoch an Gastgeber Katar. Selber schuld? Manche Spieler, Funktionäre und Fans sehen das anders. Sie fühlen sich von den Schiedsrichtern betrogen. Doch welchen Anteil hatten die Unparteiischen wirklich? Wir haben mit einem Experten gesprochen. Sein Urteil: "Man kann nicht immer alles auf die Referees schieben."
Mehrere strittige Entscheidungen des Schiedsrichter-Duos sorgten nach dem Spiel für kontroverse Diskussionen. Deutschlands Weltmeister-Trainer von 2007, Heiner Brand, heizte die Debatte über eine angebliche Bevorzugung von WM-Gastgeber Katars zusätzlich an. Der Sky-Experte, der bei der WM auch als Schiedsrichter-Beobachter im Einsatz ist, antwortete auf die Frage nach der Leistung der Unparteiischen nur: "Dazu werde ich mich in der Öffentlichkeit nicht äussern."
Vorwürfe bereits nach Achtelfinale gegen Österreich
Es war nicht das erste Mal, dass die Schiedsrichter bei einem WM-Spiel von Katar negativ in den Fokus rückten. Bereits nach dem Achtelfinale hatten sich die unterlegenen Österreicher heftig über die Regelauslegung in den Schlussminuten beschwert - und das nicht zu Unrecht.
Andreas Warter, Schiedsrichterwart des Bayerischen Handballverbands, versteht die erneuten Vorwürfe nach dem Viertelfinale aber nicht. Im Gespräch mit unserem Portal sagte er: "Was Heinevetter meint, ohne es konkret auszusprechen, geht so nicht." Es hätte zwar einige strittige Entscheidungen gegeben. "Aber die waren alle nicht spielentscheidend."
Gemeint sind vor allem die vielen Offensivfouls der deutschen Mannschaft. Besonders Kreisläufer Patrick Wiencek wurde oft zurückgepfiffen. "Das sind 50:50-Pfiffe", sagt Warter. "Man muss sie nicht geben. Aber wenn ein Kreisläufer eine grenzwertige Sperre direkt vor den Augen des Schiedsrichters stellt, wird er diese ahnden".
Ungereimtheiten nur beim Zeitspiel
Zu einer undurchsichtigen Situation kam es kurz vor Ende der ersten Halbzeit. Nach einer Rangelei zwischen Uwe Gensheimer und Bertrand Roine wurden beide Spieler durch das Urteil des Video-Schiedsrichters für zwei Minuten vom Platz gestellt. Mehrere Experten hatten im Nachhinein die Rote Karte für den Katarer gefordert. Selbst durch die TV-Zeitlupe war die Situation nicht aufzuklären. Auch die Strafminuten lassen nicht auf eine Bevorzugung Katars schiessen. Viermal mussten Kataris für zwei Minuten auf der Bank Platz nehmen. Bei Deutschland waren es sechs Spieler.
Einzig beim Zeitspiel zeigt Schiedsrichter-Experte Warter Verständnis für die Kritik an den Referees. Gefühlt durfte Katar seine Angriffe trotz der Ankündigung der Schiedsrichter, den Gastgebern den Ballbesitz wegen passiven Spiels zu entziehen, immer zu Ende spielen. Bei Deutschland wurde früher abgepfiffen. "Dort gab es in der Tat einige Ungereimtheiten. Das Zeitspiel wurde auf Seiten Katars etwas grosszügiger gehandhabt als bei Deutschland."
Die besondere Rolle der Handball-Schiedsrichter
Handball-Schiedsrichter haben allerdings einen gewissen Ermessensspielraum. Sie können Regelverstösse je nach Situation unterschiedlich auslegen. Stärker als in anderen Sportarten beeinflussen sie so den Ausgang der Spiele. In praktisch jedem Angriff können Tore fallen, das Spiel ist sehr körperbetont, in Sekundenbruchteilen müssen Entscheidungen über Zeitstrafen oder Siebenmeter getroffen werden. Eine komplett fehlerfreie Leistung ist so schlicht nicht möglich.
Deutschland hatte es selbst in der Hand
Dass die Schiedsrichter im Viertelfinale gegen Katar keinen perfekten Tag hatten, will auch Schiedsrichter-Experte Warter nicht unter den Tisch kehren. Den Unparteiischen aber die Schuld für die Niederlage des DHB-Teams zu geben, ist aus seiner Sicht übertrieben. "Man kann nicht immer alles auf die Referees schieben", sagt Warter.
"Wenn die Deutschen ihre Chancen genutzt hätten, hätten sie das Spiel auch gewonnen", ist sich Warter sicher. Die Ursachen für den verpassten Halbfinaleinzug waren vielmehr die technischen Fehler und die Abschlussschwäche im Angriff sowie die Schwierigkeiten gegen Kreisläufer Borja Vidal und Rückraumschütze Rafael Capote in der Verteidigung. Das sah am Ende auch Silvio Heinevetter ein. "Wir haben nicht unser bestes Spiel gemacht, das muss man ehrlicherweise sagen."
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