Die Tierschutz-Organisation PETA hat harsche Kritik geübt, nachdem der internationale Reitsportverband FEI 2023 neun verstorbene Pferde bei Vielseitigkeitsturnieren vermeldet hat. Die Tierschützer fordern das Aus für den Reitsport. Wir haben mit PETA-Fachleiter Peter Höffken über den Kampf für den Pferdeschutz gesprochen.
Herr Höffken, die Tierschutz-Organisation PETA hat die Vielseitigkeit einmal mehr harsch kritisiert: Wie ist denn eigentlich das Feedback auf so eine Kritik?
Peter Höffken: Hier müssen wir unterscheiden zwischen verschiedenen Interessengruppen. Zum einen gibt es die Reitsportverbände, die ein wirtschaftliches Interesse daran haben, dass es solche Veranstaltungen weiterhin gibt. Und es gibt die Öffentlichkeit. Und da sehen wir grosse Diskrepanzen. Die Öffentlichkeit ist überwiegend tierfreundlich eingestellt. Da herrscht ein grosses Verständnis für Kritik an Missständen. Die Verbände versuchen uns teilweise zu diskreditieren, indem sie uns eine Wissenschaftlichkeit oder eine Ernsthaftigkeit absprechen. In diesem Spannungsfeld befinden wir uns und sind froh, dass es seitens der Öffentlichkeit eine gute Resonanz gibt.
Wie emotional werden die Diskussionen geführt?
Es ist sehr wichtig, Emotionalität herauszunehmen und sich mehr der Sachlichkeit zu widmen. Denn wenn wir weiterkommen wollen, dann brauchen wir einen sachlichen Hintergrund. Es ist wichtig, einerseits traurige Bilder zu zeigen, sofern sie verfügbar sind. Es ist auch wichtig, deutliche Worte zu finden. Aber dann muss man sachlich über das Thema sprechen, um die Missstände ganz klar zu benennen und anzugehen.
PETA fordert Verzicht auf Vielseitigkeits-Turniere
PETA fordert aktuell bei der Vielseitigkeit, auf die Austragung der Turniere zu verzichten oder nicht daran teilzunehmen. Wie effektiv sind solche radikalen Forderungen? Muss es radikal sein, damit man gehört wird?
Die Forderungen mögen radikal erscheinen, wenn man es jahrzehntelang gewohnt ist, dass mit Tieren so umgegangen wird. Aus unserer Sicht sind diese Forderungen überhaupt nicht radikal. Denn wenn es eine Sportart gäbe, bei der Menschen reihenweise zu Tode kämen, die womöglich auch noch dazu gezwungen würden, an der Sportart teilzunehmen, dann würde es niemandem radikal vorkommen, diese Sportart sofort zu verbieten. Im Endeffekt ist es die Normalität, dass man etwas, das bei vielen Lebewesen so grosses Leid verursacht, abstellen möchte.
Wie läuft denn in dem Zusammenhang der Dialog mit den Verbänden ab?
Es gibt einen Austausch, aber irgendwann sind die Positionen ausgetauscht. Und dann merkt man einfach, dass man nicht weiterkommt. Denn es gibt eine Branche, die darauf fusst, Tiere auszubeuten. Und diese Branche will, weil sie davon lebt, auch nicht davon ablassen. Und dann bringt es auch relativ wenig - das haben wir versucht - über kleinere Verbesserungen zu diskutieren. Und es wird von Gesprächspartnern teils ziemlich schnell dicht gemacht.
Gibt es da ein konkretes Beispiel?
In den Niederlanden sind Peitschenschläge bei Pferderennen verboten worden. In Deutschland haben sich die Verbände ein eigenes Reglement erarbeitet, in dem stand, dass unter bestimmten Kriterien fünf Peitschenschläge erlaubt sind. Wir haben bei den Rennsportvereinen Druck gemacht, haben Strafanzeigen gestellt und auf das Verbot im Nachbarland hingewiesen. Das hat für ziemlich viel Wirbel gesorgt. Und die Reaktion? Es gibt ein neues Regelwerk: Ab jetzt sind nur noch drei Peitschenschläge erlaubt. Doch warum sind fünf schlecht, aber drei werden noch erlaubt? Das ist nicht in Ordnung. Doch insgesamt kommt von den Verbänden nicht viel an ernsthafter Bereitschaft, etwas zu ändern.
Stecken die Diskussionen also generell in einer Sackgasse?
Ja, genau. Die Branche will sich nicht ändern. Sie will an ihrem unserer Auffassung nach tierquälerischen Verhalten festhalten. Und wenn wir an so einem Punkt angelangt sind, dann braucht es öffentlichen Druck, dann braucht es politischen Druck, dann braucht es Gesetze. Und es ist unser Ansatz, dass wir vermehrt auf die Politik zugehen und uns an die Öffentlichkeit wenden, damit von dort der Druck kommt.
Wie erfolgreich verlaufen die Gespräche mit der Politik?
Wir haben eine schwierige Gemengelage innerhalb der Ampelkoalition. Es gibt zwar Kräfte innerhalb der Ampel, die für mehr Tierschutz sind und auch gerne viel, viel mehr Themen adressieren würden, wie beispielsweise auch den Pferdeschutz. Aber dann gibt es Parteien wie die FDP, die in Sachen Tierschutz eine Bremse ist. Mit der Bekanntgabe des neuen Tierschutzgesetzes in den nächsten Tagen oder Wochen werden viele Themen adressiert werden, aber es ist leider immer noch viel zu wenig, vor allem beim Pferdeschutz. Und das wissen natürlich auch die Verbände. Und die haben daher keinen Druck, sich zu bewegen.
Es sind in der Vergangenheit aber Verbesserungen vorgenommen worden, wie zum Beispiel durch die Reiterliche Vereinigung. Wie bewertet PETA diese Anstrengungen, mehr für das Tierwohl zu machen?
Wir beobachten diese Entwicklungen ganz genau. Der Hauptverband für Traberzucht hat zum Beispiel eingeführt, dass eine Peitsche nur noch in Notfällen eingesetzt werden darf. Das haben wir dementsprechend auch gelobt. Viele Veränderungen sind aber im kosmetischen Bereich, sie ändern nichts an dem System der Tierausbeutung. Das ist oft viel zu wenig. Es müsste klare Verbote geben, dazu auch viel strengere Dopingkontrollen. Und es wird immer noch mit sehr, sehr jungen Pferden geritten, die sich noch im Wachstum befinden. Das ist auch ein langjähriger Kritikpunkt.
Wie reagieren denn Reiter in den Gesprächen über das Problem des Tierwohls?
Mein Gefühl ist, dass sie in einer eigenen Bubble leben. Und ich bin mir gar nicht so sicher, wie viel Kritik überhaupt an sie herankommt. Deswegen mussten wir in den letzten 18 Monaten die Gangart ein bisschen verschärfen, indem wir auch sehr viele Reiter konkret angezeigt haben, wenn im Galoppsport auf der Zielgeraden auf Pferde regelrecht eingeschlagen worden ist.
Was hat das gebracht?
Teilweise wurden daraufhin Bussgeldverfahren gegen die Reiter eingeleitet und teilweise laufen die Strafanzeigen noch. Zum Teil sind die Verfahren aber auch eingestellt worden.
Was wäre für PETA im Kampf um das Tierwohl denn ein realistischer Erfolg?
Wir nennen das lieber 'einen Schritt in die richtige Richtung'. Ein Teilerfolg wäre zum Beispiel, wenn sämtliche Peitschenschläge über alle Disziplinen hinweg verboten würden. Sehr problematisch ist auch das Zaumzeug, wenn damit Druck im Pferdemund ausgeübt wird, um das Pferd komplett zu kontrollieren. Die Pferde werden teilweise über Schmerzen gezwungen, bestimmte Dinge zu tun. Das wäre ein Punkt, der unbedingt gesetzlich geregelt werden muss.
Würden sie das Gefühl bestätigen, dass die Missstände die Öffentlichkeit inzwischen mehr interessieren?
Das sehe ich auch so, aber wir arbeiten auch hart daran, solche Sachen öffentlich zu machen. Wir haben zum Beispiel eine sehr starke Social-Media-Präsenz. Wenn wir da mit einem bedrückenden Video oder einem bedrückenden Foto mehrere hunderttausend Leute erreichen, dann hat das eine gewisse Wirkung. Das Bewusstsein bei den Menschen muss weiter geweckt werden. Das ist der erste Schritt in die Richtung, damit sich etwas verbessern kann.
PETA fordert Pferdesport-Aus für Olympische Spiele
In diesem Jahr stehen die Olympischen Spiele an, mit Disziplinen wie Vielseitigkeit, Springen, Dressur oder Moderner Fünfkampf, bei dem Änderungen vorgenommen wurden. Dann werden die Diskussionen wieder emotional geführt werden…
Zunächst einmal ist es sehr schön, dass der Moderne Fünfkampf zum letzten Mal als Disziplin mit Pferden ausgeführt wird. Die traurigen Szenen, die wir bei den letzten Olympischen Spielen gesehen haben, führten dazu. Und das ist typisch: Erst wenn die Probleme ganz offensichtlich und prägnant auftreten, wenn wirklich keiner mehr wegschauen kann, ist der Mensch offenbar zu tiefgreifenden Änderungen bereit. Nichtsdestotrotz ist unsere ganz klare Forderung, dass der Pferdesport komplett aus Olympia verschwinden muss. Wir sind alles andere als glücklich darüber, dass der Pferdesport in Paris wieder gefeiert werden wird. Wir werden natürlich versuchen, den Leuten anhand der Vorfälle, die wir leider zu erwarten haben, die Augen zu öffnen.
Die Öffentlichkeit ist sensibilisierter, aber es sitzen dann wohl trotzdem wieder Millionen vor dem Fernseher, fiebern mit und feiern die Erfolge. Wie erklärt man diese Diskrepanz?
Das ist Teil des problematischen Systems, mit dem wir jeden Tag zu kämpfen haben und bei dem wir uns auch immer wieder neue Dinge überlegen müssen, um Themen ins Blickfeld zu rücken, über die keiner spricht. Da haben wir ein grosses Repertoire an Methoden, damit die Menschen mit der Wahrheit konfrontiert werden.
Ist der wirtschaftliche Aspekt das grösste Problem in der ganzen Gemengelage?
Mein persönlicher Eindruck ist, dass es wirtschaftlich ein Problem ist, dass sehr viel Druck dahintersteckt. Es geht aber auch sehr viel um falsch verstandenen Ehrgeiz, um Prestige, um Ansehen. Nach dem Motto: Mein Reitstall, mein Pferd. Und deshalb wird versucht, immer mehr aus den Pferden herauszuholen. Die Probleme im Pferdesport sind nicht nur in den Top-Turnieren zu finden, denn den Ehrgeiz sehen wir auch auf kleineren Turnieren, die kaum mit Preisgeldern dotiert sind, wo aber die Pferde trotzdem teilweise misshandelt werden.
In Deutschland besitzen rund eine Million Menschen ein Pferd. Wie tiefgreifend sind die Probleme mit dem Pferdewohl?
Beim Freizeitreiten wissen wir aus vielerlei Schilderungen oder Erfahrungen, dass es auch dort grosse Probleme gibt. Beispielsweise mit der Boxenhaltung, mit der Versorgung und teilweise auch mit der Ausbildung der Pferde. Dass oft sehr hart mit den Pferden umgegangen wird, um sie als Reitpferd gefügig zu machen. Aber wenn ein verantwortungsvoller Pferdeliebhaber, der sein Pferd auf dem Hof stehen hat, täglich damit ausreitet und das vernünftig abläuft, würden wir nicht einschreiten. Aber wir sagen klipp und klar auch, dass man es sich gut überlegen sollte, ob es wirklich im Interesse des Pferdes ist, wenn man sich auf seinen Rücken setzt. Und es sind bei den Besitzern oft auch Unwissenheit und fehlende Erfahrung im Spiel. Wir fordern zum Beispiel seit Jahren einen Hundeführerschein. Und wir brauchen genauso auch einen Pferdeführerschein.
Über den Gesprächspartner
- Peter Höffken ist Fachleiter des Kampagnenteams bei PETA Deutschland. Er beschäftigt sich seit fast 13 Jahren professionell mit Tieren, die für Unterhaltungszwecke wie Pferderennen, Zirkusse oder Ponykarussells benutzt werden.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.