- Funktionäre wie IOC-Präsident Thomas Bach und FIFA-Chef Gianni Infantino stehen in der Kritik, weil sie ihre Macht ausnutzen und dabei vor allem den eigenen Vorteil im Sinn haben sollen.
- Beide haben den Kontakt zur Basis völlig verloren und sind nicht empfänglich für Kritik, die Unterschiede zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung sind riesig.
- Was macht Macht mit Menschen? Wir gehen mit dem Sportpsychologen Matthias Herzog der Frage nach.
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Die Ironie der Geschichte: Unter Bach sind die Spiele heute ebenfalls zu einem Spielball der Politik geworden. Mit dem 68-Jährigen als Alleinherrscher. Der ehemalige Fechter und Mannschafts-Olympiasieger von 1976, der sich Ende der 1970er Jahre vehement für die Belange der Sportler einsetzte, ist seit 2013 an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) – und damit der mächtigste Mann im Weltsport.
Seitdem steht er im Zentrum der Kritik, immer wieder heisst es, er ziehe wirtschaftliche Interessen den Idealen des Sports vor. "Höher, schneller, weiter" – das olympische Motto hat das IOC längst selbst zum eigenen Vorteil verinnerlicht. Dafür tritt man die olympischen Werte mit Füssen, heisst es immer wieder, denn Respekt, Freundschaft und Fairness bleiben dabei in vielen Fällen auf der Strecke. Wie zum Beispiel 2021, als die Sommerspiele in Tokio trotz Corona und gegen sämtliche Bedenken durchgezogen wurden.
Vom Athletensprecher zum Strippenzieher
Immer im Mittelpunkt: der IOC-Boss. Vom Mann der Basis zum – so der Vorwurf - skrupellosen Strippenzieher und egozentrischen Machtmenschen. Bei den Spielen in Peking lieferte Bach seinen Kritikern wieder jede Menge Futter. So schweigt er zu Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland, betont, Olympia sei unpolitisch. Oder er lässt sich für die Inszenierung eines Auftritts der wochenlang verschwundenen Tennis-Spielerin Peng Shuai vor den chinesischen Karren spannen.
Seine Rede bei der Eröffnungsfeier kritisierte Wenzel Michalski, Chef von Human Rights Watch Deutschland, im ZDF als "völlig verlogen". Michalski hatte bereits zuvor im Deutschlandfunk einen Rücktritt Bachs und weiterer Funktionäre gefordert, um "einer neuen Generation von menschenrechtsbewussten Funktionären das Feld" zu überlassen.
Die grosse Frage dabei: Wie konnte es so weit kommen? Oder anders gefragt: Was macht Macht mit Menschen? "Macht ist eines der wichtigsten Lebensmotive, die es gibt", erklärt der Sportpsychologe Matthias Herzog im Gespräch mit unserer Redaktion. "Menschen mit Macht wollen immer gewinnen, wollen vorne stehen und alles kontrollieren. Macht hat auch mit Emotionen zu tun, und diese Menschen versuchen dann alles Mögliche, um ihren Status zu sichern."
Um das zu schaffen, seien ihnen teilweise alle Mittel recht, weil das rationale Denken durch das Machtbestreben und die Emotionen teilweise abgeschaltet werde, erklärt Herzog: "Da verliert man auch oft das eigentliche Ziel aus den Augen." Und vergisst dann auch mal die gute Kinderstube. "Egoistische Arschlöcher" nennt der Experte diese Machtmenschen, die - bildlich gesprochen – über Leichen gehen. Erfolg um jeden Preis sozusagen.
Bach ist keine Ausnahme
Dabei ist Bach keine Ausnahme, auch führende Funktionäre wie zum Beispiel Gianni Infantino, Präsident des Fussball-Weltverbandes oder der Präsident des Europäischen Fussball-Verbandes (UEFA), Alexander Ceferin, müssen sich mit Vorwürfen ähnlicher Art auseinandersetzen. Auch bei ihnen ist das Motto "Höher, schneller, weiter" meist von Profit, Egoismus und Machtstreben getrieben.
Was man sich automatisch fragt: Warum klafft so eine grosse Lücke zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung? Warum wird Kritik weggewischt oder gar nicht erst beachtet? Herzogs Urteil ist vernichtend. Denn Machtmenschen interessieren sich weder für andere noch für die Meinungen anderer. "Weltmacht mit drei Buchstaben? Ich! Sie sind nicht Gott, sie sind Gottvater. Sie haben teilweise den Bezug zur Realität völlig verloren, Egoismus und Selbstvertrauen ist so stark ausgeprägt, dass für sie alles möglich erscheint", sagt Herzog.
Sie stellen sich dann nicht die Frage ob, sondern wie etwas geht. "Sie können mit Kritik nicht gut umgehen, können andere aber gut kritisieren, und werden schnell verletzend. Solche Menschen machen auch keine Fehler, denn Fehler sind in ihren Augen Schwächen", sagt Herzog. Dabei sei es eine der grössten Stärken, Fehler einzugestehen, erklärt der Sportpsychologe. Das Problem: "Sie sehen oder merken in ihrer eigenen Wahrnehmung selbst gar nicht, dass sie Fehler machen."
Nicht zwangsläufig negative Auswirkungen
Nun ist es kein Automatismus, dass Menschen an der Macht einen schwierigen Charakter haben müssen oder dass Macht immer nur negative Auswirkungen hat oder für zweifelhafte Motive genutzt wird. Im Gegenteil. Je nachdem, wie man gestrickt ist, welche Persönlichkeitsstruktur dominant ist, kann man in der Position auch Gutes tun.
Experte Herzog betont allerdings, dass der Weg zum Grossteil vorgezeichnet ist. Dass die Grundlagen dafür also gegeben sind, was Macht mit einem Menschen macht, denn "Menschen zeigen unter Stress ihr wahres Gesicht, ihren wahren Charakter, und Macht hat auch mit Stress zu tun", sagt Herzog. Man könne also weniger verdecken, erklärt der 44-Jährige: "Es zeigt sich mehr das wahre Ich hinter der Maske. Es ist aber auch so, dass Macht Menschen verändert, oft leider zum Negativen." Denn wenn man dauerhaft etwas komplett gegen seine Werte mache, zerbreche man daran, hätte ein schlechtes Gewissen, sagt Herzog: "Das ist Menschen wie Bach oder Infantino in keiner Weise anzusehen."
Effekthascherei mit deutschen Rodlern
Stattdessen hat Bach zum Beispiel scheinbar kein Problem damit, das Rodler-Duo Tobias Wendl und Tobias Arlt für ein Foto "auszunutzen". Auch die Zweitplatzierten Sascha Benecken und Toni Eggert mussten herhalten.
"Über die Glückwünsche von ihm (Bach, Anm.d.Red.) habe ich mich nicht gefreut", sagte Wendl der "Bild". Bach habe sich einfach dazu gestellt, ein Foto gemacht und dann sei er wieder weg gewesen. "Das war einfach nur Show!", ärgert sich Wendl. "Eine komische Situation nach den ganzen Vorfällen."
Für Herzog gehört das zu einem Machtmenschen dazu. "Als IOC-Präsident hat er eine ganz andere Chance, wahrgenommen zu werden, und das weltweit. So ein Foto ist Effekthascherei – er will mit allen Mitteln im Mittelpunkt stehen."
Dass dies möglich ist, dazu gehören bei Machtmenschen laut Herzog nicht nur Eigenschaften wie "eine hohe Risikobereitschaft, eine hohe Entscheidungsstärke, Führungsverantwortung und ein grosses Selbstvertrauen", sondern auch die passenden Strukturen.
Jens Sejer Andersen: "Der perfekte Führer eines Einparteienstaates"
"Thomas Bach wirkt wie der perfekte Führer eines Einparteienstaates. Ich denke, wenn man die olympische Bewegung mit irgendeiner Art von politischer Organisationsform oder Institution vergleichen will, ist es dieser Einparteienstaat – oder der Vatikan und die katholische Kirche", sagte Jens Sejer Andersen, Gründer und Direktor für Internationales der Organisation "Play the Game", beim WDR-Magazin "Sport Inside". "Sie haben gemeinsam, dass der oberste Führer absolute Macht hat und niemand es wagen wird, über problematische Themen zu sprechen, weil sie wissen, dass es früher oder später auf sie zurückfallen wird", sagte er.
Das bestätigt Herzog, der Bach als "Diktator, der alle Möglichkeiten in der eigenen Hand" hat, sieht. Eine Grundvoraussetzung. "Je höher du kommst, desto mehr sind diejenigen ausgeschaltet, die das wahre Interesse an der Sache haben. Die bleiben auf der Strecke", sagt Herzog.
Ebenso wie die Sportler, erklärt Herzog, "denn die sind sowieso das schwächste Glied in der Kette". Selbst bei einem IOC-Präsidenten, der mal einer von ihnen war.
Verwendete Quellen:
- deutschlandfunk.de: Menschenrechte im Sport - Michalski: "IOC-Präsident Thomas Bach müsste zurücktreten"
- zdf.de: Human Rights Watch: Bach-Rede "völlig verlogen"
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