In Paris wollen Breaker die Olympischen Spiele erobern. Wir haben mit Breaking-Legende Vartan Bassil über den Tanzsport, seine Entstehung und die Breaking-Szene gesprochen.

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Den wohl bekanntesten Breaking-Move hat fast jeder schon einmal gesehen. Headspin heisst er, dabei dreht sich der Tänzer auf dem Kopf. Eine ikonische Tanzfigur des athletischen Sports, der in Paris erstmals olympische Disziplin ist.

Bekannt ist der Tanzsport vielen als "Breakdance" doch ganz richtig ist das nicht. Der Begriff "Breakdance" wurde in den 1980er-Jahren von den Medien kreiert und hat bis heute überlebt, er taucht jetzt vor Olympia wieder besonders oft auf.

Der korrekte Ausdruck für den Sport ist aber "Breaking", darauf weist Vartan Bassil im Gespräch mit unserer Redaktion hin. Bassil ist künstlerischer Leiter der "Flying Steps" und Gründer der dazugehörigen Academy in Berlin. "Es kann sich jeder etwas unter Breakdance vorstellen, das war aber schon immer falsch. Durch Olympia haben wir die Möglichkeit, dem Mainstream nochmal klarzumachen: 'Hey Leute, das heisst Breaking'", sagt Bassil. Das ist abgeleitet von Break, zu Deutsch "Pause", da die Breaker – oder B-Girls und B-Boys, wie die Tänzer auch genannt werden die Tanzschritte während der instrumentalen Pausen eines Songs ausführen.

Mit Breaking rauscht eine sehr spezielle Sportart in die breite Öffentlichkeit. "Es ist kein Sport im klassischen Sinne, denn es ist immer noch eine Kunstform. Aber es ist extrem athletisch und es ist auch beeindruckend, was die Tänzer bieten und performen. Es ist einfach unglaublich", schwärmt Bassil.

Was macht Breaking aus?

Ein bisschen paradox ist es schon, dass es beim Breaking um Kreativität und Freiheit geht, aber auch um feste Regeln und einen bestimmten Rahmen. Breaking entstand in den 1970er-Jahren in den USA als eine Ausdrucksform der Hip-Hop-Kultur. "Es ging darum, seinen eigenen Stil zu kreieren und bei einem Battle gegen jemanden anzutreten, um sich Respekt zu verschaffen in der Szene, um deine Strasse, deinen Bezirk und deine Stadt zu repräsentieren", so Bassil.

Und das alles mit Musik, vielen Ideen, jeder Menge Tempo und spektakulären Bewegungen, mit Athletik und Akrobatik. "Powermoves", heissen sie, "Go Downs" oder "Freezes". Das Repertoire hat sich über die Jahre entwickelt und erweitert. Deshalb ist Breaking inzwischen auch viel athletischer geworden. "Dementsprechend musst du schon sehr viel trainieren und sehr viel mitbringen, damit du das leisten kannst, was von dir erwartet wird", sagt Bassil.

Eine spezielle Szene

Mit Breaking hält nicht nur eine sehenswerte und unterhaltsame Tanzform Einzug in die Olympischen Spiele, sondern auch eine lebendige Kultur und eine Szene, die speziell ist. Wie eine Familie, die sich ständig trifft und kreativ austauscht, zur gegenseitigen Inspiration und um einander etwas zurückzugeben. "Am Ende geht es um Anerkennung", betont Bassil, der selbst in den 1990er-Jahren mit Breaking angefangen hat: "Es gibt dir Halt, irgendwo auch ein Ziel. Du kannst dich auf etwas fokussieren und du schaffst dir so dein eigenes Standing in dieser Szene."

Es wurde allerdings nicht nur gejubelt, als Ende 2020 klar war, dass Breaking vier Jahre später bei Olympia die grosse Sportbühne betreten würde. Proteste folgten, als Breaking unter die Dach-Organisation der World Dance Sports Federation (WDSF) aufgenommen werden sollte, es bildeten sich zwei Lager. Denn Breaking wurde in Deutschland aus der Kultur heraus spontan organisiert, Tänzer wurden quasi zu Veranstaltern, Verbandsstrukturen gab es keine, Vereine auch nicht, Bürokratie schon mal gar nicht. Zum Start war daher vieles unklar und unorganisiert. Inzwischen ist Breaking dem Deutschen Tanzsportverband angegliedert worden. "Es hat eine Zeit lang gedauert, bis sich herausgestellt hat, wie man es angehen will. Das ist am Anfang extrem schwierig gewesen", so Bassil, der das Angebot, Bundestrainer zu werden, mit Verweis auf sein Flying-Steps-Projekt ablehnte.

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Eine gewisse Skepsis schwingt immer noch mit

Ein Grossteil der Szene freut sich auf Olympia, eine gewisse Skepsis ist einigen aber geblieben. Im olympischen Wettbewerb am 9. und 10. August müssen die Breaker die Jury in Soloduellen über 60 Sekunden mit spektakulären Tanzeinlagen überzeugen. Bewertet werden die Kriterien Technik, Vielseitigkeit, Kreativität, Persönlichkeit, Darstellungskraft und Musikalität. Viele Breaker fragen sich, wie man Kreativität genau bemessen will. Dazu wählen sie nicht selbst die Musik aus, sondern tanzen spontan zu Songs, die von DJs festgelegt werden.

Olympia hat jedoch viele positive Veränderungen mit sich gebracht. Die Aufmerksamkeit ist gestiegen, die Berichterstattung, gerade jetzt im Vorfeld der Wettbewerbe, ist umfangreich. Das hat auch Sponsoren auf den Plan gerufen. Wie bei vielen kleineren Sportarten ist es nicht einfach, vom Breaking zu leben. "Viel mehr Tänzer können sich jetzt zu 100 Prozent auf Breaking konzentrieren. Und man merkt, dass dadurch die Qualität noch einmal angestiegen ist", so Bassil, der den Olympia-Beitritt positiv sieht. Dadurch könne sich Breaking weiterentwickeln. "Denn sonst ist das immer eine Nische, in der du nebenbei noch etwas anderes machen musst, um überhaupt davon leben zu können", so Bassil.

Einige in der Szene kritisieren, dass man durch Olympia in ein System gepresst worden sei. Das allerdings sieht Bassil eher als Vorteil an: "Manchmal braucht man Leitlinien und Strukturen, weil du somit auch bestimmte Ziele und Stationen definieren kannst." Bassil glaubt, dass es Tänzer gebe, die genau das brauchten, um mehr aus ihren Möglichkeiten machen und ihr Potenzial ausschöpfen zu können. "Das ist ja genau das, was wir bei uns in der Szene manchmal beklagen. Wir haben unglaublich grosse Talente, die aber den grossen Sprung nicht schaffen, weil sie so unorganisiert sind", so Bassil.

Keine Deutschen dabei

Breaking sei jetzt auf einem richtigen Weg, sagt Bassil, "auch wenn natürlich immer noch Luft nach oben ist". Sportlich zum Beispiel, denn einen deutschen Teilnehmer gibt es bei den beiden Events auf dem Place de la Concorde nicht. "Wir haben unglaublich gute Tänzer, wir sind technisch extrem stark", sagt Bassil. "Es fehlt aber eine Art Identität. Und dieser Hunger nach Erfolg, da ist irgendwas verloren gegangen mit der Zeit", kritisiert er. Man laufe heutzutage nicht mehr den extra Meter, so Bassil: "Im Grunde fehlen vielleicht zehn Prozent. Aber da hätten wir schon vor Jahren schalten müssen, das holt man jetzt nicht mehr so schnell auf." Man müsse gemeinsam eine Diskussion entfachen, was man verändern müsse, so Bassil.

Das Bittere dabei: Nach Paris wird Breaking erst einmal wieder von der grossen Olympia-Bühne verschwinden. Im Hinblick auf den Austragungsort der Spiele 2028 Los Angeles, also die Heimat des Breaking überrascht das. Doch Bassil bleibt optimistisch: "Das ist ein herber Schlag. Aber wir werden sehen, wie Breaking in Paris beim Publikum ankommen wird, vielleicht gibt es einen weiteren Schub." Ihm bleibt die Hoffnung auf ein olympisches Comeback 2032 – und darauf, dass bald niemand mehr von "Breakdance" sprechen wird.

Über den Gesprächspartner

  • Vartan Bassil begann in den 1990er-Jahren mit dem Breaking. 1993 gründete er die Flying Steps. Als künstlerischer Leiter der Flying Steps entwickelt er Shows wie Flying Bach und Flying Illusion. Daneben gründete er die Tanzschule Flying Steps Academy, eine Plattform und Förderungsmöglichkeit für junge Talente.
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