- Jutta Kleinschmidt absolviert ab dem 19. Februar ihre zweite Saison in der noch jungen Rennserie Extreme E.
- Die Extreme E fährt an speziellen Orten auf der Welt und will sich für Gleichstellung, Nachhaltigkeit und Umweltschutz einsetzen. "Dakar-Queen" Kleinschmidt teilt sich das Cockpit des Elektro-SUV mit Nasser Al-Attiyah.
- Im Interview mit unserer Redaktion spricht die 59-Jährige über die Elektro-Rennserie, ihren Hunger nach Herausforderungen und das schwierige Thema "Frauen im Motorsport".
Frau Kleinschmidt, Sie stehen vor Ihrer zweiten Saison in der Extreme E. Ist das Lampenfieber immer noch gross?
Jutta Kleinschmidt: Ja klar, das Kribbeln ist immer noch da. Wenn das nicht da wäre, wäre irgendetwas falsch. Man möchte natürlich sehr gut sein und gewinnen und ich weiss, dass wir das auch können. Aber wir wissen auch, dass wahnsinnig viel passieren und schiefgehen kann. Ich freue mich einfach riesig auf das erste Rennen.
Sie könnten die Beine hochlegen, hier und da Ihre Erfahrung einbringen – stattdessen sind Sie wieder regelmässig mittendrin. Warum?
Weil mir gerade dieses Kribbeln gefällt. Das ist für mich eine grosse Herausforderung, und ich liebe Herausforderungen. Wenn ich die nicht mehr habe, wird es mir zu langweilig. Solange ich also die Chance habe, Herausforderungen zu finden und zu bekommen, nehme ich sie an.
Eine Herausforderung war es auch, als Sie 2021 mitten in der Saison für Claudia Hürtgen eingesprungen sind – hatten Sie da ein bisschen Bammel, weil Sie vorher nur temporäre Einsätze im Motorsport hatten?
Klar hatte ich Bammel. Gerade beim ersten Rennen, als ich über Nacht und direkt zum Qualifying ins Auto springen musste, weil Claudia kurzfristig ausgefallen ist. Da war der Respekt extrem gross. Aber wenn man sich von seinen Ängsten zurückhalten lässt, erlebt man auch nichts. Deshalb muss man sich den Ängsten stellen, sich allerdings auch vorher darüber im Klaren sein, dass man damit umgehen muss, wenn es dann nicht gut läuft. Viel schlimmer ist es, wenn man etwas unbedingt möchte, sich aber nicht traut, es auszuprobieren.
Wie stolz macht es Sie, dass Sie weiterhin auf ganz hohem Niveau agieren?
Ich habe mich schon gefreut, dass es damals auf Anhieb so gut geklappt hat. Extrem froh bin ich aber darüber, dass ich mit Abt Sportsline eine zweite Saison absolvieren kann. Und ich freue mich auch auf meinen neuen Teamkollegen: Ich kenne Nasser seit vielen Jahren, wir sind schon zusammen in einem Team gefahren. Er liegt mir auch sehr, wenn es um die Abstimmung des Autos geht. Denn gerade dann, wenn man sich das Lenkrad teilt, muss man sich gut verstehen und vertrauen. Ich weiss, dass wir sehr gut zusammenarbeiten werden, die Chemie stimmt.
Jutta Kleinschmidt hat die Rallye Dakar gewonnen
Sie haben ihn angesprochen: Nasser Al-Attiyah ist Ihr Teamkollege und wie Sie eine Dakar-Legende. Was spricht jetzt noch gegen den Titel?
(lacht). Letztes Jahr waren wir auch nicht langsam, aber es kam immer etwas dazwischen. Wir haben hoffentlich 2021 jedes Problem, das man haben kann, gehabt. Sollten wir die Probleme nicht mehr haben, können wir ganz vorne dabei sein. Und das ist natürlich auch das Ziel.
Wie herausfordernd ist das Auto, das Sie "Biest" getauft haben und in der Extreme E fahren?
Das Fahrwerk ist die grösste Herausforderung, denn das Fahrwerk ist für das Fahren das Wichtigste. Es macht manchmal noch Dinge, die man als Fahrer nicht möchte – das Auto springt zum Beispiel seitwärts oder ist kopflastig beim Sprung. Aber die nächsten Entwicklungsschritte an dem Einheitsauto in die richtige Richtung kommen bald. Ansonsten ist das Auto ein Elektro-SUV, wir haben daher keine Gänge, sondern nur Gas und Bremse und immer Leistung, was das Fahren wiederum etwas einfacher macht.
Und wie schwierig ist das Format im Vergleich zu dem, was Sie bisher gefahren sind?
Es ist schwierig, weil das Format so kurz ist. Man muss die wenigen Runden extrem korrekt fahren, man muss die Konzentration die ganze Zeit aufrechterhalten, denn wenn man einen kleinen Fehler macht, kann es sofort vorbei sein. Wir studieren dafür sehr intensiv die Strecke und die Daten – das ganze Format ist nicht ohne.
Bei der Extreme E geht es nicht nur um das Fahren, sondern auch um Ziele wie Gleichstellung, Umweltschutz und Klimawandel. Wie beeindruckend sind die Eindrücke des Klimawandels vor Ort?
Das ist sehr nachdrücklich. In Grönland zum Beispiel die Folgen der Eisschmelze zu sehen, hat bei mir einen grossen Eindruck hinterlassen. Es ist toll, dass die Extreme E das macht, ich sehe das sehr positiv. Ich freue mich jetzt auch sehr auf Hintergründe zur geplanten Zukunftsstadt Neom rund um den Auftakt in Saudi-Arabien. Und durch den Mix im Cockpit haben viele Frauen die Chance auf einen guten Platz und auf wichtige PR, um ihre Karrieren aufzubauen. Auch von der Zusammenarbeit mit einem Mann können sie profitieren.
Glauben Sie, dass die Extreme E bei ihren Zielen bereits etwas erreicht hat?
Bei den Frauen auf jeden Fall. Molly Taylor ist die Dakar-Rallye gefahren, Laia Sainz ebenfalls. Das Budget hätten sie ohne die Extreme E möglicherweise nicht gefunden. Und wir werden weitere Frauen sehen, die ihr Potenzial auch in anderen Serien zeigen können. Auch beim Klimawandel wurden Dinge durch die Projekte vor Ort angestossen. Die Extreme E wird nicht alle Probleme lösen, aber wenn jeder solche Schritte macht, wäre man sehr stark. Es ist also wichtig, dass diese ersten Schritte unternommen werden. Wie sagt man so schön: Kleinvieh macht auch Mist.
Wo hat sie sich die Serie vom Standing her im Motorsport eingeordnet?
Es ist wichtig, dass die Serie es geschafft hat, ins zweite Jahr zu gehen. Die Fahrer sind gerne in der Rennserie am Start, die Qualität ist deshalb sehr hoch. Auch die Teilnahme von McLaren 2022 ist ein grosser Erfolg. Die Extreme E hat sich etabliert, auch wenn die Verantwortlichen natürlich noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen haben.
Sie haben 2001 als bislang einzige Frau die Rallye Dakar gewonnen. Was hat sich durch den Sieg für Sie verändert?
Der Sieg war für mich ein grosses Ding, denn wenn man gewinnt, ist man ein Dakar-Sieger. Das hat mir sehr viele Türen geöffnet, und es hat damals beispielsweise auch geholfen, Volkswagen in den Sport zu bringen. Ich profitiere heute noch davon, so ein Erfolg bleibt.
Wie schwierig war es damals im Macho-Sport Motorsport?
Da habe ich gar nicht gross drüber nachgedacht. Motorsport hat mich fasziniert, und wenn man als Frau in den Sport kommt, gibt es Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist die Aufmerksamkeit, die bei Fehlern aber auch nachteilig sein kann (lacht). Ein Nachteil ist: Wenn es vorher noch niemand gemacht hat, musst du erst beweisen, dass es geht. Am Anfang gab es für mich zum Beispiel nicht das beste Material. Den Status muss man sich erst erarbeiten. Das ist sehr hart, wenn das Motto lautet: "Frauen sind gut für die PR, gewinnen tun aber die Jungs." Den Sprung zu schaffen war die grösste Herausforderung.
Mussten Sie immer mehr leisten, um sich gegen die Männer zu beweisen?
Das bringt die Sache automatisch mit sich, wenn man eine Ausnahme ist. Ich habe mich immer extrem akribisch vorbereitet. Das ist das Wichtige: Dass man seine Schwachstellen findet und diese verbessert. Dadurch kann man am meisten herausholen.
Frauen im Motorsport: "Es scheitert sehr oft am Geld"
Hat sich für Frauen im Motorsport inzwischen etwas verändert?
Für viele Jungs ist es immer noch peinlich, wenn eine Frau vor ihnen ist. Das kratzt mehr am Ego, als wenn es ein Mann ist. Ansonsten stagniert es. Man hat versucht, etwas zu tun, es ist aber immer noch sehr wenig. Klar war ich für einige Frauen ein Vorbild. Ich glaube aber, dass wir mit der Extreme E mehr bewirken als mit meinem Dakar-Sieg.
Sind es aber nicht gerade diese Erfolge, die Frauen motivieren, es zu versuchen?
Das habe ich oft gehört. Viele sagen, dass ich ihr Vorbild bin und dass sie das auch erreichen wollen. Die Motivation ist also da. Man benötigt aber die Unterstützung aus der Industrie, damit es weitergeht.
Was muss in der Hinsicht konkret getan werden, um Frauen im Motorsport zu unterstützen?
Es scheitert sehr oft am Geld. Die guten Frauen zu finden, das würde ich mir zutrauen, das habe ich bei einem "Selection Camp" in der Vergangenheit bereits geschafft, dort haben wir Emma Gilmour, Cristina Gutierrez und Molly Taylor entdeckt. Das Problem ist oft, dann das Budget und die Unterstützung zu finden. Und es muss ja auch noch einen Platz zum Fahren geben.
Warum ist das so schwierig?
Der Motorsport ist generell sehr teuer. Ich habe mir in meiner Karriere auf dem Motorrad einen Namen gemacht und so die Sponsoren an Land gezogen und überzeugt, für mich im Auto zu bezahlen. Das fehlt. Man muss das Geld auftreiben, was nicht so einfach ist, sonst bleibt man auf der Strecke.
Bringen die ganzen Initiativen, die es für Frauen im Motorsport inzwischen gibt, überhaupt etwas?
Jede Initiative bringt etwas, die Frauen ermöglicht zu fahren. Jamie Chadwick ist beim Race of Champions mitgefahren. Das wäre wohl nicht möglich gewesen, wenn sie die W Series nicht gewonnen hätte. Die Frauen rücken dadurch mehr in den Mittelpunkt, sie bekommen mehr PR. Vor allem auch durch die Extreme E, durch die sich mehr Türen für die Frauen öffnen können.
Was sind die Hindernisse neben fehlendem Budget? Verkrustete Strukturen? Veraltete Ansichten? Fehlende Leistung? Fehlender Mut?
Man darf die Frauen auch nicht verheizen. Man darf eine Frau erst in ein Formel-1-Auto setzen, wenn sie wirklich auf dem Level ist. Das Problem ist, dass immer noch zu wenig Frauen im Nachwuchsbereich anfangen. Es ist also eine Kombination: Es fangen zu wenig Frauen überhaupt erst an, und dann müssen sie auch noch die Möglichkeit bekommen, durch die ganzen Nachwuchsserien zu gehen, um Erfahrungen zu sammeln. Wenn bereits so wenig Frauen anfangen, bleibt oben einfach wenig übrig.
Welchen konkreten Rat würden Sie weiblichen Talenten auf dem Weg nach oben geben?
Generell sollte man super kritisch mit sich selbst sein, das hat mir in meiner Karriere sehr geholfen. Und dabei nicht zu viel auf andere hören, die nur positiv über einen reden. Ich habe zudem immer versucht, mich zu analysieren. Nur so kann ich lernen und mich verbessern. Und dann bei den Punkten ansetzen, bei denen man nicht gut war, denn da kann man am meisten herausholen. Man muss diese Fehler aber auch wahrnehmen, und das ist nicht so einfach. Hinzu kommt eine akribische Vorbereitung. Denn nur so kann man besser sein als die Konkurrenz.
Die Zukunft des Motorsports
Wann sehen wir denn endlich wieder eine Frau in der Startaufstellung der Formel 1?
Das ist wirklich schwer zu sagen, es hat ziemlich lange nicht geklappt. Es kann schnell gehen, dass plötzlich eine Frau da ist, die es kann und die die Unterstützung hat. Für mich gibt es sowieso keinen Grund, warum es eine Frau nicht schaffen sollte. Sie muss nur gefunden werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in den kommenden Jahren passieren wird, wird immer grösser.
Hat es die Frau, die es dann schafft, schwerer als die männliche Konkurrenz, was zum Beispiel die Akzeptanz angeht?
Ja, ich denke schon. Die Menschen glauben nicht sofort an Dinge, die sie vorher noch nicht gesehen haben. Nelson Mandela hat gesagt: "Es erscheint immer unmöglich, bis es vollbracht ist." Das stimmt und es hängt in den Hinterköpfen. Solange diese leisen Zweifel da sind, hat es eine Frau schwerer, weil sie vielleicht nicht die letzte Unterstützung bekommen wird. Und vielleicht hat sogar die Frau selbst ein Problem damit, es sich vorstellen zu können. Wenn es noch keiner geschafft hat, ist das Selbstbewusstsein geringer, als wenn es bereits jemand geschafft hat.
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