Bei den Olympischen Spielen gehört Alexander Zverev zu den Medaillen-Favoriten - auch, weil Olympia für den Deutschen einen ganz besonderen Stellenwert hat. Dabei geht es ihm auch um den Kampf der Liebe der deutschen Fans.

Eine Analyse
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Für Olympia beisst Alexander Zverev auf die Zähne. Der 27-Jährige ignoriert den Schmerz, den sein linkes Knie verursacht, so gut es geht. Er hatte sich in Wimbledon eine leichte Fraktur und eine Kapselzerrung zugezogen. "Schlimmer kann ich die Verletzung nicht machen", betonte er laut FAZ, "es geht nur um den Schmerz." Und für ihn in diesen Tagen vor allem um die Teilnahme an den Olympischen Spielen und den olympischen Geist. Für ihn ist Dabeisein offenbar immer noch alles, weshalb er trotz der Blessur an den Start gehen wird, um nach seinem Olympiasieg 2021 einen weiteren Medaillen-Coup zu landen.

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Denn Zverev gehört zu der immer grösser werdenden Anzahl an Spielern, für die Olympia eine zunehmende Bedeutung hat. "Es hat sich viel verschoben, Olympia hat eine ganz andere Wertigkeit. Bei dem einen steht es sogar über einem Grand Slam-Titel, bei den meisten ist es knapp dahinter", erklärt Kommentator und Tennis-Experte Matthias Stach im Gespräch mit unserer Redaktion.

Stolz für Schwarz-Rot-Gold

Da Zverev weiter (fast schon verzweifelt) auf seinen ersten Grand-Slam-Titel wartet, dürfte Olympia bei ihm knapp dahinter liegen. Doch die Liebe zu Olympia war bei ihm schon immer stark ausgeprägt. "Er ist ein Spieler, der einen gewissen Stolz hat, Schwarz-Rot-Gold zu vertreten. Und das sagt er nicht nur so, das nimmt man ihm auch ab", so Stach, der weiss, wie die Zverevs den Triumph vor drei Jahren gefeiert haben. Damals durfte sich Zverev auch vom deutschen Publikum hochleben lassen.

Doch die grosse Liebe ist trotzdem nie entstanden. Man kann fraglos von einem immensen Respekt vor den sportlichen Leistungen sprechen, immerhin ist Zverev nicht nur Olympiasieger, sondern auch Weltmeister mit insgesamt 22 Turniersiegen in der Vita. Auch eine gesteigerte Zuneigung ist zu erkennen. Es habe sich etwas verschoben, glaubt Stach, vor allem auch durch Gesten wie zuletzt bei den French Open, "was er da für seinen Gegner an Worten übrig hatte", so Stach. "Oder durch die Sensibilität, als er in Paris gegen Rafael Nadal gespielt hat, dem Spanier die grosse Bühne zu lassen. Ich glaube, das sind alles Dinge, durch die die Leute ihn jetzt ein bisschen mehr verstehen." Dadurch sei der Akzeptanzwert immer grösser geworden, so Stach, "es hat eine grössere Annäherung gegeben".

Unterschiede zur Becker-Liebe

Doch warum schliessen die Fans ihn nicht so sehr in ihre Herzen wie zum Beispiel Boris Becker? Zverev ist ein Typ, der aneckt, doch genau das war Becker auch. "Aber Boris war der Erste. Es war auch eine andere Zeit, wenn ich alleine an die Fernsehlandschaft denke, da gab es gar keine Alternative im Prinzip. Heute hast du 428 andere Möglichkeiten, was du machen kannst", sagt Stach. Tennis hat nicht mehr den riesigen nationalen Stellenwert wie früher.

Und bei Zverev war es so, "dass er sich zu Beginn nicht immer optimal gegeben hat, auch den Medien gegenüber", so Stach. Zverev ist durchaus jemand, der polarisiert, nicht nur in der direkten Interaktion, sondern auch auf dem Platz. Und verzeiht die Öffentlichkeit Becker heute noch jeden noch so peinlichen Ausrutscher mit einer nicht enden wollenden Engelsgeduld, ist bei Zverev der Umgang kritischer. Wurde Becker für zertrümmerte Schläger, Wutausbrüche und emotionale Diskussionen gefeiert, wird Zverev kritisiert.

"Vielleicht versteht man den Spieler Zverev mehr"

"Deshalb war alles andere drumherum bei Zverev natürlich auch nicht einfach, weil sich viele Menschen sehr, sehr schnell ein Urteil bilden", verweist Stach auf private Negativ-Schlagzeilen ausserhalb des Sportlichen. "Aber vielleicht versteht man den Spieler Zverev immer mehr. Das ist ein Lernprozess", glaubt Stach: "Er ist wie ein 'Heranwachsender', den man irgendwann probiert zu verstehen."
Genauso musste Zverev aber auch lernen, die Menschen, die Fans zu verstehen. Allerdings hat er sich als Person und vor allen Dingen als Persönlichkeit entwickelt, denn natürlich verlieben sich Fans nicht nur in einen Spieler, sondern auch in den Menschen dahinter. "Er war früher ein wilder, junger Rebell, der alles gemacht hat, was und wie er es wollte. Aber man merkt eine grössere Reife", sagt Stach. Die Professionalität, mit der Zverev, der Diabetes Typ 1 hat, seine Karriere verfolgt, stand sowieso nie zur Debatte.

Auch deshalb, und auch weil bei Olympia in Paris auf der Asche von Roland Garros gespielt wird, gehört Zverev zu den Favoriten. Und eine weitere Medaille "würde noch mal einen draufsetzen", was sein Standing angehe, sagt Stach, "vor allem auch wegen seiner Verletzung. Die Leute sehen, dass er einfach Lust hat und alles dransetzt, um fit zu sein".

Weitere Chance im Mixed

Neben dem Einzel sucht Zverev auch im Mixed an der Seite von Laura Siegemund eine Medaillen-Chance. Sonst ein Wettbewerb, der eher eine Sache für Spezialisten ist, "ist die Wertschätzung beim Publikum und auch in der eigenen Wahrnehmung bei Olympia nochmal etwas ganz anderes. Denn wenn du da eine Medaille holst, machst du dich eben in gewisser Weise auch im Mixed unsterblich", sagt Stach.

Und was geht aus deutscher Sicht sonst noch? Neben Zverev sind bei den Herren noch Jan-Lennard Struff und Dominik Koepfer dabei, dazu Tim Pütz und Kevin Krawietz im Doppel. Bei den Damen gehen neben Siegemund noch Tatjana Maria, Tamara Korpatsch und Angelique Kerber an den Start. "Bei Kerber ist es ein grosser Wunsch, nochmal Olympische Spiele zu spielen, sie geht es also relativ relaxed an. Wenn man in der Einzelkonkurrenz die eine oder andere Runde gehen kann, wäre das schon ein grosser Erfolg", sagt Stach.
Im Doppel sei das eine andere Geschichte, "weil ich einfach glaube, dass es im Doppel nicht diese programmierten, klaren Favoriten gibt. Da kann immer mal was passieren". Pütz und Krawietz gewannen zuletzt in Hamburg, bei den Damen spielen Siegemund und Kerber zusammen. Bedeutet laut Stach: "Realistisch als tolles Ziel sind eine oder zwei Medaillen. Und alles darüber hinaus fände ich schon ausserordentlich stark."

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Problematische Situation im deutschen Tennis

Nicht nur für die Spieler im Speziellen, sondern auch für das deutsche Tennis im Allgemeinen. Die Situation bei den Damen ist anhaltend problematisch. Und bei den Herren verklärt der erfolgreiche Zverev ein wenig den Blick auf die auch hier fehlende Klasse in der Breite, denn die grundsätzlichen Strukturprobleme herrschen natürlich auch dort.
"Es gibt ein paar im Altersbereich 16 Jahre, die aber noch wahnsinnig Zeit brauchen. Für mich ist das Entscheidende die Zeit zwischen 17 und 20 Jahren, und da muss einiges passieren. Und insgesamt sprechen wir von einem Zehnjahresplan", betont Stach. Der grosse Vorteil bei den Herren: Zverev ist das Zugpferd, das den Damen im Moment fehlt. Auch deshalb ist es gut, dass er auf die Zähne beisst.


Verwendete Quelle


Über den Gesprächspartner

  • Kommentator Matthias Stach ist seit Jahren bekannt als "die Stimme des Tennissports", er hat im Laufe seiner Karriere von über 100 Grand-Slam-Turnieren berichtet, zuletzt erst für Eurosport von den French Open.
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