- Sophia Flörsch fährt seit ihrem vierten Lebensjahr Rennen.
- Für sie selbst ist es völlig normal, als Mädchen oder Frau im Motorsport mitzuhalten. Und auch die Jungs und Männer gegen die sie fährt, haben sie schon lange akzeptiert. Dennoch ist es vor allem die ältere Generation, die sie immer noch als ungeeignet für das professionelle Renngeschäft sieht.
- Im Interview mit unserer Redaktion spricht sie über die Schwierigkeiten, die sie hat, was den Sport für sie ausmacht und warum sie mit Vorurteilen aufräumen möchte.
Sophia Flörsch ist Rennfahrerin. In der FIA-Formel 3 startet sie für das Team Campos Racing. Neben
Den meisten Menschen ist Flörsch aufgrund von zwei Dingen ein Begriff: ihrem schweren Unfall in Macau - und der blossen Tatsache, dass sie als Frau professionell Autorennen fährt.
Es gibt wohl kaum einen Sport, der noch immer so männerdominiert ist wie der Motorsport. Als Flörsch mit vier Jahren in den Kart steigt, ist ihr das nicht bewusst, doch inzwischen weiss sie natürlich um ihre Sonderrolle im Motorsportzirkus. Auf gewisse Fragen hat sie sich daher wohl schon eine Antwort zurecht gelegt. Doch gefragt nach dem Reiz ihrer Sportart spürt man ihre Begeisterung für das, was sie da tut sofort. Und auch bei anderen Fragen redet sie sich fast in Rage.
Frau Flörsch, können Sie beschreiben, was für Sie den Reiz am Motorsport ausmacht?
Sophia Flörsch: Ich habe den Sport mit vier Jahren angefangen und der Reiz ist von Anfang an die Geschwindigkeit. Je älter du wirst, um so schnellere Karts oder später Autos fährst du. Aktuell in der Formel 3 ist man nicht nur im Topspeed relativ schnell, sondern wir haben extrem viel Aerodynamik. Auch die Downforce in den Kurven ist abnormal. Das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, wenn man mit 4G durch eine Kurve fährt, wie sehr das Auto auf der Strecke kleben bleibt – das fühlt sich an wie fliegen. Das ist der coolste Reiz für mich. Dann kommt noch das Überholen, der Kampfgeist dazu. Den muss man haben, um Zweikämpfe zu gewinnen und im Rennen vorne mit zu fahren. Für mich spielen viele kleine Details eine Rolle. Auch, dass man im Auto zwar eine Einzelkämpferin ist – aber im Hintergrund ein ganzes Team hat.
Mein Sohn würde auch gerne Rennfahrer werden. Als Mutter bricht mir da jedoch der kalte Schweiss aus, weil das auf mich sehr gefährlich wirkt. Ihr Unfall 2018 hat mich in dieser Einschätzung bestärkt. Hatten Sie jemals Angst, in ein Auto zu steigen?
Nein, überhaupt nicht. Ich mache den Sport, weil ich ihn geil finde. Ich spüre da keine Angst oder Hemmungen, sondern ich geniesse es einfach, im Auto zu sitzen. Klar ist mir bewusst, dass auch mal etwas passieren kann, aber unterm Strich hat man selbst die Kontrolle über das Auto. Pech kann man trotzdem haben, wie ich in Macau, aber die Autos sind heutzutage sehr sicher. Man muss auch sagen: Mein Unfall in Macau war einer der schlimmsten der vergangenen Jahre, sonst passiert im Motorsport wirklich selten etwas. Und ich bin trotzdem ein paar Monate später im Auto gesessen und kann wieder alles machen, habe null Einschränkungen. Das beweist für mich, wie sicher die Autos sind.
Im November 2018, beim Weltfinale der Formel 3 kommt Flörsch mit ihrem Wagen an der engsten Stelle der Strecke von der Fahrbahn ab, fliegt mit ihrem Auto durch den Fangzaun. Die Bilder sehen dramatisch aus. Flörsch selbst erzählt in einem Interview mit der "FAZ" nur wenige Wochen später, dass sie sich selbst beim Betrachten des Videos fragt: "Puh, ob der da drin noch lebt?"
Flörsch bricht sich einen Halswirbel, muss elf Stunden operiert werden. Nur wenige Monate später sitzt sie wieder im Auto. Bei den Laureus World Sports Awards 2020 wird sie für das "Comeback des Jahres" ausgezeichnet.
Wird Ihnen die Frage nach der Angst häufiger gestellt als Ihren männlichen Kollegen?
Wahrscheinlich schon. Sicher weiss ich es natürlich nicht. Als Frau wird man oft mit Weichheit verbunden und mit Ängsten. Mir wird die Frage häufig gestellt, aber das ist mir relativ egal. Ich beantworte sie immer gleich, denn so ist es nun mal. Aber es ist natürlich ein Problem, wie wir Frauen in der Gesellschaft gesehen werden – vor allem von Männern in höheren Positionen.
Löst das in Ihnen einen gewissen Ehrgeiz aus?
Es gibt gewisse Sachen, die einen motivieren – gewisse Sätze, gewisse Vorwürfe. Aber eigentlich ist das Nebensache. Trotzdem gibt es in meinem Sport viele Männer, die es nicht gutheissen, dass ich mitfahre, weil sie nicht glauben, dass eine Frau das kann. Das motiviert schon, denn genau diesen Männern will man es natürlich beweisen.
Die Eltern sind eine grosse Hilfe für Flörsch
Als Vierjährige fällt einem das wahrscheinlich gar nicht auf, dass es da eine Problematik geben könnte, wenn man als Mädchen schneller als die Jungs fährt. Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass das ein Thema ist, das Sie in Ihrer Karriere begleiten wird?
Ich muss ehrlich sagen, dass mich meine Eltern sehr lange davon ferngehalten haben. Ich glaube, das fing schon früh an, als ich klein war und mit den Rennen angefangen habe, dass Leute der Meinungen waren, dass es unnötig ist, mich das machen zu lassen, weil ich sowieso nie erfolgreich werden würde. Bewusst geworden ist mir das selbst erst, als ich aufs Auto umgestiegen bin, Interviews gegeben habe, als dann irgendwann auch die Medien interessiert waren. Erst da, so mit 14, habe ich dann auch verstanden, dass ich nicht nur Fürsprecher habe und dass das schon eine relativ harte Welt ist.
Es ist eine Männerwelt, in der man sich erst einmal das Selbstbewusstsein und ein dickeres Fell aneignen muss. Aber je älter du wirst, desto mehr gewöhnst du dich dran, desto mehr wächst du daran.
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Was war der dümmste Spruch, den Sie sich je anhören mussten?
Einmal kam der Vater eines Teamkollegen, als ich 14 war zu mir und meinte, warum ich den Sport überhaupt ausübe, ich würde es als Frau ja ohnehin nie schaffen. Das sei doch vollkommen unnötig.
Wenn man 14 Jahre alt ist und sowas hört, dann ist das nicht so easy. Ich habe nicht verstanden, warum da jetzt jemand gegen mich ist.
Tatsächlich gibt es noch immer nur wenige Frauen, die es bislang überhaupt bis in die Formel 1 geschafft haben. Die letzte Fahrerin, die in der Formel 1 an den Start ging und nicht nur für Trainings eingesetzt wurde, war Lella Lombardi auf dem Österreichring 1976. Giovanna Amati scheiterte 1992 mit Brabham im Qualifying. Schon länger gibt es die "Girls on track"-Initiative der FIA, die gezielt Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren fördern soll. In der Formel 1 merkt bislang herzlich wenig davon.
Weibliche Vorbilder sind rar gesät
Haben Sie weibliche Vorbilder, oder orientieren Sie sich eher an den grossen männlichen Rennfahrern?
Es ist im Motorsport tatsächlich ziemlich schwer, weibliche Vorbilder zu finden. Es gibt nicht so viele erfolgreiche Rennfahrerinnen. Es gab Ellen Lohr, aber die ist Tourenwagen gefahren und nicht im Formel.
Ich habe immer eher zu den Männern aufgesehen, vor allem zu Lewis Hamilton in den letzten Jahren.
Von Lindsey Vonn, die aus dem Skisport kommt, und die für mich auch ein paar männliche Züge hat, Kampfgeist verkörpert, auch gegen Männer fahren wollte und so hart trainiert hat, habe ich mich auch inspirieren lassen und fand sie immer eine super Sportlerin. Nach meinem Unfall hat sie mich extrem motiviert, weil sie selbst oft schwer verletzt war und immer wieder zurückgekommen ist.
Lindsay Vonn dürfte auch von ihrer mentalen Stärke her ein Vorbild sein. Wie wichtig sehen Sie mentale Stärke in Ihrem Sport und ist Training mit Mental Coaches, etwas, das Sie in Anspruch nehmen?
Mentale Stärke ist extrem wichtig. Hier in der Formel 3 fahren 30 Autos und alle sind super eng zusammen. Da kommt es auf die letzten Zehntel an und auf die perfekte Runde. Dass man alles aus den Reifen rausholt, hat mehr mit mentaler Stärke zu tun als mit Talent. Talent haben hier alle.
Ich habe selbst noch nicht mit Mentaltrainern zusammengearbeitet, aber ich denke, je höher du kommst, desto entscheidender wird die mentale Arbeit.
Welche Vorteile sehen Sie bei sich als Frau in einem von Männer geprägten Sport?
Als Frau hat man ein bisschen mehr Aufmerksamkeit durch Medien, weil du eben herausstichst. Aber das hat neben den Vorteilen auch Nachteile. Solange du performst, solange sie denken, dass du gut bist, schreiben alle gute Sachen. Wenn du aber mal nicht ablieferst, dann kann sich das Blatt natürlich schnell wenden.
Sophia Flörsch als Influencerin?
Sie nutzen die Sozialen Medien viel. Ist es schwierig, da die richtige Balance zwischen sportlichem und "anderem" Content zu finden? Sehen Sie sich als Influencerin?
Ich würde mich nicht als Influencerin sehen. Ich mache das, weil es heutzutage extrem wichtig ist, um Sponsoren zu finden. Früher wollten Sponsoren immer aufs Auto, heutzutage sind die Social-Media-Reichweiten sehr viel wichtiger.
Mir macht das aber auch Spass. Das ist keine Qual für mich. Und Youtube mache ich um den Fans zu zeigen, wie mein Leben hinter den Kulissen ist, wie mein Wochenende abläuft, was ich sonst so alles treibe. Wobei das meistens nicht hochprofessionell ist, denn die Videos filmen entweder ich oder mein Papa. Aber es ist authentisch.
Ich bin Sportlerin und mir geht es auch darum der Welt zu vermitteln, dass du dich nicht verändern musst um Motorsport zu betreiben. Sondern, dass du das auch als Frau betreiben und trotzdem Frau bleiben kannst. Mit Nagellack und Schminke im Gesicht, wenn du das magst.
Viele Leute und vor allem viele Mädchen wissen gar nicht, dass du das als Frau machen kannst. Und viele Mütter haben Angst, dass sich ihre Tochter verändern könnte und männliche Züge annimmt. Das ist aber nicht der Fall.
Bei allen Veranstaltungen ist hier alles piccobello sauber, die Autos sind vom Feinsten, die Fabriken, in denen die Teams sind, sind superschön. Da ist so viel Geld im Umlauf, dass wirklich alles top ist. Das hat alles überhaupt nichts mit Schmutz, Öl, Benzin oder Gummi zu tun. Früher hat man vielleicht noch selbst am Auto geschraubt, das ist heute komplett anders, professionell.
Das möchte ich zeigen. Damit auch Leute, die nichts mit dem Motorsport zu tun haben, mir folgen und sagen: Sofia Flörsch ist eine Person, die sich in der Männerwelt durchsetzt – ohne sich verändern zu müssen.
Dieses Thema, diese Vorurteile gegenüber dem Motorsport, die ihn immer noch für viele Mädchen uninteressant machen, liegt Flörsch offensichtlich am Herzen. Sie redet sich dabei fast in Rage. Es ist ihr ein Anliegen, ihre persönliche Botschaft: Frau sein und Autorennen fahren, das schliesst sich nicht aus. In dieser Hinsicht kann man von ihr dann vielleicht doch als Influencerin sprechen.
Um nochmal aus der Mutterperspektive zu sprechen: Mit Dreck hätte ich kein Problem. Wenn es darum geht, sich in einer solchen von Männer dominierten Sportart durchzusetzen, würde ich mir viel eher um die Thematik sexuelle Belästigung oder Ähnliches Gedanken machen.
Es ist eine Männerwelt, und du musst dich durchsetzen und ein dickes Fell haben, was du dir aber aneignest über die Jahre. Klar, wenn du ein schüchternes Mädchen bist, das sich, wenn Männer in der Umgebung sind, noch schüchterner verhält, dann ist es schwer. Aber unterm Strich ist es so, dass ich mit vier Jahren angefangen habe und es war mir scheissegal, ob ich gegen Jungs oder Mädchen fahre. Und so ging es den anderen Kindern in dem Alter auch. Da war niemandem bewusst, dass das was Komisches ist.
Wir waren alle supergut befreundet, sind zusammen Kart gefahren, danach haben wir wieder zusammen in der Küche Paprika geklaut und dann sind wir zusammengesessen und haben über die neuesten Pokemon-Sachen geredet. Das waren Freundschaften.
Und klar, je älter du wirst, desto seriöser wird es. Aber dann sind es auch eher die Väter, die ihren Jungs irgendwann sagen, dass es nicht normal ist, dass da ein Mädchen mitfährt. Es sind die Väter, die Druck machen auf ihre Söhne. Aber den Jungs selbst ist das eigentlich schnurz.
Das ist auch jetzt noch so. Ich werde respektiert. Klar gibt es immer Leute, seien es Fans oder Leute, die im Motorsport zu tun haben, die mal anzüglich – oder vielleicht auch nicht anzüglich, aber zumindest nicht respektvoll einer Frau gegenüber auftreten. Aber das ist ja nicht nur im Motorsport so, sondern ein generelles Problem.
Damit kommst du irgendwann klar - oder halt nicht. Bisher ist bei mir noch nichts Schlimmes vorgefallen – obwohl es eine Männerwelt ist. Zwar gibt es ab und zu mal irgendwelche Geschichten, die absoluter Bullshit sind, aber da musst du drüberstehen. Und eigentlich macht es dich nur noch stärker und viel reifer – auch im Vergleich zu den Schulkameradinnen und –kameraden.
Ihr schwerer Unfall hat Sie 2018 schon einmal zurückgeworfen auf Ihrem Weg in die Formel 1. Hat die Coronakrise nun einen ähnlich bremsenden Einfluss?
Ja, schon ein bisschen. Klar, unsere Saison hat stattgefunden, wenn auch alles ein bisschen verändert. Es war alles super eng zusammengewürfelt, es gab viele Überschneidungen, aber immerhin hat alles stattgefunden.
Ein Faktor sind aber definitiv die Sponsoren. Um den Sport machen zu können, braucht man im Nachwuchsbereich leider sehr viel Geld. Und wenn man es nicht von der eigenen Familie hat, braucht man Sponsoren. Und die sind gerade aufgrund der Coronakrise noch schwerer zu finden als sonst.
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