- Die Vorfreude der Athleten auf die Olympischen Winterspiele in Peking wird durch die Sorge vor Spionage und Manipulation immens getrübt.
- Im Fokus ist zum Beispiel die App "My2022", aber auch die Coronatests sorgen für Aufregung.
- Ein Datenschutz-Experte mahnt zu erhöhter Vorsicht und warnt: "Kein IT-System ist unangreifbar."
Und plötzlich war sie weg. Verschwunden. Auf mysteriöse Art und Weise. Peng Shuai, die frühere Weltranglisten-Erste im Doppel, hatte Anfang November im sozialen Netzwerk Weibo Vorwürfe wegen eines sexuellen Übergriffs durch einen chinesischen Spitzenpolitiker veröffentlicht. Dass die Chinesin danach erst ab- und später wieder auftauchte, um ihre eigenen Vorwürfe zu dementieren, erhärtet den Verdacht, dass sie unter chinesischer Staatskontrolle stehen könnte.
Dass die 36-Jährige bei den Olympischen Winterspielen möglicherweise in Erscheinung tritt, macht nur wenig Hoffnung. Ihr ganzer Fall zeigt, wie problematisch die Situation für die Menschen in China ist und wie kompliziert es auch für die Olympia-Teilnehmer werden könnte. Denn sie fühlen sich schon verfolgt, bevor sie überhaupt in der chinesischen Hauptstadt angekommen sind. Und das wohl nicht zu Unrecht.
Die Probleme reichen von der Menschenrechtslage in China über die Corona-Pandemie, hin zur Angst vor Beschränkungen der Meinungsfreiheit und möglicherweise auch die Gefahr vor Ausspähung und Spionage. Für die Athleten lege sich ein Schatten über die Spiele, betont Maximilian Klein, Beauftragter für internationale Sportpolitik von "Athleten Deutschland", im ZDF-Morgenmagazin. Man solle nicht naiv sein, bekräftigte er, warnte, dem chinesischen Regime sei "nach allem, was wir hören, einiges zuzutrauen", sagte Klein: "Wenn wir jetzt auf IT-Sicherheit schauen, wenn es um die Gefahr von Spionage geht. Es wurden eklatante Sicherheitslücken in der 'My2022'-App bekannt."
Olympia: "My2022" für alle Teilnehmer verpflichtend
Diese App ist verpflichtend für alle Olympia-Teilnehmer, ob nun Sportler, Funktionäre oder Journalisten. Alle in einem App-Boot also. Das Problem: Das Citizen Lab der Universität Toronto hat zuletzt eklatante Sicherheitsmängel der Software aufgedeckt. Die Vorwürfe: Persönliche Daten sowie Sprach- oder Textnachrichten können abgegriffen werden, zensiert werde durch eine Filterung von Schlüsselbegriffen möglicherweise auch.
"Ganz grundsätzlich birgt jeder Einsatz einer App auf einem Endgerät Risiken", betonte Michael Atzert, Mitglied der Geschäftsführung der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Allein die Masse der in den Appstores von Google und Apple veröffentlichten Apps macht es den Google- und Apple-eigenen Sicherheits-Teams unmöglich, den gesamten Programmcode von zu publizierenden Apps auf etwaige Sicherheitslücken hin zu überprüfen."
Ein weiterer Faktor ist der generelle Kontrollwahn in China, den der Staat oft mit Sicherheitsgründen oder als soziale Stabilität verharmlost. Ein Beispiel ist das Sozialpunkte-System, bei dem das aus der Sicht der Kommunistischen Partei wünschenswerte Verhalten der Bürger per Rating positiv oder negativ bewertet wird. Ein zu niedriges Rating kann Einschränkungen im alltäglichen Leben zur Folge haben. Chinesische Unternehmen werden ähnlich überwacht.
Der gläserne Bürger ist Realität
Ein weiteres Beispiel: In Shanghai werden die Menschen durch rund eine Million Kameras rund um die Uhr bewacht. Datenschutz? Ist in China nur ein Wort, der gläserne Bürger dafür schon längst Realität. Wird es auch den gläsernen Athleten geben? Diese Frage stellen sich viele Sportler. Eine konkrete Antwort auf die Frage gibt es nicht, erwähnte Hinweise aber schon. Denn die digitale Infrastruktur liefert eine exzellente Grundlage dafür.
"Bekanntermassen überwacht China die eigene Bevölkerung engmaschig und hat mit der sogenannten Great Firewall of China eine von Seiten vieler Staaten offen kritisierte, aus Zensorensicht recht gut funktionierende Internetzensurinfrastruktur aufgebaut", sagt Atzert. In der Vergangenheit sei schon mehrfach von offizieller Seite vor Cyberangriffen durch Hackergruppen aus China gewarnt worden, betont er: "Dass diese Hackergruppen jedoch von staatlicher Seite beauftragt wurden, wird von der Volksrepublik China bestritten. Angesichts der Berichterstattung zur App 'My2022' besteht Anlass zu erhöhter Vorsicht."
Denn grundsätzlich lasse ein Blick in die jüngere Vergangenheit Deutschlands – Stichwort Stasi – befürchten, "dass auch in der Volksrepublik China durchaus eine reale Gefahr dahingehend besteht, dass die dortige Regierung ein starkes Bedürfnis nach Herstellung einer Informationshoheit zwecks Lagebestimmung hegt".
Beim IOC schrillen die Alarmglocken nicht
Der Verdacht ist also da und sollte alleine schon genügen, um die Alarmglocken schrillen zu lassen. Ein IOC-Sprecher verwies aber beim Branchenmagazin "ZDNet" darauf, dass die App die Massnahmen als Gesundheitstracker unterstützen würde und zudem die Teilnehmer sowie die chinesischen Bürger schütze. Dass China in Sachen Spionage zu den führenden Nationen auf der Welt gehört, schürt allerdings die Sorge, dass sich das Land die Spiele zunutze machen und Informationen über die Gäste sammeln könnte.
Der Zugang zum sonst reglementierten Internet soll für Olympioniken möglich sein – was aber weitere Möglichkeiten zur Kontrolle und zur Sammlung von sensiblen Daten liefert. In einem "Spiegel"-Bericht wird gewarnt, dass Freundschaftsanfragen in sozialen Netzwerken von Fake-Profilen chinesischer Dienste kommen könnten. Es gelte in dem Zusammenhang als besonders heikel, dass viele deutsche Sportler bei der Bundeswehr, dem Zoll oder der Bundespolizei beschäftigt sind.
Augen zu und durch, scheint für die Athletinnen und Athleten dann wohl die beste Devise zu sein. Und Mund zu am besten auch. "Jede Äusserung, die mit dem olympischen Geist zu vereinbaren ist, da bin ich sicher, ist geschützt. Jedes Verhalten, jede Rede, die gegen den olympischen Geist, besonders gegen chinesische Gesetze und Regularien ist, unterliegt genauso gewissen Bestrafungen", sagte Yang Shu, Mitglied des Organisationskomitees, und liess keine Zweifel aufkommen, wie das Land auf kritische Stimmen reagieren will.
Sorge um Manipulation der Coronatests bei den Olympischen Winterspielen
Eine weitere Sorge der Athleten ist die Manipulation von Coronatests, um zum Beispiel Konkurrenten aus dem Verkehr zu ziehen. China sei "ein Land, wo ganz klar vorgegeben wird, dass der sportliche Erfolg vorhanden sein muss", sagte Ex-Skistar Felix Neureuther bei RTL/n-tv: "Und da werden die meines Erachtens sicher mit allen Mitteln versuchen, diesen sportlichen Erfolg auch zu bekommen. Und wie geht es leichter, Konkurrenz auszuschalten als mit einem positiven Coronatest? Keiner kontrolliert, wie die Tests kontrolliert werden."
Es gehöre zu den allgemein anerkannten Grundsätzen der IT-Sicherheit, dass kein IT-System unangreifbar ist, betont Datenschutz-Experte Atzert. "Sofern eine automatisierte Datenverarbeitung stattfindet, ist diese per definitionem – Zugriff auf die Daten vorausgesetzt - grundsätzlich manipulierbar."
Zurück zu den Wurzeln
Bei den Coronatests gilt: Sofern die PCR-Teststrassen an öffentliche beziehungsweise staatliche Netze (wie etwa das Internet) angebunden sind, lassen sich diese Systeme möglicherweise direkt aus der Ferne über etwaig vorhandene Hintertüren angreifen und personenbezogene Testergebnisse direkt im PCR-Testsystem verändern. "Sind diese Corona-Testsysteme hingegen nicht mit anderen öffentlichen oder staatlichen Netzen verbunden, ist es naheliegender, unmittelbar die Rechner des Testzentrums anzugreifen, über die die Test-Ergebnisse schlussendlich an die Getesteten versandt werden", erklärt Atzert.
Sein Rat an die Athleten, was das eigene Verhalten angeht: zurück zu den Wurzeln. Soll heissen: Je weniger Technik eingesetzt wird, desto weniger (technische) Angriffsszenarien sind potenziellen Angreifern möglich. "Olympioniken und ihre Trainer sollten möglichst vermeiden, ihre elektronischen Endgeräte überhaupt aus der Hand zu geben", sagt Atzert: "Falls möglich, sollte beim Betrieb von netzwerkfähigen mobilen Endgeräten auf Funkbetrieb verzichtet werden. Und falls möglich, sollten Endgeräte, auf denen schützenswerte Trainingsdaten gespeichert beziehungsweise verarbeitet werden, nicht mit dem Internet verbunden werden." Der Idealfall: "Alternativ sollten nur solche Endgeräte mit der App genutzt werden, die dediziert ausschliesslich für diesen Zweck zum Einsatz kommen", rät Atzert.
Tatsächlich erhält das deutsche Olympia-Team von sensiblen Daten befreite Mobiltelefone. "Wir empfehlen unseren Athleten, ihre eigenen Handys und Laptops dort nicht zu benutzen", sagte Dirk Schimmelpfennig, Chef de Mission, im "Aktuellen Sportstudio". Daneben sollen nur die nötigsten Unterlagen mit nach Peking mitgenommen werden. Einen Maulkorb bekam das Team indes nicht verpasst.
Den Ruf aufpolieren
Trotz der Vorkehrungen bleibt ein fader Beigeschmack, wenn es am 4. Februar unter dem fragwürdigen Motto "Zusammen für eine gemeinsame Zukunft" offiziell losgeht. "Wenn die chinesische Regierung die Olympischen Spiele als Aushängeschild für das Land benutzen möchte, dann sollte sie zunächst damit anfangen, all diejenigen aus der Haft zu entlassen, die lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte strafverfolgt und inhaftiert sind", sagte Julia Duchrow, Stellvertreterin des Generalsekretärs von Amnesty International in Deutschland.
Denn unter dem Strich steht in Peking das "Sportswashing" über den Spielen. Der Versuch also, den eigenen Ruf durch ein sportliches Grossereignis aufzupolieren. Deshalb wird wohl auch Peng Shuai wieder auftauchen. Nur, um danach sehr wahrscheinlich wieder zu verschwinden.
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Verwendete Quellen:
- ZDF.de: Athletensprecher: "Sollten nicht naiv sein"
- Spiegel.de: Wird Peking zur Hochrisikoexpedition für deutsche Athleten?
- Amnesty.de: China: Internationale Gemeinschaft darf kein Sportswashing betreiben
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