Nach ihrem schweren Sturz bei der Strassenrad-WM ist Muriel Furrer gestorben. Die Umstände des Unfalls der 18-Jährigen sind nun Gegenstand von Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft. Die WM in Zürich soll dennoch weitergehen – auch auf Wunsch der Familie.
Als Niklas Behrens sein Regenbogen-Trikot überstreifte, war auf dem Züricher Sechseläutenplatz niemand in Partystimmung. Zu Beginn der Ehrung für den neuen U23-Weltmeister aus Deutschland gab es eine Schweigeminute, alle Fahnen wehten auf halbmast. Der Tod der erst 18 Jahre alten Schweizerin Muriel Furrer hat die Titelkämpfe an der Goldküste des Zürichsees in dunkles Licht getaucht.
"Ich habe gar nichts mitbekommen. Ich fuhr voller Freude über die Ziellinie und wunderte mich dann, warum es nach dem Applaus so still war. Dann habe ich es erst erfahren", sagte Behrens. "Es ist immer wieder megakrass, das passiert leider noch viel zu oft. Es war eine Siegerehrung mit gemischten Gefühlen."
Die Show geht - wenn auch gedämpft - weiter. "Die Rennen werden fortgesetzt, das ist der Wunsch der Familie", sagte Olivier Senn vom LOC. Am Samstagmittag steht das Frauenrennen auf dem Programm, am Sonntag starten die Männer. Das Programm rund um die Rennen wird zurückgefahren. Die Siegerehrungen werden in kleinerem Rahmen abgehalten. Die UCI sagte ihre für Samstagabend anberaumte Gala ab.
Experte Kittel: "Das ist so traurig"
Furrer war am Donnerstag während des Juniorinnen-Rennens in einem Waldstück gestürzt und hatte sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen. Einen Tag später erlag sie ihren Verletzungen im Universitätskrankenhaus von Zürich, da lief gerade das U23-Rennen. Die Fahrer waren ohne Funk unterwegs, wussten nichts vom tragischen Schicksal Furrers.
"Das ist so traurig. Mögest du in Frieden ruhen, Muriel. Mein aufrichtiges Beileid an ihre Familie und Freunde", sagte der Ex-Profi und heutige ZDF-Experte Marcel Kittel. "Die Radsport-Welt hat eine Fahrerin mit einer grossartigen Zukunft verloren. Unsere Gedanken sind bei der gesamten Familie und den Freunden von Muriel. Ruhe in Frieden", schrieb das Team Visma um den zweimaligen Tour-de-France-Sieger Jonas Vingegaard auf dem Instagram-Profil von Furrer.
Bewegende Worte von Mäder
Dort hatte sich zuvor Sandra Mäder mit bewegenden Worten gemeldet. Mäder hatte im Juni 2023 ihren Sohn Gino verloren, der einen Tag nach seinem Sturz auf der Abfahrt vom Albula-Pass bei der Tour de Suisse im Alter von 26 Jahren gestorben war.
"Ich fühle so extrem mit Deiner Familie. Sei stark", schrieb Mäder und wandte sich direkt an die Eltern: "Liebe Familie Furrer, ich fühle mit Euch. Ganz intensiv und ich weiss so sehr, wie es Euch jetzt gehen muss. Haltet Euch fest. Ich wünsch Euch ganz viel Kraft, diese Stunden durchzustehen." Nach der Todesnachricht meldete sich Mäder kurz erneut und schrieb: "Gute Reise Muriel."
Spekulationen um späte Rettung
Die WM war am Morgen auch auf Wunsch von Furrers Familie hin fortgesetzt worden. Wie es genau zum Sturz gekommen war, ist noch unklar. Die Untersuchungen laufen.
Bekannt ist, dass Furrer in einem Waldstück auf der Runde auf der Nordseite des Zürichsees zu Fall gekommen war, die in allen Strassenrennen gefahren wird. Die Zeitung "Blick" berichtete von mehr als fragwürdigen Umständen der Rettung. Demnach sei ein Helikopter erst eine Stunde nach Rennende in dem Waldstück gelandet, wo Furrer im Unterholz gefunden worden sein soll.
Organisatoren und Weltverband schweigen dazu. Zum Sturzhergang bezog man keine Stellung, sondern verwies auf die Behörden. "Die Staatsanwaltschaft und die Polizei ermitteln. Es gibt im Moment keine gesicherten Informationen", sagte Senn, der auch Direktor der Tour de Suisse ist. Der genaue Sturzort sei nicht bekannt.
Häufung schwerer Stürze
In der jüngeren Vergangenheit häuften sich schwere Stürze im Radsport. Im Juli war der Norweger André Drege bei der Österreich-Rundfahrt auf der Abfahrt vom Grossglockner gestürzt und ums Leben gekommen. Im Juni 2023 war Mäder auf der Abfahrt des Albula-Passes von der Strasse abgekommen - und später seinen schweren Verletzungen erlegen. Mäders Tod hatte eine Debatte um die Sicherheit im Radsport angestossen.
Seitdem hat sich auch etwas getan. "Die Streckenabsicherung ist deutlich besser geworden, auch die Streckenführung. Man kann das Risiko nicht auf null reduzieren", sagte der deutsche Radprofi Simon Geschke. Der 38-Jährige erklärte, viele Stürze passierten an sehr übersichtlichen Stellen durch Fahrfehler oder andere Einflüsse. Die Fahrervereinigung CPA sei jedoch deutlich einflussreicher geworden und arbeite besser. "Es dauert halt etwas und geht nicht von heute auf morgen", sagte Geschke.
Rundkurs gut für Sicherheit
Für die Sicherheit auf der WM-Strecke, eine 27 Kilometer lange Runde durch das Züricher Umland, bekamen die Organisatoren Lob der Fahrer. "Hier hat man viel gemacht. Viele Verkehrsinseln und Hindernisse wurden abgebaut", sagte WM-Fahrer Maximilian Schachmann. Auch seine deutsche Teamkollegin Franziska Koch hob hervor, dass sich seit der Streckenbesichtigung vor einigen Wochen viel getan hat: "Da stand ab und an noch eine Insel im Weg, doch das ist jetzt alles frei. In der Hinsicht haben sie echt gute Arbeit gemacht."
Dass es sich um einen Rundkurs handelt, macht die WM-Strecke aus den Erfahrungen der Fahrer ebenfalls sicherer. "Wir Fahrer wissen, was auf uns zukommt und können das Risiko besser kalkulieren", sagte Schachmann. Viele Stürze resultieren gerade bei Rundfahrten daraus, dass die Fahrer die Strecke nicht komplett im Detail kennen und Kurven und Gefahrenstellen anders einschätzen.
Auch die Schweizer Sportministerin Viola Amherd zeigte sich betroffen: "Ich bin fassungslos", schrieb die Politikerin bei X: "Den Angehörigen spreche ich mein herzliches Beileid aus. Meine Gedanken sind bei der gesamten Radsport-Familie."
Häufung schwerer Stürze
Furrer galt als aufstrebendes Talent im Schweizer Radsport. Sie war auf dem Strassenrad, dem Mountainbike und im Cyclocross aktiv. Bei der Mountainbike-EM in Rumänien gewann sie im Mai die Bronzemedaille im Team-Wettkampf. Furrer lebte in unmittelbarer Nähe der WM-Strecke und besuchte die United School of Sports in Zürich. (dpa/bearbeitet von best)
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