Während der Olympischen Spiele strömen Millionen Touristen nach Paris – die Politik sorgt sich teilweise um ein drohendes Verkehrschaos im Sommer. Ein Verkehrsforscher ist jedoch gegenteiliger Meinung und sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: Paris ist für die Spiele gut vorbereitet.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Schleicher sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wer schonmal in Paris gewesen und mit dem Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt gefahren ist, weiss: Entspannung geht anders.

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Vor allem die Metro in der französischen Hauptstadt ist Tag für Tag völlig überfüllt – dafür sorgen grösstenteils die Tausenden Touristen, die in Paris von A nach B kommen wollen. Auch die Strassen sind durch die vielen Pendler, die nach Paris kommen, häufig vollgestopft.

15 bis 20 Millionen Olympia-Touristen in Paris erwartet

Da verwundert es wenig, dass vor einigen Monaten die Debatte aufkam, ob das städtische Verkehrsangebot und -netz dem massiven Touristen-Ansturm während der Olympischen Spiele im Sommer (26. Juli bis 11. August) überhaupt gewachsen ist. 15 bis 20 Millionen zusätzliche Touristen werden für Olympia erwartet, rund 85.000 Athletinnen und Athleten sowie Offizielle strömen in die Hauptstadt.

Allein zur Eröffnungsfeier entlang der Seine werden dem Pariser Tourismus- und Kongressbüro zufolge 326.000 Zuschauer erwartet. Um für deren Sicherheit zu sorgen, hat die Polizei die Sicherheitszone, in der motorisierter Verkehr untersagt ist, so weit gezogen, dass gleich drei Bahnhöfe darin liegen. Die französische Bahn blockierte zunächst sämtliche Anfahrten für den Eröffnungstag, an einer Lösung werde jedoch gearbeitet.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. © IMAGO/NurPhoto/Adnan Farzat

Selbst an oberster Stelle gaben sich die Verantwortlichen – zumindest zum Teil – wenig hoffnungsvoll, dass während der Spiele alles reibungslos laufen wird: "Tatsächlich wird es Orte geben, an denen die Verkehrsmittel nicht bereit sein werden, weil es nicht die Anzahl der Züge und die Frequenz geben wird", sagte etwa die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo im vergangenen November in einer Talkshow des französischen TV-Senders TMC.

Metro-Ausbau in Paris: Ein Wettlauf gegen die Zeit

Auch Jean Castex, Chef der Pariser Verkehrsbetriebe RATP, sprach von einem "veralteten Netz" in der Stadt. Mindestens acht der zehn Linien seien nicht mehr in der Lage, "einen qualitativ hochwertigen öffentlichen Dienst zu gewährleisten", erklärte Castex. Einer der Hauptgründe dafür: mangelnde Investitionen.

Sorgen bereitet unter anderem die Verlängerung der Metrolinie 14 zum Athletendorf in Saint-Denis, die zum Wettlauf gegen die Zeit wird. Castex sagte vor einigen Monaten jedoch eine Fertigstellung bis Juni 2024 voraus. Die Linie 14 ist die jüngste und gleichzeitig erste vollautomatisierte Strecke mit fahrerlosen Zügen – der Sicherheitsaspekt ist hier deshalb besonders wichtig.

"Die Organisation der Olympischen Spiele ist eine Ehre, aber auch eine gewaltige Herausforderung", sagte Frankreichs Sportministerin Amelie Oudea-Castera im Vorfeld des zweiten von mehreren Workshops zum Thema Verkehr in der Metropole am vergangenen Dienstag – und fasste die Gemengelage in der Hauptstadt damit ganz gut zusammen. "Die Fortbewegung per Rad oder zu Fuss sollte unbedingt bevorzugt werden", sagte Oudea-Castera.

Verkehrsforscher: "Ich sehe Paris gut gerüstet"

Kommt es während Olympia also tatsächlich zum Pariser Verkehrskollaps mit überfüllten Strassen und Metro-Zügen?

Andreas Knie
Verkehrsforscher Prof. Dr. Andreas Knie. © Bernhard Ludewig

Nein, sagt zumindest der renommierte Verkehrsforscher Prof. Dr. Andreas Knie. "Paris ist eine sehr grundprofessionelle Stadt und hat jetzt zuletzt auch Massnahmen ergriffen. Die Menschen verändern sich, die Menschen haben ein anderes Verkehrsverhalten. Also ich sehe da, was wir bisher erkennen können, Paris gut gerüstet", erklärt Knie, Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung – WZB, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Bürgermeisterin Hidalgo treibt Verkehrswende in Paris voran

Was der Verkehrswissenschaftler damit unter anderem meint: Bürgermeisterin Hidalgo arbeitet seit ihrer Amtsübernahme 2014 stetig daran, die Verkehrswende in der französischen Hauptstadt voranzutreiben. Das grosse Ziel: Den Autoverkehr eindämmen und Paris dadurch verkehrsfreundlicher zu machen.

Unter anderem sind die Seine-Ufer mittlerweile autofrei, auch auf weiteren Strassen wurde der Autoverkehr beschränkt und der Platz für Fussgänger im Gegenzug erweitert. Zudem setzt sich Hidalgo für einen Ausbau des Radwegenetzes ein.

Dass die Massnahmen der Sozialistin bei der Pariser Bevölkerung gut ankommen, wurde bereits im vergangenen Jahr deutlich: In den ersten drei Monaten des Jahres 2023 nahm die Fahrradnutzung der Pariserinnen und Pariser im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 37,3 Prozent zu, wie die Stadt Paris damals mitteilte. Die Nutzung der Metro legte um 12,6 Prozent zu, während der Autoverkehr im Stadtzentrum um 5,5 Prozent zurückging.

Radfahrer in Paris.
Viele Pariserinnen und Pariser sind in den vergangenen Jahren aufs Rad umgestiegen. Die Rad-Infrastruktur in der französischen Hauptstadt wurde massiv ausgebaut. © IMAGO/Geyres Christophe/ABACAPRESS

60 Kilometer Radweg für die Olympischen Spiele

Auch für die Olympischen Spiele investierte die Stadt in den Radverkehr: Die Sportstätten wurden und werden mit einem 60 Kilometer langen Radwegenetz verbunden, die Hälfte davon wird komplett neu angelegt.

Auch Verkehrsforscher Knie ist der Meinung, dass man dem Auto in Paris in der Vergangenheit "zu viel Platz geschenkt" habe. Irgendwann habe man dann festgestellt, dass man an eine Grenze kommt, "an der der Verkehr nicht mehr flüssig ist", sagt Knie weiter.

Doch durch die Massnahmen Hidalgos werde deutlich, dass "Paris die Zeichen der Zeit erkannt hat und dabei ist, sie umzusetzen", sagt der Forscher. "Paris hat den Mut besessen, das Auto in grösseren Teilen auszusperren, die Strassen freizuräumen und mehr Platz für andere Verkehrsteilnehmer zu schaffen."

Paris ist also auf einem guten Weg, doch am Ziel ist die Stadt laut Knie noch lange nicht. "Sie müssen das natürlich noch umsetzen", sagt der Verkehrswissenschaftler und führt weiter aus: "Man muss ja immer unterscheiden: Was haben die Leute vor und was haben sie tatsächlich getan?"

Paris verdoppelt Ticketpreise für den ÖPNV

Eine Nachricht dürfte die Pariser Olympia-Touristen zuletzt aber wohl eher weniger gefreut haben: Zunächst hiess es von den Verantwortlichen, dass Inhaber eines Olympia-Tickets, egal für welchen Wettbewerb, gratis mit dem ÖPNV fahren können. Mittlerweile ruderten die Verkehrsbetriebe allerdings zurück – und wie. Zwischen dem 20. Juli und dem 8. September kostet ein Einzelticket vier Euro, teilte der Verkehrsverband Ile-de-France Mobilités bereits im vergangenen November mit. Zum Vergleich: Aktuell kostet eine Einzelfahrkarte für die Metro 2,15 Euro. Immerhin: Für die Besucher der Spiele soll es ein spezielles Tagesticket für 16 Euro geben.

Der Verkehrsverband rechtfertigt die satte Preiserhöhung mit einer zusätzlichen Kostendeckung im ÖPNV während der Spiele, die auf 200 Millionen Euro geschätzt wird. Laut "Deutschlandfunk" erklärte die Vorsitzende des Verkehrsverbandes, sie lehne es ab, dass die Einwohnerinnen und Einwohner der Region dafür aufkämen.

Metro in Paris.
Die Preise für den ÖPNV in Paris werden sich während Olympia fast verdoppeln. © IMAGO/imagebroker/Helmut Meyer zur Capellen

"Da war in der Tat, was wir auch beobachten, die Kommunikation zwischen der Stadt und dem IOC (Internationales Olympisches Komitee, Anm.d.Red.) noch nicht optimal", sagt Knie zum Preisaufschlag, der für ihn aber nicht unbedingt überraschend kommt: "Es ist schade, aber Grossereignisse bedeuten auch grosse Nachfragen. Da wird man in der Regel die Preise anpassen, aber das hätte man sicherlich besser organisieren können."

Appell an die Bevölkerung: Wenn möglich im Homeoffice arbeiten

Was jetzt schon klar ist: Viele Pariserinnen und Paris werden während der Spiele im Sommer aus der Stadt flüchten. Kein reines Olympia-Phänomen, denn auch ohne das Grossereignis verziehen sich die Bewohner in den Sommermonaten Jahr für Jahr aus der Stadt. "Das geht schon ab Mitte Juli los, der gesamte August – da ist Paris leer", sagt Knie.

In einer Umfrage vor einigen Tagen gaben 47 Prozent der Bewohner der Hauptstadtregion an, während der Spiele verreisen zu wollen, um Gedränge und überhöhten Preisen zu entkommen.

Und wer in der Stadt bleiben muss, soll möglichst aus dem Homeoffice arbeiten, um die Verkehrsmittel nicht zu überlasten. Entsprechende Empfehlungen gab und gibt die Politik bereits seit Monaten heraus. Unter anderem wandte sich Transportminister Clément Beaune mit einem entsprechenden Appell an die Bevölkerung, auch Plakate in den Metro-Stationen weisen aktuell darauf hin.

Für Knie wird der Homeoffice-Aspekt im Juli und August dennoch keine grosse Rolle spielen, "weil dort in Paris keiner arbeitet". Prinzipiell sei Homeoffice mittlerweile aber "ein probates und mittlerweile auch vielgenutztes Instrument", um einen stark frequentierten Verkehr zu beruhigen.

Verkehrsforscher über Flugtaxi-Debatte: "Völliger Quatsch"

Wer während Olympia nicht mit dem Auto oder der Metro durch Paris fahren möchte, kann möglicherweise auch erstmals auf ein Flugtaxi umsteigen und das Hauptstadt-Treiben von oben beobachten – vorausgesetzt, er oder sie besitzt das nötige Kleingeld.

Der Flugtaxi-Hersteller Volocopter hat das grosse Ziel, im Sommer mit den elektrischen Luftgefährten in Paris starten zu können. Doch das Vorhaben könnte an der fehlenden Lizenz scheitern. Es gebe Verzögerungen im Zulassungsverfahren, sagte eine Sprecherin des Unternehmens aus Bruchsal bei Karlsruhe im vergangenen Februar. Volocopter halte an den Plänen zwar grundsätzlich fest, diese seien aber inzwischen "sehr ambitioniert", sagte sie.

Flugtaxi
Solche Flugtaxis sollen während der Spiele in Paris fliegen. Platz ist für einen Piloten und eine zusätzliche Person. © IMAGO/Arnoux Thomas/ABACAPRESS

Das Vorhaben hatte im Pariser Stadtrat heftige Kritik ausgelöst. Als "völlig unsinnig", bezeichnete es etwa der grüne Stadtrat Dan Lert bei einer Debatte im vergangenen November. Flugtaxis seien "ein umweltschädliches Gadget für Ultrareiche, die es eilig haben". Die Stadträtin Claire de Clermont-Tonnerre verglich das Fortbewegungsmittel mit elektrischen Leihrollern, die in Frankreichs Hauptstadt im vergangenen Jahr verboten wurden. "Das brauchen wir absolut nicht."

Ähnlich sieht das auch Verkehrsforscher Knie, für den die privaten Flugtaxis "völliger Quatsch" sind, wie er sagt. "Die sind nur was für ganz wenige exklusive Menschen und als Verkehrsmittel überhaupt nicht geeignet." Mit den Flugtaxis könnte keine relevante Menge an Personen transportiert werden. Neben einem Piloten würde in den Modellen, die in Paris zum Einsatz kommen sollen, nur noch eine weitere Person Platz finden.

Wenn die Lizenz bis zum Start der Spiele nicht vorliegen sollte, werde der Start nur verschoben, nicht aufgegeben. "Wir wollen hier Geschichte schreiben", erklärte die Volocopter-Sprecherin. In diesem Fall sollten Demonstrationsflüge während des Sport-Grossereignisses zu sehen sein, erklärte sie. "Wir wollen auf jeden Fall zeigen, was man mit Airmobility in Städten alles machen kann."

Prof. Dr. Knie: Spiele in Paris sind "das Modell der Zukunft"

Fehlende Lizenzen, mit Touristen gefüllte Metros, verdoppelte Ticketpreise und Linien, die möglicherweise nicht rechtzeitig fertig werden. Hat sich Paris mit ihren Plänen, die Spiele mitten in der Stadt zu veranstalten, vielleicht doch übernommen?

"Ganz im Gegenteil", stellt Knie klar: "Man ist damit den richtigen Weg gegangen, man hat verkehrssparsame und kompakte Spiele organisiert. Die Veranstaltungsorte sind sehr nah zusammen – man muss nicht weit reisen."

Keine langen Anfahrtszeiten, stattdessen recht kurze Wege: Für den Verkehrswissenschaftler sind die Spiele in Paris "das Modell der Zukunft". Auch und vor allem deshalb ist sich der Experte sicher: "Olympia in Paris wird neue Akzente setzen."

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Andreas Knie ist seit 2020 Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung - WZB. Neben dem Thema Verkehrsforschung befasst sich Knie unter anderem auch mit den Themen Technologiepolitik, Wissenschaftspolitik und Innovationsforschung.

Verwendete Quellen

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