Als jüngster Gewinner des Wimbledon-Turniers ist Boris Becker praktisch jedem Deutschen ein Begriff. Doch sieben Jahre nach diesem historischen Triumph holt der ewige Leimener 1992 in Barcelona auch Olympia-Gold - an der Seite eines Mannes, den er damals nicht leiden konnte. Beide finden seitdem keine Zeit für ein gemeinsames Abendessen.
Boris Beckers Wimbledon-Geschichte ist hinlänglich bekannt und tausendmal erzählt worden: 1985 gewann der damals erst 17-jährige Rotschopf aus Leimen das bedeutendste Tennisturnier der Welt als bis heute jüngster Spieler. 1986 bestätigte
Michael Stich gewann das bis heute einzige rein deutsche Herren-Endspiel in Wimbledon mit 6:4, 7:6 und 6:4. Ein schwerer Schlag für Becker. "Wir konnten uns nicht gut leiden", schilderte Becker vier Tage vor der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris, was sich damals in Barcelona zutrug.
Im Rahmen einer vom Sender Eurosport organisierten Presserunde sagte Becker gegenüber unserer Redaktion: "Wir waren grosse Rivalen, auf und neben dem Platz. Es war ein Husarenritt von Niki Pilić [damals Teamchef des DTB, Anmerk.d.Verf.], uns zusammenzubringen. Gemeinsam waren wir stärker." Stich war im Einzel-Wettbewerb bereits in der zweiten Runde an seinem Landsmann Carl-Uwe Steeb gescheitert. Für Becker kam das Aus im Achtelfinale in vier Sätzen gegen den Franzosen Fabrice Santoro. "Es blieb nur unsere gemeinsame Doppel-Leistung."
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In einem Interview mit unserer Redaktion im Jahr 2023 schilderte Stich es so: "Nachdem wir beide im Einzel schnell ausgeschieden waren, war klar: Wir müssen jetzt alles in dieses Doppel legen, und persönliche Differenzen haben da keinen Platz. Wir haben uns zusammengerauft und dem gemeinsamen Ziel alles untergeordnet – und sind beide sehr glücklich, dass am Ende eine Goldmedaille dabei herausgesprungen ist."
Statt viermal nur einmal bei Olympia
Voller Stolz verweist Becker im Rückblick auf die Kontrahenten, die Stich und er auf dem Weg zum Gold eliminierten. Im Viertelfinale "in Spanien gegen das damals weltbeste Doppel aus Spanien, Sergio Casal und Emilio Sanchez." Das Match ging über fünf Sätze. Auch das Halbfinale gegen die argentinische Paarung Javier Frana und Christian Miniussi geriet zum Tennis-Krimi. Wieder setzten sich Becker und Stich in fünf Sätzen durch. Und im Finale gab es gegen die Südafrikaner Wayne Ferreira und Piet Norval ein 7:6, 4:6, 7:6 und 6:3.
"Das eine Mal, wo ich mitgespielt habe, habe ich auch richtig genutzt", liess Becker in seine Rückschau im Pressegespräch einfliessen, schon 1984 [damals in Los Angeles war Tennis ein Demostrationswettbewerb, Anmerk.d.Verf.] und 1988 im deutschen Olympia-Team gestanden zu haben und auch 1996. 1984, 1988 und 1996 aber habe er aus Verletzungsgründen nicht an den Spielen teilnehmen können.
Der Sieg von 1992 geniesst für Becker heute einen deutlich höheren Stellenwert als seinerzeit: "Nach Olympia war ich natürlich schon wieder beschäftigt mit den US Open, und dann die anderen Turniere, und dann fällt eine Goldmedaille neben dem Wimbledon-Sieg nicht besonders auf. Aber wenn man dann rauskommt aus der Sport-Bubble und gefragt wird, was sind die grössten Erfolge? Da wird immer als einer der ersten die Goldmedaille von Barcelona erwähnt. Das war für mich eines meiner absoluten Highlights. Gerade, weil es in einer so komplizierten Zeit passiert ist. Stich und ich waren uns nicht grün."
Im Olympia-Dorf wohnte 1992 nur Michael Stich
Dies bestätigte Stich: "Es stimmt, dass wir nicht die besten Freunde waren, aber das war ich auch mit den meisten Spielern auf der Tour nicht." Während der Olympischen Spiele sahen sich die beiden Doppel-Partner nur auf dem Tennisplatz. "Ich habe im Olympischen Dorf gewohnt, Boris nicht", erzählte Stich.
So ist es bis heute nicht zu einem verabredeten Abendessen gekommen, "sozusagen als Dankeschön", wie Becker es ausdrückt. "Jedes Mal, wenn wir uns sehen, sprechen wir über unsere gemeinsame Goldmedaille. Was wir immer noch nachholen müssen, ist ein gemeinsames Abendessen."
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