• Carsten Sostmeier begeistert bei Olympia einmal mehr mit seiner Art, den Dressursport blumig und zugleich interessant zu erklären.
  • In Tokio erhielt er beim Mannschaftswettbewerb viel Lob für seinen Kommentar.
  • Der 61-Jährige sorgte in seiner Karriere allerdings auch schon für Skandale.
Eine Analyse

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Als die Goldmedaille sicher ist, bleibt Carsten Sostmeier seinem Stil treu. "Sie merken schon: Die Emotionen galoppieren gerade durch meinen Körper", sagte er bei der Live-Übertragung des Triumphs der deutschen Dressur-Equipe in Tokio. Es ist trotz der Emotionen eine Mischung aus vornehmer Zurückhaltung und verbaler Höflichkeit.

Denn ob nun Pirouette, Traversale, Piaffe oder Passage – wenn Sostmeier die Begriffe der Dressurreitkunst beschreibt, sie wort- und einfallsreich umgarnt, werden die Zuschauer in ihren Bann und auf eine beinahe zärtliche Art und Weise in das Dressurviereck gezogen. Der 61-Jährige versteht es, die Faszination dieser Sportart mit einer sonoren Leichtigkeit und virtuosem Wort-Feingefühl rüberzubringen.

"Tänzerisch leicht wie das Lichtspiel einer Kerze"

"Wenn wir Bella Rose so in diesem Wechselspiel von Piaffe und Passage betrachten, wirkt es so tänzerisch leicht wie das Lichtspiel einer Kerze, welches sich in seiner sanften Brise elegant hin und her bewegt. So wie das Antlitz, das Erscheinungsbild dieser zauberhaften Stute", sagte er zum Beispiel zu Isabell Werths Auftritt mit ihrem Pferd Bella Rose.

Selbst beim härtesten Gericht der sozialen Medien – dem Kurznachrichtendienst Twitter, wo sonst sehr oft vernichtende Urteile über Sport-Kommentatoren gefällt werden – verneigt man sich.

Auch Kollegen geraten ins Schwärmen. "Habe in meinem ganzen Leben noch keinen halb so romantischen Satz zu einer Frau hinbekommen wie Carsten Sostmeier zu diesem Dressurpferd", schrieb etwa DAZN-Reporter Alex Schlüter auf Twitter.

Sostmeier schafft so die Grundlage für eine Begeisterung für den Sport, die wiederum für eine Verbindung zwischen Pferd und Reiter sowie dem Zuschauer sorgt. Sostmeier ordnet ein, erklärt zum Beispiel, warum eine Wertung von 80 Prozent Weltklasse sei, "denn die volle Punktzahl würde selbst nicht einmal der liebe Gott mit einem Pferd schaffen". Man versteht dank Sostmeier das, was im Viereck passiert, ohne eigentlich zu wissen, was vor sich geht.

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Carsten Sostmeier: Tanzlehrer für die Zuschauer

Waren die Galoppwechsel sauber? Die Traversale anmutig? War die Piaffe beeindruckend? Und was ist das alles überhaupt? Sostmeier erklärt es nicht technisch, sondern metaphorisch. Beispiel gefällig? "Du musst es durch dein Gesäss, durch deine Schenkel spüren, und über deine Hand fühlen, was dein Pferd jetzt bereit ist, dir entgegenzubringen. Und dann beginnst du, zu tanzen. Und am Ende zu lächeln."

"Wissen Sie, Dressurreiten, das ist nicht das Hineinpressen eines Pferdes in eine Schablone, sondern das behutsame Entwickeln seiner Talente zu einer edlen Silhouette. Und ein Beispiel dafür ist dieses Pferd", sagte er bei Dorothee Schneider und Showtime.

Für solche Umschreibungen erhielt der 61-Jährige, der einst von "Sportschau"-Mitbegründer Addi Furler entdeckt wurde, nach den Spielen 2004 den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Beste Sportsendung" und wurde 2005 für den Grimme-Preis nominiert. Damit war vielleicht nicht unbedingt zu rechnen; in der "Bild"-Zeitung verriet er vor einigen Jahren mal: "Ein Deutschlehrer benotete meine Aufsätze mit dem Satz, 'mit Rücksicht auf die Eltern noch vier'."

Doch, um etwas platt im Bild zu bleiben, Sostmeier hat sich im Laufe seiner Karriere auch schon "vergaloppiert". Mit seiner Aussage "… seit 2008 wird zurückgeritten. Wir holen uns Gold zurück, gnadenlos" bei den Olympischen Spielen 2012 musste er wegen der Ähnlichkeit zu Äusserungen von Adolf Hitler ("Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen") eine Menge Kritik einstecken, entschuldigte sich. So auch 2016, als er bei einem Auftritt von Olympia-Debütantin Julia Krajewski meinte, sie habe "von Anfang an einen braunen Strich in der Hose".

Doch die Glanzstunden überwiegen. Wenn die Traversalen der Pferde wie Tanzschritte sind, dann ist Sostmeier der Tanzlehrer für die Zuschauer. Man lehnt sich zurück und lauscht, lässt sich führen. Für die meisten Zuschauer, die Sportarten wie Reiten nur bei Olympischen Spielen verfolgen, ist Sostmeiers Art ein behutsamer Zugang zu den Besonderheiten der Dressur, einer Sportart, die auf den ersten Blick langweilig und langatmig erscheint.

Stimme des Reitsports

"Wenn du mit deinem Pferd tanzen gehst, dann bist du als oberer Part des Sports derjenige, der deine Tänzerin führt", so Sostmeier beim entscheidenden Durchgang von Jessica von Bredow-Werndl auf Dalera. Als das Pferd während der Gold-Darbietung einem natürlichen Vorgang freien Lauf lässt - Äppeln, wie es bei den Reitern heisst -, findet es Sostmeier auf seine eigene Art "schade, dass sie hier quasi die Einer-Wechsel im wahrsten Sinne des Wortes im Entreebereich etwas veräppelt".

Sostmeier war zehn Jahre alt, als er zum ersten Mal selbst ritt. "Ich fand Reiten zu Beginn schrecklich. Meine Bewegungen waren nicht im Einklang mit denen des Pferdes", sagte er. Mit 22 musste er wegen Rückenproblemen aufhören. Und wechselte 1991 die Seiten, wurde unter anderem ARD-Kommentator und "die Stimme des Reitsports", wie er sich selbst nennt. 2021 gibt er in Tokio dem Reitsport rund um Dressur, Springen und Vielseitigkeit zum siebten Mal bei Olympischen Spielen eine Stimme.

Verwendete Quellen:

  • Homepage von Carsten Sostmeier
  • BILD: "Ich gehe da nackt rein, wie in eine Sauna"
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