Lena Kesting ist als Moderatorin bei Olympia im Einsatz. Wir haben mit ihr über spezielle Erfahrungen bei den Spielen, mögliche Proteste in Paris und das wichtige Thema mentale Gesundheit gesprochen.
Lena Kesting, Sie haben Olympia in Tokio unter Corona-Bedingungen erlebt, dazu Olympia in Peking mit dem dortigen Regime und den Kontrollen. Was kann Sie in Ihrem Beruf noch schocken oder überraschen?
Lena Kesting: Diese Spiele waren ohne Frage sehr speziell. Deshalb freue ich mich jetzt riesig auf "normale" Olympische Spiele ohne Corona-Tests, ohne Quarantäne und ohne Zeitverschiebung. In Paris sind jetzt die Sicherheitsbedenken ein grosses Thema. Es bleibt zu hoffen, dass nichts in der Hinsicht passieren wird. Doch auch aus sportlicher Sicht kann viel passieren, denn als Journalist weiss man nie, wie die Sportler reagieren. Das macht den Reiz an diesem Job aus, dass du da stehst und der Erste bist, der diesen Schwall an Emotionen abbekommt. Positiv wie negativ. Und da kann erstmal alles passieren. Wir erinnern uns an
Was haben Sie von den beiden Grossereignissen mitgenommen, abseits vom Sportlichen?
Wie schön es ist, sich frei bewegen zu dürfen. Tatsächlich war Peking nochmal viel eingeschränkter als Tokio, wo es schon massiv eingeschränkt war. Ich freue mich deshalb darauf, in Paris auch andere Sportarten erleben zu können, denn das war in Peking so gut wie gar nicht möglich. Und ich freue mich auch auf den Kontakt mit den Athleten, sie mal abseits der Mixed Zone zu sehen und sich mit ihnen auszutauschen.
Reisen Sie in der heutigen Zeit mit einem mulmigen Gefühl zu Grossereignissen?
Im Vordergrund steht vor allem die Vorfreude. Man hat das aber im Hinterkopf, zumal es immer wieder Berichte darüber gibt, wie die Polizei im Einsatz sein wird und welche Sicherheitsmassnahmen geplant sind.
Beschäftigen Sie sich mit der Möglichkeit, dass es in Paris zu Protesten oder Ausschreitungen kommen könnte, oder blenden Sie das aus?
Grundsätzlich lebe ich nicht in einer Sportisolation. Ich beschäftige mich mit den Themen und es interessiert mich, weil ich ein politisch denkender Mensch bin. Der Sport findet nie ausserhalb der gesellschaftlichen Realität statt. Häufig werden Konflikte deshalb in die Olympischen Wettbewerbe mit reingetragen. Bereits bei der Diskussion, ob russische Sportlerinnen und Sportler starten dürfen oder nicht, sind wir mittendrin im Konflikt. Wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Spiele als Bühne für Proteste genutzt werden, kann ich nicht einschätzen. Wenn es so kommt, dann müssen wir darauf reagieren, aber es ist nichts, was in meiner Vorbereitung stattfindet. Ich muss aber sagen: Wenn in der Schwimmhalle die Athleten auf dem Startblock stehen und wenn es dann wirklich losgeht, bin ich im Sport.
In Paris soll es ja vor allem um Sport gehen. Gibt es etwas, auf dass Sie sich diesmal ganz besonders freuen?
Am allermeisten freue ich mich auf die Stimmung. Weil es nach zwei Pandemiespielen wieder "richtige" Olympische Spiele sind, bei denen auch Fans dabei sein können. Wenn man sich die Bilder anschaut, wie Paris bestimmte Wettkampfstätten geplant hat, oder auch die Eröffnungsfeier auf der Seine, macht das total Lust darauf. Bei Olympia liegt immer etwas in der Luft, das ganz schwer zu beschreiben ist. Das ist eine Art Flimmern, das alle mitnimmt. Und es gibt diese tollen Erfolge, die Dramen und Tragödien beim Sport, für die wir das alle schauen und erleben wollen.
Sie haben einen steilen Aufstieg hinter sich, haben schon zahlreiche Events begleitet. Welchen beruflichen Traum haben Sie noch?
Ich würde total gerne bei einer Fussball-WM der Männer arbeiten. Im vergangenen Jahr durfte ich bei der Fussball-WM der Frauen in Australien und Neuseeland dabei sein, das war der Hammer. Im Sommer bin ich bei der Euro dabei, was auch ein grosses Highlight ist. Aber eine Fussball-WM der Männer ist ein Lebenstraum.
In Paris sind Sie wieder am Beckenrand im Einsatz. Man liest bei Ihnen in Biografien immer "Leistungsschwimmerin". Wie gut waren Sie denn?
Ich habe Leistungssport gemacht, was bedeutet, dass ich fünf bis sieben Trainingseinheiten in der Woche absolviert habe. Ich war ein klassischer Trainingsweltmeister: Ich habe das, was ich im Training geschafft habe, nie im Wettkampf umsetzen können. Ich habe daher immer an der Norm für die deutschen Meisterschaften gekratzt, sie aber leider nie geschafft.
Hadern Sie damit, dass es nicht geklappt hat mit einer Profi-Karriere?
Zu der Zeit mit Sicherheit, weil ich mir gedacht habe: "Ich bin hier jeden Tag im Wasser und zähle Kacheln wie blöd, und irgendwie kommt nicht das dabei herum, was ich mir ausgemalt habe." Aber ich hadere jetzt nicht mehr, weil ich Freundschaften fürs Leben gefunden habe, weil ich eine wahnsinnig tolle Zeit hatte. Dass es für mich Richtung Olympia, EM oder WM gegangen wäre, war sowieso utopisch. Vielleicht hätte ich nochmal drei, vier Sekunden schneller sein können, ich hätte mir aber trotzdem nichts davon kaufen können. Ich blicke aber sehr wohlwollend auf die Zeit zurück.
Darum startete Kesting im Journalismus durch
Sie sind ja im Sport geblieben. Was hat Sie am Journalismus gereizt?
Die grundsätzliche Affinität zum Sport spielte mit Sicherheit eine Rolle. Ich habe aber auch im Politik-Ressort gearbeitet. Im Kern ist es eine generelle Neugier. Ich wollte schon immer hinter die Kulissen blicken und wissen, wie alles funktioniert. Ich bin jemand, der sehr vielseitig interessiert ist. Ausserdem fand ich das Fernsehen als Medium immer spannend. Ich erinnere mich an Olympische Spiele, die ich als kleines Kind geschaut habe. Ich fand nicht nur die sportliche Leistung faszinierend, sondern auch, wie es verpackt und transportiert wurde.
Wie schlimm ist es für Sie noch beim Thema Nervosität und Anspannung?
Ich liebe den Live-Moment. Ich mache Dinge viel lieber live als aufgezeichnet. Weil du weisst, dass es jetzt funktionieren muss. Wenn du ein Interview aufzeichnest, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du dich irgendwie in der Zunge verknotest, viel, viel grösser. Nervosität hört sich oft negativ an – es ist eher eine positive Vorfreude und ein Bauchkribbeln.
Ihre Bachelorarbeit lautete: "Höher, schneller, kränker – Eine Analyse der medialen Printberichterstattung zu physischen und psychischen Erkrankungen im Spitzensport". Hört sich sperrig an, ist aber ein wichtiges Thema. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Der Sport neigt wie kein anderer Bereich dazu, Menschen zu Helden und Versagern zu stilisieren. Und wir sprechen nie darüber, was das mit diesen Sportlern macht. Wir sprechen zum Beispiel nicht darüber, wie sich die Kölner Fussballer, die abgestiegen sind, fühlen, wenn sie als "Versagertruppe" bezeichnet werden. Da kommt dann immer das Argument, dass sie ja auch gut verdienen. Aber ob du deine mentale Gesundheit mit deinem Verdienst aufwiegen kannst, ist eine andere Frage. Es gibt Momente, wo das Thema präsent ist, wo darüber gesprochen wird. Dann ist es aber auch schnell wieder vergessen.
Warum ist das so wenig präsent?
Welcher Sportler redet gerne über Schwächen? Und gesellschaftlich ist es immer noch viel akzeptierter zu sagen, dass man sich das Kreuzband gerissen hat als dass man eine depressive Phase durchmacht. Das ist im Sport genauso wie im Rest der Gesellschaft. Genauso kann man fragen, warum es immer noch nicht möglich ist, dass sich Fussballspieler outen, wenn sie homosexuell sind. Das funktioniert im Sport sogar noch weniger als im Rest der Gesellschaft.
Ist die Gesellschaft noch nicht bereit dafür?
Ich glaube, die Gesellschaft will sich damit einfach nicht beschäftigen. Es ist einfacher oder auch schöner, die Heldengeschichten zu erzählen, als die Geschichten, dass es jemandem nicht gut geht. Das hat immer noch ein Stigma.
Wenn jemand mentale Probleme einräumt, ist die Betroffenheit und die Anteilnahme immer sehr gross. Aber eine Woche später wird der Nächste durchs Dorf getrieben, ohne dass man darüber nachdenkt, was das für Auswirkungen haben könnte. Warum ist das so?
Ein Stück weit funktioniert gerade der Boulevard-Journalismus so. Es wird immer sofort von Stars gesprochen, dann ist es auch immer der Transfer-Hammer. Zu der Entwicklung trägt das Internet natürlich bei, weil man die Klicks haben will. Wir neigen dazu, zuzuspitzen und zu polarisieren mit Überschriften und mit Inhalten. Man jagt mit der nächsten Nachricht wieder die neuen Klicks.
Kann der Sportjournalismus überhaupt noch anders? Gibt es da theoretisch einen Weg zurück?
Gerade der Sportjournalismus hat hier im Vergleich zu anderen Bereichen grosse Vorteile, denn Sport funktioniert live immer. Die Wenigsten schauen sich das Champions-League-Finale Stunden später an. Die Leute wollen dabei sein und haben Lust auf das Live-Event. Wenn du einen Tag danach das Ganze nicht mehr live begleitest, sondern hintergründig aufarbeitest, konsumieren das die Sportfans ebenfalls – nicht umsonst gibt es so viele Sportzeitschriften.
Aber wenn man jetzt auf Olympia schaut, da geht es ja gerade darum, die Helden herauszuarbeiten, weil die sonst nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Wie kriegt man den Spagat hin, nicht zu übertreiben?
Wenn jemand eine Leistung bringt, die nicht zu erwarten war, und völlig überraschend Olympiasieger wird, dann darf man das bejubeln und es auch als grandiose Leistung benennen. Man muss aber auch eine schlechte Leistung benennen und den Sportler fragen, was los war. Doch da muss man nicht von Versager reden. Wir müssen von diesen Extremen ein bisschen wegkommen: Es muss nicht immer gleich der Held und schon gar nicht der Versager sein.
Haben Sie in Gesprächen mit Sportlern schon Erfahrungen gemacht, was die mentale Gesundheit angeht?
Ich kenne keinen Sportler, der offen darüber spricht. Doch da hilft es mir vielleicht ein bisschen, dass ich selbst Leistungssport gemacht habe. Ich weiss: Wenn du anschlägst und die Zeit ist einfach scheisse, ärgerst du dich selbst mehr als genug. Dein eigener Kopf macht dich dann schon fertig genug – da brauchst du nicht noch von aussen diese Bestätigung, dass das wirklich nichts war. Doch das macht diesen Job als Interviewer so spannend, denn man benötigt eine gewisse Sensibilität: Da steht nicht nur der Sportler, da steht auch der Mensch vor mir. Und dessen Emotionen aufzunehmen, ist essenziell.
Vergisst man das zu oft im Sportjournalismus?
Das ist gut möglich. Das kommt aber von beiden Seiten: Wenn man einen Sportler vor sich hat, der nur vorgefertigte und auswendig gelernte Antworten gibt, dann vergisst man schnell, dass da ein Mensch mit Emotionen vor dir steht. Wenn man mit jemandem spricht, der offen und ehrlich ist und einen kleinen Einblick gewährt, geht man automatisch ganz anders damit um. Kommen nur Floskeln, die den Eindruck entstehen lassen, dass du fragen kannst, was du willst, der erzählt mir sowieso nichts, dann könnte es die Reaktion hervorrufen, dass man mehr und mehr etwas herauszukitzeln möchte. Vielleicht verstärkt sich das dann gegenseitig.
Keine gleichförmige Berichterstattung
War das alles auch die Quintessenz Ihrer Arbeit?
Im Kern war es die Erkenntnis, dass immer über das Thema gesprochen wird, wenn es einen prominenten Fall gibt. Und dass das Thema dann aber relativ schnell wieder abebbt, bis es den nächsten Fall gibt. Es gibt keine gleichförmige Berichterstattung zu dem Thema. Wahrscheinlich, weil es die Leute nicht interessiert, wenn nicht ein prominenter Name damit verbunden ist.
Dabei ist das Thema auch in der Gesellschaft weit verbreitet. Eigentlich müsste das Interesse relativ gross sein.
Ich finde, dass es in der Hinsicht besser wird, weil Sportler offener darüber reden, dass sie zur allgemeinen Unterstützung einen Mentalcoach oder einen Sportpsychologen an ihrer Seite haben. Sie sagen dann auch, wie sehr ihnen das hilft, um Bestleistungen bringen zu können. Und wenn das schon mal normalisiert ist, ist das der erste Schritt. Auf der anderen Seite wollen wir im Sport im Idealfall über Bestleistungen reden und nicht nur über Probleme. Deshalb verstehe ich, dass es nicht jeden Tag Berichte zum Thema mentale Gesundheit im Sport gibt. Am Ende ist es das Feingefühl, das vorhanden sein muss. Und nicht nur im Sport, sondern gesamtgesellschaftlich.
Ein wichtiger Aspekt beim Thema mentale Gesundheit sind auch die sozialen Medien, die in ihrer negativen Wucht sehr belastend sein können. Haben Sie als Journalistin negative Erfahrungen gemacht?
Ich habe sehr grosses Glück bisher. Ich habe bisher keinen Shitstorm abbekommen und auch keine blöden Hasskommentare. Ich bekomme die Nachrichten, die jede Frau im Internet bekommt. Dafür musst du dich aber nicht einmal vor die Kamera stellen. Das kennen viele Frauen, gerade in den sozialen Netzwerken. Man muss lernen, damit umzugehen.
Über die Gesprächspartnerin
- Lena Kesting hat Sportjournalismus in Köln studiert und ist seit 2019 Reporterin und Moderatorin im Sportprogramm des ZDF. So berichtete sie zum Beispiel von den Olympischen Spielen 2021 in Tokio und 2022 in Peking. In diesem Sommer ist sie bei der Fussball-EM und bei Olympia in Paris im Einsatz.
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