• Nach ihrer verpatzten Kür gab es bittere Tränen: Die 15 Jahre alte Eiskunstläuferin Kamila Walijewa konnte dem Druck bei den Olympischen Spielen nicht standhalten, verabschiedete sich mit einem vierten Platz.
  • Zuvor hatte sie mit einem Dopingvergehen für öffentliches Aufsehen gesorgt. Eine Kinderpsychologin erklärt im Interview, wie viel Druck Kinder aushalten können und wie man einen gesunden Umgang mit Leistung vermittelt – auch abseits des Sportplatzes.
Ein Interview

Die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa, um die es tagelang Wirbel wegen eines Dopingvergehens gegeben hatte, ist bei den Olympischen Spielen auf dramatische Weise in der Kür gescheitert. Die eigentliche Goldfavoritin und "Wunderläuferin" stürzte mehrmals und landete nur auf dem vierten Platz. Kann man Leistung nicht abrufen, wenn der Druck zu gross ist?

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Reichen: Tatsächlich ist ein gewisses Mass an Druck notwendig, um motiviert zu sein und Leistung erbringen zu können. Denn Druck ist nichts anderes als Stress. Dieser entsteht erst dann, wenn uns ein Ziel persönlich wichtig ist, ein Versagen unangenehm wäre und die eigenen Fähigkeiten als zu gering eingeschätzt werden. Geringer Stress motiviert uns, uns weiterzuentwickeln. Zu viel Stress kann jedoch tatsächlich dazu führen, dass sich Personen überfordert fühlen und das Abrufen von Leistungen und Fähigkeiten blockiert wird. Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, kann zum Beispiel stark beeinträchtigt sein.

Der Fall Walijewa zeigt eindrücklich, unter welchem Druck junge Profisportler stehen. Was macht ein solcher Druck mit einer 15-Jährigen?
Reichen: Zu grosser Druck kann zu einem Anstieg des Stresserlebens führen. Dauerhaftes erleben von erhöhtem Stress hat viele negative Auswirkungen auf Körper und Geist. Dazu zählen etwa erhöhter Blutdruck bis hin zu Herz-Kreislauf-Problemen, Schlafdefizite, Magengeschwüre, aber auch Schlafstörungen, Reizbarkeit, Ängste, geringes Selbstwert und sozialer Rückzug. Das Risiko für die Entwicklung von verschiedenen psychischen Erkrankungen, wie depressive Episoden, Angst- oder Essstörungen, ist erhöht. Im Leistungssport ist nicht selten zu beobachten, dass Sportler ihren Selbstwert an ihre Leistungen knüpfen und das Versagen schwer ausgehalten werden kann.

Ab wann hört es denn auf, normal zu sein - Wie viel Druck können Kinder und Jugendliche also ertragen?
Wie viel Druck ein Kind oder Jugendlicher ertragen kann, hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Ob der Druck als motivierend oder als Stress empfunden wird, hängt davon ab, wie das Kind gelernt hat, mit Stress umzugehen.
Welche Aspekte spielen dabei eine Rolle?
Man sollte sich folgende Fragen stellen: Erfährt das Kind soziale Unterstützung in der Familie, bei Freunden, beim Trainer, im Team? Gibt es genug Möglichkeiten sich auch mal vom Leistungsdruck zu erholen, durch andere Hobbys, Freizeit, Freunde treffen? Wie geht das Umfeld mit Fehlern und Versagen um? Wird Versagen als menschlich angesehen und als Chance, etwas daraus zu lernen, oder ist es ein No-Go? Darf man Schwächen, Sorgen, Ängste kommunizieren und wird das dann ernst genommen? Und ganz allgemein sind die Bedürfnisse des Kindes gut im Blick und ausreichend befriedigt? Bekommt das Kind genug Schlaf, hat eine ausgewogene Ernährung, hat es Spass an dem, was es tut und ist selbst motiviert diese Leistungen erbringen zu wollen?

Das klingt insgesamt ziemlich gefährlich. Ist der Druck im Profibereich denn immer negativ behaftet?
Nein, Leistungssport kann sich durchaus auch positiv für die Psyche von Kindern und Jugendlichen sein. Sie handeln früher verantwortungsvoll, lernen früher selbstständig zu sein und ihren Alltag zu organisieren. Erfolge können zu einem hohen Selbstwertgefühl beitragen und die Entwicklung psychischer Störungen entgegenwirken. Teamsport ermöglicht es zudem, soziale Kompetenzen früher und besser auszubilden.

Nach ihrer Performance schlug Walijewa die Hände vors Gesicht. Die ehemalige Eiskunstläuferin und heutige ARD-Expertin Katharina Witt analysierte: "Man hätte sie schützen müssen. Sie war ein Schatten ihrer selbst." Welche besonderen Schutzmassnahmen braucht es für Kinder im Profisport?
In den letzten Jahren wurde schon viel für den Schutz der Kinder verbessert. Dieser ist jedoch noch ausbaufähig, da sich das meiste auf die körperlichen Faktoren beziehen. Zum Beispiel wurden in internationalen Wettbewerben die Altersgrenzen heraufgesetzt, Trainer werden besser ausgebildet, etwa im Hinblick auf Pädagogik. Kinder und Jugendliche werden durch interdisziplinäre Teams betreut aus Physiotherapeuten, Ernährungsberatern, Sportärzten und Trainern. Es finden auch regelmässig Untersuchungen statt, um negative körperliche Entwicklungen, etwa im Gewicht, zu kontrollieren.
Was muss sich dann noch tun?
Es wäre zu empfehlen, auch Sportpsychologen oder Kinder- und Jugendpsychologen einzubinden, um auch psychische Veränderungen feststellen zu können und diesen entgegenzuwirken. Die Trainingsinhalte und Trainingspläne müssen zudem, dem Alter der Kinder und Jugendlichen angepasst werden.

Akrobatik bis Zumba: Ist der Druck bei bestimmten Sportarten höher als bei anderen?
Pauschal kann man das nicht beantworten. Es kommt letztendlich darauf an, was das Kind will und ob es das gerne tut und gut betreut wird. Aber einige Sportarten haben einen höheren Fokus auf Perfektion als andere, sei es bei der Ausführung des Sports selbst oder dem Körperbild, das dafür erreicht sein muss – man denke etwa an Eiskunstlaufen, Tanzen und Turnen. Teamsportarten haben den Vorteil, dass Kinder Gleichaltrige haben, mit denen sie sich austauschen können und mehr Unterstützung erfahren können.
Wie kann man Kindern denn einen gesunden Umgang mit Leistung und Ehrgeiz vermitteln?
Ein guter Umgang mit Stress ist das wichtigste. Dafür ist es immer von Vorteil, wenn im Umfeld des Kindes eine Gesprächskultur gepflegt wird, bei denen Probleme kein Tabu sind und Bedürfnisse des Kindes ernst genommen werden. So können Eltern und Trainer Grenzen setzten, die das Kind und den Jugendlichen nicht überfordern. Sie können das Kind motivieren und Sorgen nehmen und es in seinem Vorhaben unterstützen. Versagen darf niemals bestraft werden und das Erfüllen von Bedürfnissen niemals an Erfolge geknüpft werden. Sätze wie "Du darfst etwas nur, wenn du gewinnst", sollten tabu sein.
Gibt es denn Warnsignale, auf die Bezugspersonen achten können?

Ja, Warnsignale können körperlich sein, etwa Kopf- oder Bauchschmerzen, Schlafschwierigkeiten oder erhöhte Müdigkeit, verminderter oder gestiegener Appetit. Im Verhalten könnte das Kind reizbarer sein bis hin zu Wutanfällen, sich sozial zurückziehen, weinen, Ängstlichkeit sein. Das ist allerdings von Kind zu Kind unterschiedlich.

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Können Eltern ihre Kinder auch vor ihrem eigenen Ehrgeiz schützen? Den Druck bauen schliesslich nicht nur Eltern auf.

Dafür ist wichtig: Mit dem Kind zu sprechen, wieso es so ehrgeizig ist. Wieso ist dem Kind eine bestimmte Leistung so wichtig? Es sollte immer die Freude und der Spass im Vordergrund stehen und niemals, dass das Kind denkt, es müsse das tun, um etwas wert zu sein. Gesunder Ehrgeiz ist wichtig und sollte auch ausgelebt werden. Wichtig ist eine gute soziale Unterstützung zu sein und vor allem bei Niederlagen das Kind zu trösten und Mut zu machen, die Träume weiterzuverfolgen. Eine gesunde Haltung gegenüber Misserfolgen und Fehlern ist somit das Wichtigste. Fehler sind normal und menschlich. Sie sind gut und wichtig, um daraus zu lernen.

Über die Expertin:
Tarika Reichen ist Psychologin an der Ruhr-Universität Bochum. Sie arbeitet in einer Kinder- und Jugendtherapeutischen Praxis.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Tarika Reichen
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