Thierry Henry hat als Spieler fast jeden Titel gewonnen, den es zu gewinnen gab. Als Trainer hat er bislang noch nicht viel Eindruck gemacht. Das könnte sich jetzt bei der französischen Olympia-Auswahl ändern.

Ein Porträt
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Anstand und Respekt sind Thierry Henry wichtig. So sehr, dass der Trainer des französischen Olympiateams auch nach dem Halbfinaleinzug seiner Mannschaft gegen Argentinien nicht zufrieden war – obwohl sie gewonnen hatte.

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Denn nach dem Abpfiff hatte es in einer ohnehin schon emotional aufgeladenen Partie Rangeleien gegeben. Der Stuttgarter Enzo Millot sah am Ende sogar noch die Rote Karte. "Dieses Ende hat mich verärgert. Wir wollen Emotionen – aber nicht diese!", stellte der 48-Jährige nach dem Spiel klar.

Henry will mit den U23-Fussballern bei den Olympischen Spielen gleich zwei Aufgaben meistern. Zum einen wäre da natürlich die Goldmedaille, die das Land nicht nur erwartet, weil die Franzosen Gastgeber sind, sondern auch weil sie mit dem individuell wohl am besten besetzten Team des Turniers antreten. Zum anderen sollen die Olympia-Fussballer Frankreich als guten Gewinner präsentieren – besser als die Argentinier, die es selbst im Moment ihres Triumphes bei der Copa América nicht lassen konnten, ihre ehemaligen Gegner, die Franzosen, kleinzumachen. Und wohl kaum jemand wäre für dieses Ziel besser geeignet als Henry.

Als Spieler war er selbst über alle Zweifel erhaben

Mit Siegermentalität, aber respektvoll – so will Henry seine Spieler sehen. Und so sehen ihn die Franzosen. Neben Zinédine Zidane ist Henry die Vorzeigefigur des französischen Fussballs schlechthin, ein Spieler, der über jeden Zweifel erhaben ist. Anders als französische Ausnahmespieler wie Karim Benzema oder Franck Ribéry lieferte Henry keine Negativschlagzeilen abseits des Platzes, anders als Zidane behielt er in schwierigen Situationen stets die Ruhe.

Der einzige Makel: Sein Standing hat der Mann, der aus einem Pariser Vorort stammt, bisher ausschliesslich seiner sportlichen Karriere zu verdanken. Als Spieler gewann der ehemalige Stürmer alles, er wurde Welt- und Europameister, gewann die Champions League, mehrere Meisterschaften und Pokale. Beim FC Arsenal war er Teil der "Invincibles", die die Saison 2003/04 in der Premier League ungeschlagen beendeten, beim FC Barcelona erlebte er zwischen 2007 und 2010 eine der dominantesten Ären in der Geschichte des Vereinsfussballs mit.

Dabei spielte er lange unter Arsène Wenger und Pep Guardiola, zwei Trainer, die zu den besten aller Zeiten gezählt werden. Nicht wenige hofften deshalb, dass Henry sich etwas von seinen Lehrmeistern abgeguckt haben könnte. Eine Trainerkarriere schien dem meist so vorbildlich auftretenden Franzosen quasi vorgegeben. Zumal auch Zidane und Didier Deschamps, seine Weltmeisterkollegen von 1998, es schafften, nach ihren Spielerkarrieren als Trainer grosse Titel zu holen.

Die Trainerkarriere schien vorbei, bevor sie richtig angefangen hatte

Doch im Gegensatz zu den beiden startete Henrys Trainerkarriere eher schleppend. Nachdem er bei der WM 2018 als Co-Trainer der belgischen Nationalmannschaft erste Erfahrungen sammelte und mit der Mannschaft sogar ins Halbfinale kam, übernahm er im Oktober 2018 den strauchelnden Klub AS Monaco. Dort hatte Henry bereits seine Profifussballerkarriere begonnen.

Es wurde schnell klar, welche Werte ihm bei seinen Spielern wichtig sind. Am meisten in Erinnerung bleibt aus dieser Amtszeit wohl die Szene aus einer Pressekonferenz, in der er als Trainer seinem damals 17-jährigen Spieler Benoît Badashile anwies, den Stuhl bitte ordentlich an den Tisch zurückzuschieben – vor den Augen der Pressevertreter und der Kameras.

Respekt und Anstand, dafür wollte Henry schon damals stehen. Nur einen Draht zur Mannschaft, den fand er nicht. Nach nur drei Monaten, in denen Monaco lediglich zwei Ligaspiele gewann und bedrohlich in Richtung Abstieg taumelte, musste Henry bereits gehen. Die grosse Trainerkarriere schien bereits beendet, bevor sie richtig angefangen hatte.

Abgesehen von einem weiteren Intermezzo als belgischer Co-Nationaltrainer widmete sich Henry danach anderen Dingen. Dem amerikanischen Publikum ist er mittlerweile besser als TV-Experte an Champions-League-Abenden bekannt – im Zusammenspiel mit den zur Albernheit neigenden Kollegen Jamie Carragher und Micah Richards nimmt er auch dort eher die seriöse Rolle ein. Sportlich war Henry zuletzt vor allem als Investor des italienischen Klubs Como 1907 aktiv, dem in diesem Jahr der Aufstieg in die Serie A gelang.

Ein Spiel vor dem Olympiasieg

Mit Olympia-Gold hätte Henry nun doch noch die Chance, sich auch als Trainer zu beweisen. Bislang hat er in diesem Turnier viel richtig gemacht. Das mit vielen Jungstars auch aus der Bundesliga gespickte Team spielt sich zwar nicht mühelos von Sieg zu Sieg – der Finaleinzug gegen Ägypten gelang erst in der Verlängerung. Aber in den entscheidenden Momenten kann die Mannschaft überzeugen.

Vielleicht hat Henry in der Nationalmannschaft endlich seine Nische gefunden, dort, wo Werte ohnehin mehr zählen als im Klubfussball. Ein Spiel fehlt ihm noch, um mit dem Olympiasieg für Frankreich ein erstes sportliches Ausrufezeichen als Trainer zu setzen.

Der letzte Olympia-Gold-Trainer im Männerfussball hiess übrigens Luis de la Fuente – drei Jahre später wurde er mit Spielern wie Unai Simón, Marc Cucurella und Dani Olmo Europameister. Zu einem ähnlichen Karriereverlauf würde in Frankreich sicherlich kaum jemand nein sagen. Schon gar nicht Thierry Henry.

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