Nachdem die NFL jahrelang bei "ran" zu sehen war, hat sich zur aktuellen Saison RTL die Rechte gesichert. Wir haben uns die erste Sonntagabend-Übertragung des Senders angeschaut und neben Football, Fachbegriffen und Floskeln vor allem eins gesehen: viel Liebe zum Sport.
Fliegender Wechsel im TV: Während im vergangenen Jahr noch "ran" auf ProSieben die NFL im deutschen Fernsehen übertragen hatte, hat sich zur kommenden Saison RTL die Rechte gesichert. Aber keine Angst: Viele bekannte Gesichter, darunter "Coach" Esume und Ex-NFL-Spieler Björn Werner, haben den Umzug mitgemacht und sind nun für RTL am Start.
Apropos Start: Den haben wir bei RTL schon in der Nacht von Donnerstag auf Freitag gesehen, als die toughen Detroit Lions den amtierenden Champ aus Kansas City in deren eigenem Stadion geschlagen haben. Das knappe Ergebnis von 21:20 war ein toller Auftakt, daran will RTL mit der Hauptsendung am ersten Footballsonntag der Saison nahtlos anknüpfen.
Dafür bieten die Kölner gleich zwei absolute Schwergewichte der Szene auf: Sport-Urgestein
Die Crew, die ab 19 Uhr – die Vorberichte bei RTL+ beginnen um 18.15 Uhr – aus dem neuen, schmucken Kölner Studio sendet, bekommt auf dem Papier ein Topspiel vorgesetzt: Die Cincinnati Bengals um Star-Quarterback Joe Burrow, vor zwei Jahren im Super Bowl denkbar knapp den L.A. Rams unterlegen, bekommen es mit den massiv verstärkten Cleveland Browns zu tun. Bei denen schwingt der nach einer sehr hässlichen Affäre um zig Fälle von sexueller Belästigung in Ungnade gefallene Quarterback Deshaun Watson das Zepter. Ein Duell innerhalb der AFC North zwischen Teams, die sich berechtigte Hoffnungen auf die Divisionskrone machen – da hätte RTL es bedeutend schlechter treffen können.
Das Duo Buschmann/Vollmer harmoniert prächtig
Entsprechend gross ist die Vorfreude im Studio. Schnell wird klar: Buschmann und Vollmer liefern einen souveränen Auftritt ab, vor allem Letzterer glänzt mit dem über viele NFL-Jahre erworbenen Fachwissen. Der emotionale Moderator und der hin und wieder ein bisschen spröde wirkende Ex-Profi harmonieren prächtig und ergänzen sich toll. Beiden ist die Liebe zum Sport in jeder Sekunde anzumerken. Schön: Die bei "ran" oft etwas zu dick aufgetragene Blödelei ist auf ein angemessenes Mass reduziert worden, wobei Vollmer in dieser Kategorie eh nicht unbedingt zu den üblichen Verdächtigen zählt.
Die Moderatoren schaffen es gut, auf der einen Seite Neulinge und auf der anderen NFL-Veteranen bei der Stange zu halten: Sie erklären einige Football-Begriffe ("Bunch Formation" etwa), aber nicht zu viele – so wird neuen Zuschauern der Einstieg erleichtert und alte Hasen werden nicht vergrault.
Als sich der rechte Tackle der Browns, Jack Conklin, massiv das Knie verdreht und vor Schmerzen am Boden windet, spielt Vollmer seine Stärke aus: die Erfahrung. Er erzählt, dass Linemen "tough as nails" sind; wenn da einer liegen bleibe, dann habe der sich wirklich verletzt. Und wer sollte das besser beurteilen können als Vollmer, der jahrelang für Superstar Tom Brady geblockt und sich dabei zigmal verletzt hat.
Er erzählt auch aus eigener Erfahrung, wie es für Familie und Freunde des Verletzten ist, dass sie erst mal nichts zum Gesundheitszustand des Unglücklichen und dem Grad seiner Verletzung erfahren. Spannende Einblicke hinter die Kulissen des Sports und ein Beispiel für die Expertise, die Vollmer mitbringt und welche die Sendung ungemein aufwertet. Nicht so schön: RTL zeigt die Verletzung von Conklin immer wieder in Zeitlupe, das muss man den Zuschauern nicht unbedingt zumuten.
Ein bisschen Denglisch gefällig?
Apropos "tough as nails": Was einem sofort ins Auge, nein ins Ohr springt, ist Vollmers allgegenwärtiges Denglisch. Freilich, das lässt sich bei einer Football-Übertragung nicht gänzlich vermeiden. Wenn er aber mit "it matters", "gepressed" und "motion" um die Ecke kommt und Buschmann "weather conditions" zum Besten gibt, ist das für deutsche Zuschauer bisweilen schwer zu verdauen.
Das fällt auch Buschmann selbst auf: "Sebastian, das ist deutsches Fernsehen!", rügt er seinen Nebenmann mit einem breiten Grinsen. Woraufhin Vollmer schuldbewusst "‘tschuldigung" murmelt, nur um kurz darauf wieder "right now" statt "jetzt gerade" zu sagen. 'Nevermind, Sebastian!', möchte man dem ehemaligen Offensive Tackle der New England Patriots zurufen, verzeiht man ihm diese Ausrutscher angesichts seiner sonst tadellosen Performance doch gern.
Das Spiel kann mit der Moderation der NFL-Crew nicht mithalten
Das Spiel kann mit der im Grossen und Ganzen sehr guten Moderation der RTL-Crew nicht Schritt halten und ist in weiten Teilen richtig mies. Zur Halbzeit steht es 10:0 für die Browns, die Leistung der beiden Quarterbacks Joe Burrow und Deshaun Watson ist unterirdisch.
Das liegt zum Teil sicherlich an den von Buschmann angemerkten "weather conditions", es regnet in Strömen. Doch das ist nicht die einzige Erklärung: Burrow hat die komplette Vorbereitung mit einer hartnäckigen Wadenverletzung verpasst, was Buschmann auch immer wieder anmerkt, und wirkt nicht fit. Die sonst so beeindruckende Chemie mit seinen Top-Receivern Ja‘Marr Chase und Tee Higgins ist wie weggeblasen, Burrow macht keinen sonderlich mobilen Eindruck und generell kein gutes Spiel. Die starke Defense der Browns tut ihr Übriges dazu.
Watson dagegen, den RTL als einen der besseren Quarterbacks der Liga zu präsentieren versucht, war – ganz im Gegenteil – in der vergangenen Saison einer der schlechtesten Spielmacher der Liga. Nachdem er eine lange Sperre wegen der angesprochenen Geschehnisse abseits des Feldes abgesessen hatte, war er kaum noch als der Top-Quarterback aus seinen Houston-Texans-Zeiten wiederzuerkennen.
Das scheint Buschmann und Vollmer aber nicht zu stören, auf Watsons katastrophale Vorsaison, in der er zuweilen den Ball nicht von seinem Helm zu unterscheiden vermochte, gehen die beiden in der RTL-Übertragung kaum ein. Und mit dem Duell zweier Top-Quarterbacks lässt sich schliesslich besser werben als mit dem Duell zwischen einem Top- und einem Bottom-Five-Quarterback.
Gestern allerdings reicht den Browns eine durchschnittliche Leistung von Watson, die bärenstarke Defense erstickt die Angriffsbemühungen der Bengals im Keim. Spätestens in der zweiten Hälfte ist offensichtlich: Joe Burrow kämpft nicht nur gegen Star-Defensive-End Myles Garrett und die starke D-Line der Browns, sondern auch mit seiner Wadenverletzung. "Die Frustration ist absolut da, die Chemie stimmt nicht", analysiert Vollmer richtigerweise. Für Cleveland gilt: Mit einer so starken Verteidigung dürfte das Team um die Krone in der AFC North mitspielen.
Buschmann ist Buschmann und der Netman ist überflüssig
Zurück zur RTL-Football-Crew: Frank Buschmann wäre nicht Frank Buschmann, wenn er nicht wieder den ein oder anderen Spruch raushauen würde: Ein Receiver "kriegt den Ball aufs Brustbein gehämmert", er wartet auf "den grossen Brustlöser" und er lässt die Zuschauer in bestem Deutsch wissen, dass Burrow Probleme bekomme, "wo er mit den Beinen Schritte machen muss".
Man fragt sich, womit der ohnehin schon wadengeplagte Joe Burrow denn dann Schritte machen soll, wenn er die Beine nicht benutzen darf, aber geschenkt. Generell liefert Buschmann, dessen laute und mitunter arg schrille Art nicht jedem gefällt, gute Arbeit ab und ist für seine Verhältnisse wohltuend sachlich und zurückhaltend.
Ebenfalls wohltuend: Die mehr oder weniger nervigen Einlagen des Netman aus "ran"-Zeiten sind Geschichte. Die Auftritte sind sogar so selten, dass Buschmann einmal besorgt "Was ist eigentlich mit Mitja?" fragt. Als Netman-leidgeprüfter NFL-Fan kann man es nur voll Erleichterung sagen: nicht viel. Das ist gut so.
Die lustig gemeinten Einspieler von Zuschauern in Trikots oder Haustieren oder Snacks sind bei RTL auf ein Minimum reduziert. Aber selbst dieses Minimum ist mitunter noch zu viel. Wenn Lafere davon spricht, dass ein Heissluftballon fliegt, Buschmann ihn sofort korrigiert ("der fährt") und der Netman sich das dann tatsächlich aufschreibt, um es nicht zu vergessen – ob witzig gemeint oder nicht: In einer seriösen Sport-Berichterstattung, die der Kölner Sender ja anbieten will, wirkt das deplatziert. Der Netman war bei "ran" überflüssig und ist es auch hier, los werden wir ihn aber wohl nicht mehr.
Schlimmer als Werbepausen: Die Vorschau auf die anderen RTL-Sendungen
Nervig ist auch die bei RTL traditionsgemäss omnipräsente Werbung. Man ist als Zuschauer doch irritiert, wenn RTL im dritten Viertel aus dem laufenden Spiel heraus eine Werbung für Check24 einspielt. Aber gut: Wer sich an die Box-Übertragungen des Senders zu den besten Klitschko-Zeiten erinnert, als jede einzelne Pause zwischen den Runden von Gong zu Gong mit Werbung vollgestopft war, wird die Unterbrechungen der NFL-Sendung für gar nicht mal so schlimm halten. Werbung gehört zum Football dazu wie der Ball, da lässt sich nichts machen.
Schlimmer als die häufigen Werbepausen an sich ist eigentlich nur die Vorschau auf die anderen hochkarätigen Produktionen von RTL, "Lego Masters" etwa oder die mit deutschen C-Prominenten gespickte Sendung "Die Verräter".
Eine gelungene Premiere
Fazit zum ersten Football-Sonntag auf RTL: Die Sendung ist kurzweilig, die Protagonisten sind in guter Form und bieten eine schöne Mischung aus Unterhaltung und Expertise. Aussetzer kommen kaum und Gemeinplätze selten vor, etwa wenn Buschmann und Vollmer zwei Minuten vor Schluss beim Stand von 3:24 "Das Spiel ist durch" konstatieren. Wirklich wahr, ein Glück, dass es Experten gibt – darauf wäre Ottonormalzuschauer kaum von allein gekommen. Doch Floskeln wie diese sind zu selten, als dass sie wirklich stören würden.
Unter dem Strich ist die Übertragung ein voller Erfolg für RTL: Eine weitgehend fehlerlose Moderation von Jana Wosnitza, der man einen Verhaspler kurz vor Ende der Übertragung gern verzeiht, sympathische Expertise von Frank Buschmann und Sebastian Vollmer, die als Gespann exzellent harmonieren, und mit Mitja Lafere ein Netman, den man kaum sieht: So sieht eine gelungene Premiere des neuen Football-Flaggschiffs am Sonntag aus, das sich durch den deutlicheren Fokus auf das Sportliche in kleinen, aber wichtigen Punkten von "ran" unterscheidet.
Einzig das Spiel wird den Erwartungen in keiner Weise gerecht – aber das kann man RTL ja kaum vorwerfen.
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